„Lassen Sie uns reden“
Die Frau mit dem eingerollten Plakat geht zielgerichtet auf den Eingang des Hermann-von-Helmholtz-Hauses zu. „Kann ich Ihnen helfen?“, wird sie gefragt. Sie zögert kurz, lässt ihren Blick über etwa 120 Menschen schweifen, die sich auf der Wiese vor dem Gebäude versammelt haben. „Ach, ist das die Gegen-Demo?“ Sofort dreht sie sich um und geht zu ihrer Gruppe zurück. Etwa 15 Tierversuchsgegnerinnen und -gegner stellen sich rund zehn Meter entfernt stumm in einer Reihe auf und entrollen Transparente. „Müssen wir wissen, wie lange Nacktmulle ohne Sauerstoff auskommen?“ steht da zum Beispiel.
Für die Organisation „Ärzte gegen Tierversuche“ ist das eine rhetorische Frage. In einem populistischen Online-Voting hatten sie beschlossen, dass dem MDC-Forscher Gary Lewin für seine „absurden“ Versuche ein „Herz aus Stein“ gebührt. Sie übersahen geflissentlich, dass das Forschungsteam in der Studie herausfinden wollte, warum Nacktmulle einem Sauerstoffmangel ohne Schäden trotzen können – während beim Menschen Sauerstoffmangel nach einem Infarkt oder Schlaganfall für die Zellen in Herz und Hirn verheerende Folgen haben kann. Sie ignorierten den Fakt, dass das Team dabei einen bislang völlig unbekannten Schutzmechanismus bei den Nacktmullen entdeckt hatte. Nicht einmal die Tatsache, dass der von ihnen kritisierte Teil der Experimente gar nicht in Berlin stattgefunden hatte, nahmen sie zur Kenntnis. Es passte nicht zu ihrer These. In der Wissenschaft ist dieses Vorgehen als „Cherrypicking“ verpönt.
Ein Zeichen der Solidarität
Dass die Arbeit eines Kollegen derart verzerrt dargestellt und er persönlichen Diffamierungen preisgegeben wird, wollten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen Bereichen des MDC – aus der Verwaltung und aus den Tierhäusern, angesehene Forscherinnen und Forscher genauso wie Promovierende und Postdocs – nicht einfach hinnehmen. Statt in ihren Laboren und Büros zu bleiben, gingen sie auf die Tierversuchsgegner zu. Und auch sie hatten Schilder dabei. „Fragen Sie mich“, „Gesprächsbereit“ und „Lassen Sie uns reden“ war darauf zu lesen. Sie wollten Solidarität mit einem Kollegen zeigen, der durch die Kampagne persönlich angegriffen wurde, und gleichzeitig die biomedizinische Grundlagenforschung verteidigen.
Das MDC kommuniziert seit Jahren transparent über Tierversuche. Sich Kritik zu stellen, gehört schließlich zum Wesen der Wissenschaft. Trotz Diffamierungen den Dialog anzubieten, ist dagegen nicht selbstverständlich. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des MDC versuchten es dennoch. „Mit uns redet ja nie jemand“, sagte eine Tierversuchsgegnerin noch und wurde dabei schon in ein Gespräch verwickelt. Manche der Demonstranten wollten keine Argumente hören. Andere waren überrascht, dass die Forscherinnen und Forscher nur einen kleinen Teil ihrer Zeit mit Tierversuchen verbringen und längst zum Beispiel mit Organoiden oder bioinformatischen Methoden arbeiten und diese weiterentwickeln.
Eigentlich sollte es zum Abschluss eine große Diskussion in der Mensa geben. Die Gäste lehnten die Einladung ab. Es seien zu viele Forscherinnen und Forscher da, es sei keine Ausgewogenheit gewährleistet, außerdem hätten sie keine Zeit mehr. Stillschweigend packten sie die Steinskulptur wieder ein, filmten eine Weile vor den Toren des Campus und stiegen in ihre Autos.