Der Unterschied bei Lymphdrüsenkrebs
Wenn neue Blutgefäße entstehen, sprechen Forschende von Angiogenese. Wächst ein Tumor im lymphatischen System, laufe dieser Prozess anders ab als bei Krebs in Organen wie Darm oder Lunge. Dies berichtet ein Team des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) in dem Journal Cancer Research. Die Forschenden, darunter Dr. Armin Rehm, Dr. Uta Höpken und Professor Holger Gerhardt vom MDC, stellen einen neuen Behandlungsansatz für Patient*innen mit Lymphomen vor: Dieser sei möglicherweise effektiver als herkömmliche Therapien und könne das Tumorwachstum verlangsamen.
Wir vermuten, dass solide Tumore und Lymphknoten-Tumore völlig unterschiedlich sind. Die Mikroumgebung der Lymphknoten begünstigt die Entstehung von Tumorzellen aus dem Blut.
Lymphome sind Krebserkrankungen des lymphatischen Systems – in Lymphknoten, Milz und Knochenmark. Lymphompatient*innen haben dann eine geringere Chance zu überleben, wenn sich bei ihnen Blutgefäße des Tumors stärker ausbilden. Außerdem sprechen sie nicht gut auf Behandlungen an, die die Blutgefäßbildung bei anderen Krebsarten hemmen.
„Wir vermuten, dass solide Tumore und Lymphknoten-Tumore völlig unterschiedlich sind. Die Mikroumgebung der Lymphknoten begünstigt die Entstehung von Tumorzellen aus dem Blut“, erläuterte Dr. Uta Höpken, Leiterin des Labors „Mikroumgebung als Regulator bei Autoimmunität und Krebs“ am MDC. „Trotzdem waren unsere Ergebnisse völlig überraschend“, sagte Armin Rehm, Leiter der Arbeitsgruppe „Translationale Tumorimmunologie“ am MDC. „Keine der üblichen Verdächtigen, die normalerweise eine Rolle bei der Angiogenese spielen, waren an der Verlangsamung des Krebswachstums beteiligt.“
Verdächtige ausschließen
Die Blutgefäße in frühen Wachstumsphasen der Lymphome sind dichter, unregelmäßiger und stärker verzweigt als Blutgefäße in gesunden Lymphknoten. Solche Verzweigungsmuster wurden weder in soliden Tumoren, in infizierten Lymphknoten noch bei der Entwicklung von Organen beobachtet, wo ebenfalls neue Blutgefäße wachsen.
Um die Signalwege aufzuspüren, die für die Verzweigung der Blutgefäße verantwortlich sind, analysierte das Team zwei Modelle: zum einen transgene Mäuse, bei denen sich Lymphome entwickelten, und zum anderen Mäuse mit implantierten Lymphomkrebszellen. Anhand der Genexpressionsmuster konnten die Forschenden sehen, welche Gene und Proteine zu Beginn der Tumorentwicklung besonders aktiv waren.
Die Übeltäter, die normalerweise bei Angiogenese bei Krebs beteiligt sind, oder, die bei Entzündungen, geringem Sauerstoffniveau und beim Signalaustausch der Blutgefäße, im sogenannten Notch-Signalweg, eine Rolle spielen, traten nicht auf.
Erfolgreiche Blockierung
Der Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF), besteht aus einer Gruppe von Proteinen und ist der Haupttreiber der normalen Gefäßbildung sowie der Angiogenese bei Krebs. Bei den meisten soliden Organtumoren ist VEGF-A in Verbindung mit seinem Rezeptor VEGFR-2 entscheidend. Das Team entdeckte, dass VEGF-C das aktivste Protein in frühen Stadien von Lymphomen ist. Als die Forschenden den Rezeptor VEGFR-2 blockierten, um VEGF-C zu hemmen, änderte sich nichts. Als sie jedoch einen anderen Rezeptor, VEGFR-3, außer Kraft setzten, verlangsamte sich das Gefäßwachstum signifikant. Außerdem blockierten sie den Rezeptor für das Protein Lymphotoxin, das gewöhnlich für die normale Lymphknotenbildung wichtig ist. Auch dies verlangsamte die Angiogenese.
Sollten einige wenige Krebszellen die Chemotherapie überleben, könnte eine Immuntherapie, die auf diese Signalwege wirkt, möglicherweise einen Rückfall verhindern.
Um die Signalwege zu hemmen, verwendete das Team zwei Medikamente, eines davon ist bereits bei der Behandlung von Autoimmunerkrankungen zugelassen. Auch bei menschlichen Zellen zeigten sie Wirkung. Um die Medikamente nun auch bei Lymphomapatient*innen zu testen, hoffen die Forschenden nun auf klinische Studien. „Sollten einige wenige Krebszellen die Chemotherapie überleben, könnte eine Immuntherapie, die auf diese Signalwege wirkt, möglicherweise einen Rückfall verhindern“, sagte Rehm.
Von Beginn an beobachten
Ein Schlüsselelement dieser Studie war das Timing. Die Forschenden beobachteten die ersten zwölf Tage der Angiogenese, nachdem die Krebszellen in die Lymphknoten eingedrungen waren – eine einmalige Chance, um die frühe Interaktion zwischen Tumorzellen und der Mikroumgebung der Lymphknoten zu beobachten. Nur fünf bis zehn Prozent der Lymphknotenzellen waren die eigentlichen Krebszellen, aber die Lymphknoten selbst waren bereits umstrukturiert. „Die Veränderungen, die wir sahen, traten sehr früh und bei sehr geringer Tumorlast auf“, sagte Höpken.
Diese frühen Veränderungen in hoher Auflösung abzubilden, war eine Herausforderung. „Lymphomzellen sind weit verzweigte Zellen innerhalb des Lymphknotens, der selbst aus unterschiedlichen Teilabschnitten besteht“, sagte Lutz Menzel, Co-Erstautor und Post-doc im Labor „Translationale Tumorimmunologie“. „Eine Veränderung im Stroma zu finden, die durch Lymphome verursacht wurde, während aber andere Bereiche des Lymphknotens unverändert blieben, ist wie unter dem Mikroskop die Nadel im Heuhaufen zu suchen.“
Das Team betonte, dass Tiere für diese Arbeit ausgesprochen wichtig waren. Menschliche Patient*innen wären für eine solche Studie ungeeignet, weil sie noch keine Symptome zeigen. „Bei Tiere können wir den Beginn und nicht nur das Ende der Krankheit untersuchen“, erläuterte Rehm. „Organoide sind noch nicht weit genug entwickelt, um die Interaktionen zwischen vielen unterschiedlichen Zelltypen im komplexen Lymphknotengewebe zu modellieren.“
Die Forschenden wollen die Interaktion zwischen Tumorzellen und der Mikroumgebung des Lymphknotens auch in Zukunft weiter erforschen und mit Einzelzell-Sequenzierungen noch mehr über den Prozess der Angiogenese herausfinden.
Text: Laura Petersen
Weitere Informationen
Bilder zum Herunterladen
Darstellung von Blutgefäßen (grün) in Lymphknoten: Links, Lymphknoten einer Kontrollmaus ohne Lymphome. Rechts, Gefäßbaum in den Lymphknoten einer Maus mit Lymphomen. Foto: Rehm, Höpken, Gerhardt Labs, MDC
Literatur
Marleen Gloger, et al. (2020): “Lymphoma angiogenesis is orchestrated by noncanonical signaling pathways”, Cancer Research, DOI: 10.1158/0008-5472.CAN-19-1493
Kontakt
Dr. Armin Rehm
Leiter der Forschungsgruppe „Translationale Tumorimmunologie”
Max Delbrück Centrum für Molekular Medizin in der Helmholtz Gemeinschaft (MDC)
arehm@mdc-berlin.de
Dr. Uta Höpken
Leiterin der Forschungsgruppe „Mikroumgebung als Regulator bei Autoimmunität und Krebs”
Max Delbrück Centrum für Molekular Medizin in der Helmholtz Gemeinschaft (MDC)
uhoepken@mdc-berlin.de