Manches muss man einfach gesehen haben
Und Bettina Purfürst hat alles gesehen...
... das ist natürlich übertrieben, aber sie hat sicherlich mehr und mit höherer Auflösung gesehen als die meisten Forscher. Als Leiterin einer Abteilung, die im Jahr 2000 zur ersten zentralen Technologieplattform des Instituts avancierte, kümmert sich Dr. Purfürst um die Elektronenmikroskope des MDC. Ihr persönlicher Werdegang am Campus reicht noch weiter zurück, bis ins Jahr 1988, als sie als junge Biologin ihre Stelle in Buch antrat. Seither hat sie sich in ihrer Laufbahn dem Elektronenmikroskop gewidmet.
„Die Elektronenmikroskopie ist eine Technologie, die von den meisten Gruppen gebraucht wird. Aber natürlich kann nicht jedes Labor sein eigenes Gerät kaufen und das nötige Fachwissen erwerben“, meint sie. Derzeit verfügt die Einrichtung über zwei Transmissionselektronenmikroskope und wird von rund 80 Prozent der Forschungsgruppen am MDC genutzt. Purfürst und ihre beiden Techniker haben also viel zu tun, da die Präparation von Proben mit zeitaufwändiger Handarbeit verbunden ist.
Die Proben müssen klein genug sein
Die ersten serienreifen Elektronenmikroskope wurden 1939 durch Siemens gebaut. Die Forschung nutzte sie sofort, man mit ihnen die Begrenzungen der Lichtmikroskopie überwinden konnte. Die Wellenlänge von Elektronen ist etwa 100.000 Mal kürzer als die des sichtbaren Lichts. Dadurch sind sehr viel höhere Auflösungen möglich, die potenziell sogar die Molekularebene darstellen können. Für Untersuchungen ist ein Vakuum notwendig, da andernfalls der vom Instrument erzeugte Elektronenstrahl durch die Atome in der Luft gestreut würde. Für diesen Zweck müssen die Proben mit speziellen Verfahren präpariert werden, und hier kommen Purfürst und ihre beiden Techniker ins Spiel.
Die Proben müssen klein genug sein (2-3 mm), um sie in das Vakuum der Mikroskopsäule einführen zu können, und dünn genug, um die Transmission von Elektronen zu ermöglichen. Ein Weg dahin besteht in der chemischen Fixierung der Proben und der Einbettung in Plastik. So entsteht ein Block, von dem dann hauchdünne Scheiben geschnitten werden, um Querschnitte für die mikroskopische Untersuchung zu erhalten.
Diese Prozedur hat den Nachteil, dass die Plastikumhüllung die Strukturen in der Probe verzerren oder Artefakte erzeugen kann. In den 1980er Jahren dann kam die Kryopräparation auf, die auf der Entdeckung basiert, dass sich Proben einfrieren und so schneiden lassen, dass sich weder Eiskristalle bilden noch sonstige Verzerrungen entstehen. Die MDC-Plattform hat auch diese Präparationsmethode angeboten, bis einer der Mitarbeiter von Bettina Purfürst in den Ruhestand ging. Sie hofft, dass ein neues Teammitglied diese Lücke füllen wird.
Winzige Goldkörnchen als Markierung
Derzeit nutzen die Wissenschaftler am Institut die EM hauptsächlich für strukturelle Studien zu Geweben, Zellen und Organellen oder zur genauen Ortsbestimmung von Molekülen. Für letzteren Zweck wird in der Regel die Immunmarkierung verwendet, wobei Goldkörnchen in der Größenordnung von 2-20 Nanometern (nm; zum Vergleich: ein menschliches Haar ist 80.000 nm breit) mit Antikörpern bestückt wurden, um bestimmte Proteine aufzuspüren. Auf diese Weise sind sogar Doppelmarkierungen mit unterschiedlich großen Goldkörnchen möglich.
Dank der präzisen Darstellung durch die EM können Wissenschaftler detaillierte Studien zu Morphologie und Bestandteilen von Zellen und ihre Veränderung nach bestimmten Eingriffen erstellen. Das Ausschalten von Genen („Knockout“),Krankheiten, Therapien und andere Ereignisse wirken sich auf zelluläre Struktur, Organellen und Funktionen aus, und dies hilft, die Wirkung auf Organismen als Ganzes zu erklären. Mithilfe der EM können Forscher betroffene Zellen mit ihren gesunden Gegenstücken vergleichen und nach wichtigen Unterschieden suchen. Auch Biopsien aus Kliniken gehen bei der Plattform ein; sie werden auf diese Weise zu Forschungs- oder Diagnosezwecken untersucht.
„Jedes Gewebe kann von Krankheiten oder anderen Einwirkungen betroffen sein“, erklärt Purfürst. „Wenn also Wissenschaftler in unsere Einrichtung kommen, müssen sie eine genaue Fragestellung haben, vor allem dazu, welche Zell- und Gewebearten vermutlich verändert sind und untersucht werden sollen. Anders ausgedrückt: Die EM ist kein Screening. Und manchmal ist sogar die Beschreibung des gesunden, natürlichen Gewebes bzw. des Organismus nicht leicht, denn man sucht wie bei der Nadel im Heuhaufen nach Strukturen, die zu klein oder zu selten sind, um sie ausfindig zu machen.“
Einblicke in Chorea Huntington
Bei weiteren von der EM-Plattform durchgeführten Studien geht es um die strukturelle Untersuchung von Molekülen. Die Arbeitsgruppe von Oliver Daumke nutzt EM, um Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie sich Proteine zu molekularen Maschinen zusammensetzen. Die Gruppe um Erich Wanker untersucht die Fibrillenbildung bei der Huntington-Erkrankung: Größe und Form der Fasern ändern sich unter verschiedenen Bedingungen, sodass Einblicke in die Phasen ihrer Aggregation möglich sind. Ihre Struktur wird auch durch andere, mit den Fibrillen assoziierte Moleküle beeinflusst – Wankers Labor versucht zu ermitteln, wie andere Proteine die Faltung der Untereinheiten von Fibrillen beeinflussen, so dass diese eine tödliche, nicht mehr auflösbare Form bilden. All diese Moleküle lassen sich im EM – an Raster angelagert und mit negativem Kontrastmittel eingefärbt – direkter betrachten.
Die von den Instrumenten gelieferten Bilder werden mit hoch auflösenden Kameras erfasst, die zunehmend im Rahmen quantitativer Untersuchungen verwendet werden. „Damit können wir zehn- bis zwanzigmal so viele Bilder machen wie früher mit Filmen“, berichtet Bettina Purfürst. „Trotzdem arbeiten wir hier nicht mit hohem Durchsatz. Es ist viel Handarbeit dabei, und die Präparation der Proben erfordert viel Erfahrung und Geschick.“
Und zur Auswertung der Ergebnisse braucht es noch etwas: gute Augen. Purfürst scrollt durch Bilder aus neueren Projekten und benennt, was sie sieht: hier ein Schnitt durch den Dickdarm, mit den Krypten, die Stammzellen enthalten, dort die Kanäle von Nierenzellen, da eine Scheibe Hirngewebe mit Anzeichen von Myelinverlust, alles Proben aus Krankheitsstudien. Alle müssen mit gesunden Kontrollbildern verglichen werden. Dabei sollen Verbindungen zwischen der Molekularebene des Lebens und ihre Auswirkungen auf Strukturen höherer Ebenen hergestellt werden. Mit neuen Methoden zur Kryopräparation und modernen, hochwertigen Elektronenmikroskopen lässt sich mit diesen Verfahren derzeit eine Auflösung von 0.05 nm erreichen. Das ermöglicht eine Untersuchung biologischer Moleküle in ihrem natürlichen Umfeld.