Mauerdurchbruch 9.11.

Wenn Denken und Realität nicht zusammenpassen

Professor Dominik N. Müller, Leiter der Arbeitsgruppe „Hypertonie-vermittelter Endorganschaden“

Ich kam 1987 zum Pharmazie-Studium an die Freie Universität Berlin und hatte das Glück, in Berlin einmalige Geschichte mitzuerleben.

In meinen ersten beiden Jahren entwickelte ich mich zum typischen West-Berliner Studenten. Ich versuchte, die Stadt mit ihrer Kultur zu entdecken, aber ehrlich gesagt: An die Mauer stieß ich nur, wenn Freunde zu Besuch kamen. Für mich, aus einer Kleinstadt hierhergezogen, war selbst West-Berlin so groß, dass ich mir nie eingesperrt vorkam. Das Leben in der geteilten Stadt war, einmal abgesehen von den skurrilen Transit-Autofahrten nach Berlin, eigentlich ein normaler Status quo.

Obwohl ich jedes Wort hörte, kam der Inhalt und die mögliche Tragweite nicht in meinem Gehirn an.
Prof. Dr. Dominik Müller
Dominik N. Müller Leiter der Arbeitsgruppe „Hypertonie-vermittelter Endorganschaden“

Doch dann kam das Jahr 1989, in dem ich eine ständige Veränderung spürte. Ich war politisch interessiert und verfolgte im Spätsommer, was unter Michail Gorbatschow plötzlich möglich schien. Die Montagsdemos, die DDR-Bürger in der ungarischen Botschaft – ja, es war irgendwie anders. Und dann, der frühe Abend des 9. Novembers: Ich saß vor dem Fernseher und hörte die Worte von Günter Schabowski, auch die Nachfrage eines Journalisten, ab wann „dies“ denn so gültig sei und das unbeholfene, raschelnde Suchen von Schabowski in seinen Papieren… Obwohl ich jedes Wort hörte, kamen der Inhalt und die mögliche Tragweite nicht in meinem Gehirn an. Der Status quo der geteilten Stadt war so fest in meinem Denken verankert, dass ich mich nicht über die Worte wunderte und zum Tennisspielen fuhr. Als ich Stunden später nach Hause kam und den Fernseher wieder einschaltete, sah ich aufgeregte SFB-Reporter, die von noch nicht offenen Grenzübergängen berichteten. Plötzlich war es dann soweit, dass die Bilder mit den in den Westen strömenden DDR-Bürgern auch meine Hirnzellen erreichten. Heute muss ich noch immer über mich schmunzeln, dass ich damals die Worte Schabowskis nur hörte, die möglichen Folgen aber überhaupt nicht kapiert hatte.

 

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