ZIM Labor

Von der Laborantin zur Technikerin

Ramona Zummach, Technische Assistentin in der Arbeitsgruppe „Genetik und Pathophysiologie des Herz-Kreislaufsystems“

Wir hatten nie damit gerechnet, dass es mal möglich wäre Tante, Onkel und Cousine im Westen zu besuchen.

Ich war damals 19 Jahre alt und steckte im letzten Halbjahr meiner Ausbildung als Chemielaborantin auf dem Campus Buch. Damals war hier das ZIM (Zentralinstitut für Molekularbiologie der Akademie der Wissenschaften der DDR). Ich wollte Biochemie studieren. Mir wurde eine Delegierung zum Studium in Aussicht gestellt, dazu benötigte ich das Abitur. Also begann ich am 01.09.1989 an der Volkshochschule (VHS) in Pankow in einem Abendschulkurs, mein Abitur nachzuholen. Das bedeutete vier Tage Grundkurs von 17 bis 21 Uhr und freitags ein Jahr vier Unterrichtseinheiten Englisch und das zweite Jahr vier Unterrichtseinheiten Biologie. Straffes Programm! Aber – ich wohnte noch bei meinen Eltern und ich wollte das unbedingt!

Es roch aber irgendwie anders und ich war schwer beeindruckt von dem Obst- und Gemüseangebot.
Ramona Zummach
Ramona Zummach Technische Assistentin in der Arbeitsgruppe „Genetik und Pathophysiologie des Herz- Kreislaufsystems“

Mein 9. November

Es war am Abend des 9. November und ganz normaler Unterricht in der VHS. Ich hetzte wie üblich zum S-Bahnhof, um die frühestmögliche Bahn Richtung Bernau zu bekommen. Auf dem Bahnhof angekommen wunderte ich mich etwas, dass solche Menschenmassen unterwegs waren, alle Richtung Innenstadt, mein Zug nach Bernau war fast leer. Ich war froh! Überlegte aber in der Bahn noch, ob irgendeine besondere Veranstaltung angesagt war, konnte mich jedoch an nichts erinnern (Smartphone gab es damals noch nicht).

Als ich dann eine Stunde später total müde zu Hause ankam, begrüßten mich meine Eltern mit der Frage: „Was machst du denn hier?“ Etwas verwirrt über die „dumme“ Frage, antwortete ich: „Essen und Schlafen! Wieso fragt ihr so komisch?“  Mein Vater meinte: „Sie haben die Grenzen aufgemacht. Es sind alle unterwegs nach West-Berlin. Wir haben gedacht, du kommst nicht nach Hause!“ Ich habe wahrscheinlich etwas dümmlich dreingeschaut, antwortete aber, dass ich das nicht glaube und überlegte kurz, ob ich doch noch einmal losfahre. Der Ruf meines Bettes war jedoch lauter und unsere Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr um diese Uhrzeit praktisch nicht vorhanden. Ich verfolgte, während ich noch etwas Essen in mich reinschaufelte, die Nachrichten und ging mit der Gewissheit ins Bett, dass sie es sich am nächsten Tag wieder anders überlegt haben werden.
 
Wie sich herausstellte, war das nicht so. Ich bin dann am Wochenende in der Bernauer Straße über die Grenze gegangen, um mal den Westen zu sehen. Die Straßen waren grau und dreckig. Es roch aber irgendwie anders und ich war schwer beeindruckt von dem Obst- und Gemüseangebot! Dort lagen Früchte, die ich nie zuvor gesehen hatte!

„Ich finde, dass es völlig egal ist, woher man kommt.“

Die Eltern der Autorin besaßen in den 80er Jahren einen Wartburg.

Am Wochenende darauf fuhren wir Richtung Frankfurt am Main, zu unseren Verwandten. Ich kam am Freitag von der Abendschule, durfte noch duschen und stieg dann mit Kuschelkissen und Decke ausgerüstet in unseren Wartburg. Mein Vater fuhr die Nacht durch und wir erreichten unser Ziel früh um 6 Uhr. Meine Tante öffnete uns voller Freude und total aufgeregt im Nachthemd die Haustür. Sie hatte nicht erwartet, dass wir so schnell durchkommen.

Dieses Teil aus einer "sündhaft teuren Boutique" hängt noch heute im Schrank der Autorin.

Das war für mich eigentlich der bewegendste Moment im Zusammenhang mit dem Fall der Mauer! Wir hatten nie damit gerechnet, dass das mal möglich wäre, Tante, Onkel und Cousine im Westen zu besuchen. Wir wurden von allen Nachbarn und Bekannten unserer Familie sehr warmherzig empfangen. Ich kann mich an nichts Negatives erinnern. Irgendwoher haben wir auch 100 DM Begrüßungsgeld bekommen. In einer sündhaft teuren Boutique durften sich DDR Bürger ein Kleidungsstück kostenlos aussuchen. Das Teil habe ich heute noch, es passt mir jedoch nicht mehr. Ist wahrscheinlich eingelaufen :-).

Der Kontakt zu unserer Familie ist noch immer sehr eng und herzlich. Auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind, respektieren wir einander. Die Ossi-Wessi-Vorurteile sind bei meinen Kindern nie angekommen. Darüber bin ich sehr froh! Obwohl sie auch nach 30 Jahren nicht aus den Köpfen gerade älterer Generationen heraus sind. Ich finde, dass es völlig egal ist, woher man kommt. Die Taten entscheiden darüber, wie wertvoll ein Mensch für mich ist! Mein Vater, der viele Jahre auf dem Campus Buch als Gas-Wasser-Installateur gearbeitet hat, sagte oft: „Gib einem Menschen ein bisschen Macht und du erkennst seinen wahren Charakter!“ Er hatte Recht!

Nach der Wende

Mein Abitur habe ich beendet, mein Studium allerdings nicht angetreten. Wir wurden alle zum 31.12.1991 gekündigt und mussten uns neu bewerben. Ich wurde angenommen. Damals war alles im Umbruch und ich begann im September 1991 eine Weiterbildung zur Chemietechnikerin mit Schwerpunkt Umweltanalytik an der Ingenieurschule für Chemie in der Naglerstraße, heute ist das die Staatliche Technikerschule Berlin. Aufgrund der unklaren Situation wurden wir für solche Maßnahmen bis zum Jahresende freigestellt. Ich habe dann ab dem 01.01.1992 wieder im Institut gearbeitet, das ging mit Sondergenehmigung meines Chefs und der Personalabteilung von 13.30 Uhr bis 22 Uhr. Die Vormittage habe ich bis 12.45 Uhr in der Schule verbracht, wenn wir Praktika hatten, habe ich dafür Urlaub genommen. Mir hat diese Weiterbildung damals sehr viel Spaß gemacht. Ich hatte dort auch Biochemie und Mikrobiologiekurse, die vorher in meiner Ausbildung fehlten. Auch HPLC- und GC-Analysen habe ich erlernt und angewandt und davon bei meiner jetzigen Tätigkeit sehr profitiert. Das war manchmal ganz schön anstrengend, ich habe es aber nicht in negativer Erinnerung. Es war um 21 Uhr oder 22 Uhr zwar deutlich ruhiger, aber man war nicht allein im Labor. Unsere Doktoranden waren oft sehr lange da. Mit Uli Scheller habe ich damals oft Abendbrot gegessen und um das Photometer gekämpft 🙂.

Ich hatte und habe das Glück, für einen absolut kompetenten und empathischen Wissenschaftler zu arbeiten und bin auch heute noch gern am MDC tätig!