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Neue Erkenntnisse über die Entstehung von Blutkrebs

MDC-Wissenschaftler falscher Signalgebung auf der Spur

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin-Buch haben jetzt in Zellkulturversuchen neue Erkenntnisse über die Entstehung von Blutkrebs (Leukämie) gewonnen. Eine Schlüsselrolle spielt dabei ein Gen, das normalerweise die Teilung und Differenzierung von Blutzellen steuert, das sogenannte Myb-Gen. Ist es verändert (mutiert), kann es zu einem Krebsgen (Onkogen) werden. Wie die MDC-Forschungsgruppe „Tumorentwicklung und Differenzierung“ von Dr. Achim Leutz jetzt zeigen konnte, löst das Myb-Onkogen eine Kaskade falscher Signale aus. Sie stellte fest, daß das Myb-Onkogen unter anderem ein wichtiges Steuergen (Homöobox-Gen GBX2) aktiviert, das selbst wiederum andere Wachstums- und Differenzierungsgene anschaltet, mit der Folge, daß sich die Blutzellen unkontrolliert vermehren. Hinzu kommt, daß das Myb-Onkogen nicht mehr in der Lage ist, die Reifung von Blutzellen zu regulieren, so daß vermehrt unreife, nicht funktionstüchtige Blutzellen entstehen. Die Forschungsarbeit von Dr. Elisabeth Kowenz-Leutz, Dr. Petra Herr, Knut Niss und Dr. Leutz ist jetzt in dem amerikanischen Fachblatt Cell (Vol. 91, Nr. 2, S. 185-195, 17. Oktober 1997) erschienen.

Krebs entsteht, wenn bestimmte Gene plötzlich „ausrasten“. Zu diesen zählen insbesondere Proto-Onkogene, die durch Veränderungen (Mutationen) zu Krebsgenen (Onkogenen) werden können. Normalerweise lenken Proto-Onkogene komplexe Vorgänge, nach denen eine Zelle heranreift, sich vergrößert und teilt. Verändert sich jedoch die Struktur dieser Steuergene, können sie zu gefährlichen Saboteuren werden und die zellulären Teilungs- und Reifungsprogramme durcheinanderbringen. Als Folge davon teilen sich betroffene Zellen und ihre Nachkommen unkontrolliert - ein Tumor kann sich entwickeln.

Eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung und Zellteilung blutbildender Zellen spielt das Myb-Gen. Die mutierte Form dieses Gens, das Myb-Onkogen, kann zur Krebsentstehung beitragen. Allerdings sind mehrere Mutationen notwendig, um aus dem normalen zellulären Gen ein bösartiges Krebsgen entstehen zu lassen. Eine solche Anhäufung von Mutationen des Myb-Gens findet sich im Erbgut eines Virus, das in Hühnern eine besondere Form des Blutkrebs (Myeloblastose) auslöst. Ursprünglich entstammt das virale Krebsgen dem Erbgut einer Körperzelle. Durch Genaustausch (Rekombination) gelangte es in das Erbgut des Tumorvirus. Heute weiß die Wissenschaft, daß auch Körperzellen des Menschen ein Myb-Gen enthalten, welches die normale Blutbildung steuert. Das Myb-Onkogen setzen Wissenschaftler als Modellsystem zur Erforschung der molekularen Ursachen von Blutkrebs ein.

Um zu ermitteln, was in Blutzellen geschieht, wenn sie sich in Krebszellen verwandeln, erzeugten Dr. Elisabeth Kowenz-Leutz und die Mitarbeiter der MDC-Forschungsgruppe „Tumorentwicklung und Differenzierung“ von Dr. Achim Leutz Leukämien gewissermaßen „im Reagenzglas“: Die Forscher schleusten das Myb-Onkogen in Hühnerzellen und entdeckten, daß es unkontrolliert das Homöobox-Gen GBX2 anschaltet und damit eine Kaskade falscher Zellteilungs- und Differenzierungssignale auslöst. Homöobox-Gene sind entwicklungsgeschichtlich sehr alte Genschalter, die wesentliche Vorgänge im Organismus steuern, wie zum Beispiel die Embryonalentwicklung und die Organbildung. Die Wissenschaft vermutet, daß eine Fehlsteuerung dieser Gene beispielsweise auch die Entstehung von Leukämien begünstigt. So konnte die MDC-Forschungsgruppe zeigen, daß eine Daueraktivierung von GBX2 durch das Myb-Onkogen zum unkontrollierten Wachstum von Blutzellen beiträgt.

Die MDC-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellten fest, daß das Homöobox-Gen GBX2 wiederum andere Gene aktiviert, die ihrerseits für die Regulation des Wachstums von Blutzellen verantwortlich sind. Darüber hinaus beobachteten sie, daß das Myb-Onkogen die Reifung von Blutzellen nicht mehr im Griff hat, so daß sich unreife, nicht funktionstüchtige Blutzellen anhäufen. Die weitere Erforschung der Rolle des Myb-Onkogens bei der Krebsentstehung könnte, so hoffen die Forscherinnen und Forscher, möglicherweise zur Entwicklung von Strategien beitragen, mit deren Hilfe unkontrolliertes Zellwachstum gestoppt wird.

 

Barbara Bachtler
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