Frauen im Lab

Grundannahmen in der Immunologie und DNA-Reparatur anfechten

Ein wichtiges Protein hilft unserem Körper dabei, Infektionen zu bekämpfen, indem es zerbrochene DNA-Enden schützt. So zumindest nahm man es lange an. Forscherinnen und Forscher des MDC haben nun festgestellt, dass das nicht stimmt. Das Protein ist zwar entscheidend, aber auf eine andere - noch unbekannte - Weise.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verwendeten fluoreszierend markierte Antikörper, um 53BP1 (rot) und ein weiteres Schlüsselprotein, RIF1 (grün), zu verfolgen. Sie überprüften, ob die Proteine in Bereiche mit DNA-Schäden innerhalb des Zellkerns rekrutiert wurden (blau).

Die Fachgebiete Immunologie und DNA-Reparatur müssen überdenken, wie ein Schlüsselprotein das Immunsystem des Körpers unterstützt, so das Fazit einer neuen Studie, die in der Zeitschrift Cell Reports veröffentlicht wurde.  

Das Protein 53BP1 ist wichtig für die Produktion verschiedener Antikörpertypen während der Immunantwort. Viele Jahre nahm man an, dass das Protein in erster Linie die Enden zerbrochener DNA-Stränge vor weiteren Schäden schützt, während Antikörper produziert werden. Das MDC-Team hat jedoch festgestellt, dass dies nicht die wesentliche Rolle des Proteins ist.  

Es kommt nicht jeden Tag vor, dass ein Forschungsteam etwas entdeckt, das die Denkweise eines ganzen Fachgebiets in Frage stellt. So war es in der Tat zunächst schwierig für die Gruppe, die eigenen Studienergebnisse zu verinnerlichen, weil sie so unerwartet waren. „Es hat lange gedauert, bis ich das akzeptiert habe“, sagte Dr. Michela Di Virgilio, Leiterein des MDC-Labors für DNA-Reparatur und Erhaltung der Genomstabilität und Juniorprofessorin an der Charité. „Für uns ist es eine große Umstellung. Wir ändern die Richtung, die wir im Labor einschlagen.“ 

Genau hinschauen 

Die Arbeitsgruppe untersuchte die Rolle von 53BP1 in einem lebenswichtigen Prozess der Immunabwehr. Er sorgt für eine robuste Immunantwort und nennt sich Immunglobulin class switch recombination (CSR). Während der CSR brechen die Antikörper produzierenden Zellen in unserem Körper, die B-Lymphozyten, ihre eigene DNA auf, schneiden einen Teil der Sequenz aus und kitten sie dann wieder. So können sie Antikörpern herstellen, die Krankheitserreger besser bekämpfen können. CSR sorgt für Antikörper, die Krankheitserreger auf unterschiedliche Weise angreifen und somit besser gerüstet sind. Bei Patientinnen und Patienten ohne diese CSR-Fähigkeit ist das Immunsystem stark beeinträchtigt. Es fällt ihnen sehr schwer, Infektionen zu bekämpfen.  

Brüche in der DNA sind in der Regel sehr gefährlich, sie öffnen die Tür für Mutationen, die letztlich zu Krebs oder Zelltod führen können. Die Tatsache, dass Immunzellen ihre DNA absichtlich zerbrechen – nicht nur einen, sondern beide Stränge – fasziniert Di Virgilio. „Das ist der schlimmste Art von DNA-Schaden, den wir haben können“, sagte sie. „Aber in diesem Fall zerbricht die Zelle absichtlich ihre DNA, um die Immunität zu stärken.“  

Eine schematische Darstellung des 53BP1-Proteins, von dem bekannt ist, dass es eine wichtige Rolle für die Antwort auf DNA-Schäden und die Immunität spielt.

Eine Tür schließt sich, eine andere öffnet sich 

Dabei schützt das Protein 53BP1 tatsächlich zerbrochene DNA-Stränge vor weiteren Schäden, bevor sie wieder komplett verbunden werden. Aber ist das auch für die CSR unerlässlich? Um das zu prüfen, verhinderte das Team mit genetischen und biochemischen Werkzeugen den Schutz, ohne dabei die anderen bekannten Funktionen zu beeinträchtigen. Überrascht nahmen sie zur Kenntnis, dass die CSR nur geringfügig betroffen war. Erst als sie 53BP1 komplett ausschalteten, wurde die CSR wie erwartet fast gestoppt. Das deutet darauf hin, dass das Protein zwar wichtig ist, aber auf andere Weise als jeder dachte.   

„Diese Arbeit eröffnet den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in unserem Forschungsgebiet eine neue Tür. Sie können damit den Weg zur Antikörperdiversifizierung und den Beitrag von 53BP1 zu dieser Leistung überdenken“, sagt Devakumar Sundaravinayagam, MDC-Forscher und Erstautor der Studie. 

Immer noch ein Rätsel 

Was ist also die Schlüsselfunktion des Proteins in diesem Prozess? Das steht noch nicht fest. Möglicherweise trägt das Protein dazu bei, die funktionelle Struktur oder Architektur des Immunglobulin-Gens zu erhalten, vermuten andere in dieser Disziplin. Di Virgilio und ihr Team glauben, dass diese Funktion für die zentrale Rolle von 53BP1 im Zusammenhang mit der CSR verantwortlich sein könnte. Es laufen bereits Studien, um die richtige Antwort zu finden. 

Die genauen Details des DNA-Reparaturprozesses herauszufinden, ist anspruchsvolle, grundlegende Molekularbiologie. Aber in der Zukunft können die Erkenntnisse für Patientinnen und Patienten von großem Nutzen sein. „Ich liebe diese Arbeit. Es ist wirklich cool“, sagte Di Virgilio. „Das Translationspotenzial ist langfristig groß. Aber wir müssen erst die zugrunde liegenden Mechanismen verstehen, bevor wir weitermachen können.“  

 Laura Petersen

 

Weiterführende Informationen  

Michela Di Virgilio wird Juniorprofessorin  

Das Immunsystem als Bildhauer  

Literatur  

Devakumar Sundaravinayagam et al. (2019): „53BP1 supports Immunoglobulin Class Switch Recombination independently of its DNA Double-Strand Break End Protection function“. Cell Reports, doi: 10.1016/j.celrep.2019.06.035