Graduiertenzeremonie 2020: Bleiben Sie dran!
Im Coronajahr ist alles anders. Das gilt auch für die Graduiertenzeremonie für die neun Doktorand*innen des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC). Statt in einem festlich geschmückten Saal nehmen sie am 4. Dezember 2020 vor ihren Rechnern Platz – im Homeoffice oder im Wohnzimmer, im Büro oder sogar im Labor, mit Kolleg*innen, die mit Mundschutz im Hintergrund durchs Bild laufen. Etwa 50 Gäste aus aller Welt sind zugeschaltet: Angehörige und Freunde aus Deutschland, Pakistan, der Schweiz, Großbritannien, Serbien und Dubai. Weniger feierlich als sonst, könnte man meinen. Doch die virtuelle Zeremonie schafft trotz – oder vielleicht gerade wegen – ihrer technischen Distanz eine ganz besondere Nähe zwischen den Nachwuchsforscher*innen, ihren Gästen und Professor*innen.
Überraschende Fragen – überraschende Antworten
Dazu trägt eine Online-Umfrage zu Beginn der Zeremonie bei, die einige Überraschungen zutage fördert. So gehören zu den Berliner Lieblingsorten der Graduierten neben dem Prenzlauer Berg oder dem Brandenburger Tor auch Bernau oder der Neuköllner Kulturdachgarten Klunkerkranich. Hobbys in der Kindheit waren Kampfsportarten, Lego oder Puzzles, heutzutage eher Joggen, Kochen und Lesen. In sechs Monaten sehen sich die meisten in Berlin, der Schweiz und Großbritannien, der eine oder die andere träumt aber auch von Bora Bora. Die Promotion in drei Worten ist „Spaß und Freunde“ und „herausfordernd – aufregend – erfolgreich“, aber auch „Leiden – Schrecken – Schmerz“.
Ganz gleich, wie die jungen Wissenschaftler*innen ihre Doktorarbeit umschreiben: „Mit diesem höchsten akademischen Abschluss haben Sie mehr Möglichkeiten für ihre berufliche Karriere als alle anderen Absolventen. Sie könnten nicht besser dran sein“, findet Professor Michael Gotthardt. Er führt durch die Zeremonie und gibt sich dabei als Cineast vom Feinsten zu erkennen, seine Laudatio ist Würdigung und Filmquiz in einem. Ganz egal, wo ein Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin seine bzw. ihre Bestimmung finde, sagt er: „Bleiben Sie dran, entwickeln Sie sich weiter, schauen Sie über den Tellerrand hinaus.“
Vier „PhD Publication Prize“-Gewinner*innen
Eines ist dann doch wie immer: Wie in jedem Jahr werden die besten Paper der Promovierenden mit dem „PhD Publication Prize“ geehrt, der vom MDC Freundeskreis und der Dr. Pritzsche Stiftung gesponsert wird. Zwei Gewinnerinnen können sich über jeweils 1000 Euro Preisgeld freuen.
Monika Litvinukova aus der Arbeitsgruppe „Experimentelle Genetik von Herz-Kreislauferkrankungen“ von Professor Norbert Hübner wird für ihre Forschung am „Human Heart Cell Atlas“ ausgezeichnet. Hübner hat das Projekt vor drei Jahren gemeinsam mit Forscher*innen vom Wellcome Sanger Institute im britischen Cambridge, von der Harvard Medical School in Boston und vom Imperial College London ins Leben gerufen. Einen ersten Entwurf ihres Herzzellatlas‘ haben die Forscher*innen in diesem Jahr im Fachblatt „Nature“ veröffentlicht – „es war eine riesige Anstrengung vieler beteiligter Gruppen“, fasst die Preisträgerin zusammen. Sie war eine der Erstautor*innen. Insgesamt waren an der Publikation 33 Wissenschaftler*innen aus 19 Forschungseinrichtungen in Deutschland, Großbritannien, den USA, Kanada, China und Japan beteiligt. Sie haben rund eine halbe Million einzelne Zellen und Zellkerne des menschlichen Herzens analysiert und zuvor unbekannte Subtypen von Herzmuskelzellen und stützenden Herzzellen, schützenden Immunzellen und ein weit verzweigtes Netzwerk von Blutgefäßzellen entdeckt. Zudem errechnen die Wissenschaftler*innen, wie die Zellen kommunizieren, um das Herz in Gang zu halten.
Zweite Gewinnerin ist Maria Ercu aus der Arbeitsgruppe „Ankerproteine und Signaltransduktion“ von Dr. Enno Klußmann. Zusammen mit 40 Forscher*innen aus Berlin, Bochum, Limburg, Toronto (Kanada) und Auckland (Neuseeland) hat die MDC-Gruppe im Fachblatt „Circulation“ die Ursache für eine erbliche Form des Bluthochdrucks aufgedeckt. Damit haben sie die Basis für effektivere Therapiemöglichkeiten für die Volkskrankheit Bluthochdruck gelegt. Bei der betreffenden Form, dem nach seinem türkischen Entdecker benannten Bilginturan-Syndrom, gehen verkürzte Finger mit extrem erhöhten Blutdruckwerten einher. Am MDC wird seit Jahrzehnten an diesem Thema geforscht. Schon lange ist bekannt, dass im Erbgut der Betroffenen ein mutiertes Gen steckt. Nun ist erstmals der Nachweis gelungen, dass dieses Gen dafür sorgt, dass ein Enzym namens Phosphodiesterase 3A (PDE3A) aktiver ist als gewöhnlich. PDE3A reguliert sowohl das Knochenwachstum als auch den Blutdruck. Die Forscher*innen haben mit Mäusen gearbeitet, in deren Gefäßwandzellen das menschliche Enzym PDE3A überaktiv war. Diese Mäuse hatten im Vergleich zu Kontrolltieren einen wesentlich höheren Blutdruck. Außerdem veränderten sie in einem Rattenmodell mithilfe von CRISPR/Cas9 eine Region des mutierten PDE3A-Gens. Infolgedessen hatten die Tiere nicht nur einen erhöhten Blutdruck, sondern auch deutlich verkürzte Zehen an den Vorderläufen.
Die Doktoranden Jan Möller und Ricardo Paricio-Montesinos teilen sich den zweiten Platz. Sie erhalten ein Preisgeld in Höhe von jeweils 250 Euro. Jan Möller hat mit dem Team der Arbeitsgruppe „Signalprozesse von Rezeptoren“ untersucht, über welche Signalwege im Gehirn Wirkungen und Nebenwirkungen von Opioiden zustande kommen. Bislang galt es als unmöglich, Wirkungen und Nebenwirkungen voneinander zu trennen. Doch den Forscher*innen ist es gelungen, einzelne Rezeptoren auf der äußeren Membran von Nervenzellen zu lokalisieren. Mehr noch: Sie konnten beobachten, wie die Rezeptoren auf unterschiedliche Opioide reagieren. „Dies könnte die Grundlage für die Entwicklung neuer, nebenwirkungsarmer Schmerzmittel sein“, sagt Möller. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler*innen in „Nature Chemical Biology“.
Mit einem Forschungsteam der Arbeitsgruppe „Neuronale Schaltkeise und Verhalten“ von Professor James Poulet und der Arbeitsgruppe „Molekulare Physiologie der somatosensorischen Wahrnehmung“ von Professor Gary Lewin hat Ricardo Paricio-Montesinos nachgewiesen, dass Mäuse ohne Kälterezeptoren in der Haut keine Wärme empfinden können. Diese Entdeckung machten die Wissenschaftler zufällig, als sie die Fähigkeit der Tiere untersuchen wollten, leichte Temperaturänderungen wahrzunehmen. Bislang war die Neurowissenschaft davon ausgegangen, dass spezielle Signalwege entweder Wärme- oder aber Kältereize von der Haut zum Gehirn weiterleiten. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher*innen im Fachblatt „Neuron“.
Text: Jana Ehrhardt-Joswig
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