Motivationsschub für den Laboralltag
Ein Dutzend Augenpaare ist auf Jan Möller gerichtet. Der Wissenschaftler, Doktorand in der Arbeitsgruppe von Martin Lohse, erforscht G-Protein-gekoppelte Rezeptoren. „Wo soll ich anfangen – wissen Sie ungefähr, wie eine Zelle aussieht und was Proteine sind?“ Die Zuhörerinnen und Zuhörer nicken. Jan Möller erklärt, wozu die Rezeptoren gut sind, wie sie aussehen und funktionieren, und mit welcher Fragestellung sich die Arbeitsgruppe aktuell beschäftigt. „Ich war überrascht, wie gut die Vorkenntnisse der Teilnehmenden waren“, sagt der Pharmazeut, als die Laborführung vorbei ist. Es war seine erste Lange Nacht der Wissenschaften am MDC.
Besonders spannend für ihn: dass so viele Leute kommen und sich für die Arbeiten, die eher grundlegender Natur sind, interessieren – und ein Teilnehmer sogar Fragen zu den Signalwegen G-Protein-gekoppelter Rezeptoren hatte, die über das Lehrbuchwissen hinausgehen. „Damit hätte ich nicht gerechnet“, sagt Jan Möller. Aber es hat ihm ungemein gefallen, auch fachlich gefordert zu werden. Bei der nächsten Langen Nacht möchte er wieder mitmachen.
Vom Ballon zum Pudel-Kunstwerk
Die erste Laborführung von Michael Strehle liegt lange zurück. Die Forschungsgruppe von Carmen Birchmeier, in der er arbeitet, ist von Anfang an dabei. „Bei meiner ersten Laborführung war ich sehr nervös und habe die Geduld der Leute mit einem langen Fachvortrag strapaziert“, erinnert sich der Wissenschaftler lächelnd. Inzwischen weiß er, wie er die Aufmerksamkeit der Leute gleich mit der ersten Folie fesseln kann: Darauf sind ein aufgeblasener Luftballon zu sehen und ein Luftballon-Kunstwerk, das einen Pudel darstellt. Entwicklungsbiologen, erklärt Michael Strehle dann, wollen wissen, wie man vom Ballon zum Hund kommt, also: von einer einzelnen Zelle zum vollständigen Organismus.
Der Wissenschaftler macht bei der Langen Nacht mit, weil er meint, dass Forschung eine Bringschuld hat. „Unsere Arbeit kostet den Steuerzahler eine Menge Geld. Deswegen finde ich es angemessen, dass wir uns einmal im Jahr hinstellen und erzählen, was wir eigentlich machen“, sagt Strehle. Außerdem bereitet ihm das Interesse der Besucherinnen und Besucher viel Freude. „Alle sind sehr offen und interessiert, stellen viele Fragen“, berichtet er. Oft kommen Teilnehmende mit einem konkreten Anliegen, wie ein Mann, der sich gezielt nach dem Zusammenhang von Multipler Sklerose und Myelinisierungsstörungen erkundigte. Sie sind ein Spezialgebiet von Michael Strehle: Nervenfasern sind von Myelin umgeben, so wird die Informationsübertragung beschleunigt; am MDC wird erforscht, wie Störungen der Myelinbildung „repariert“ werden können.
Michael Strehle kommt bei seiner Forschung nicht ohne Tierversuche aus, ein Thema, mit dem er bei seinen Laborführungen offen umgeht. Die meisten Besucherinnen und Besucher sähen Versuche an Tieren als begründet an. Aber natürlich gebe es auch einige, die fundamentale Kritik äußerten. „Mit denen komme ich im Labor trotzdem manchmal sehr nett ins Gespräch“, berichtet der Wissenschaftler.
Betroffene informieren sich über Forschung zu Krebs
Bei Annika Fendlers Laborführung ist der kleine Seminarraum, in dem sie eine Einführung in das Thema Krebsstammzellen und molekulare Tumortherapien gibt, gestopft voll. Bis in den Türrahmen quetschen sich die Besucherinnen und Besucher. Es ist das vierte Lange-Nacht-Jahr für die Wissenschaftlerin. „Mir macht es großen Spaß, mich mit Nichtwissenschaftlern über meine Arbeit auszutauschen – auf einem guten Niveau, denn die Leute, die hierher kommen, sind bestens informiert“, sagt Annika Fendler.
Gelegenheit zum Austausch hatte die Nierentumor-Expertin in diesem Jahr reichlich: Neben der Laborführung hielt sie einen Vortrag zum Thema Personalisierte Medizin und beteiligte sich an der neuen Show „ECHT oder FAKE“, bei der Forschende kuriose echte und „falsche“ Fakten aus der Wissenschaft präsentierten. Stets wurde Annika Fendler mit Fragen bestürmt, zum Beispiel, wie man im Blut schwimmende Tumorzellen für die Diagnose nutzen kann oder wie eine „personalisierte“ Krebsbehandlung genau abläuft.
Auch die Forschenden profitieren vom Austausch
Annika Fendler will zeigen, dass Wissenschaft nicht im Elfenbeinturm stattfindet, sondern gesellschaftliche Relevanz hat. „Ich möchte mit meiner Forschung etwas verändern, will dazu beitragen, dass verbesserte Therapieformen gegen Krebs gefunden werden – und deswegen unsere Arbeit auch in der Öffentlichkeit vermitteln und verständlich machen“, sagt die Biologin. Außerdem profitiere sie persönlich von dem Austausch mit den Besucherinnen und Besuchern. „Ich finde diesen Tag immer bereichernd. Er gibt mir einen Motivationsschub, ändert meinen Blick auf die Dinge“, sagt Annika Fendler. Schließlich kämen viele von Krebserkrankungen Betroffene – persönlich oder in der Familie – zur Langen Nacht, um sich zu informieren. Im Laboralltag gibt es solche Kontaktmöglichkeiten nicht.
Bei ihrer ersten Laborführung war Annika Fendler noch unsicher, ob ein längerer theoretischer Teil gut ankommt. Als sie ihre Einführung gab, kam es dann zu einer aufschlussreichen Situation: Eine Besucherin beschwerte sich, sie sei wegen der Labors da und nicht, um sich einen längeren Vortrag anzuhören. Bei den anderen Teilnehmenden regte sich spontan Widerstand – sie seien genau deswegen gekommen und fänden den Vortrag gut. „Die Leute wollen sehr genau wissen, was wir tun“, resümiert Fendler – und genau das macht für sie auch den Reiz aus.