Neue Ebene der Genregulation spielt eine Rolle bei Herz-Kreislauferkrankungen
Gene sind Baupläne für Proteine, die unseren Körper aufbauen und dort die meisten biologischen Prozesse steuern. Wenn ein Gen im Kern einer Zelle abgelesen wird, dann wird zunächst eine Abschrift in Form eines Moleküls namens Boten-RNA angefertigt. Dieser Prozess wird Transkription genannt. Wird ein Gen zum falschen Zeitpunkt abgelesen, oder zum richtigen Zeitpunkt nicht abgelesen, oder aber im falschen Gewebe, dann können Krankheiten entstehen. Forscher sind sich heute einig, dass wohl viele der großen Volkskrankheiten unter anderem durch solche Fehler in der Genregulation auf der Ebene der Transkription verursacht werden.
Doch die Transkription ist nicht die einzige wichtige Funktionsebene in unserem Genom. Die Boten-RNA wird vom Zellkern in das Zellplasma transportiert und dient dort als Vorlage für die Synthese der Proteine. Dieser Prozess wird Translation genannt und findet in den Ribosomen, den Proteinfabriken der Zellen, statt. Werden aber tatsächlich alle Boten-RNAs in gleichem Maße in Eiweisse umgesetzt? „Es war bisher wenig bekannt darüber, wieviel translationelle Regulation es gibt und wie sie sich zwischen Individuen unterscheidet“, sagt Sebastian Schäfer, ehemals am MDC und mittlerweile am National Heart Research Institute in Singapore (NHRIS) und einer der beiden Erstautoren der Studie in Nature Communications. „Das hat sich noch niemand Genom-weit angesehen.“
Das Team um Professor Norbert Hübner, Leiter der Forschungsgruppe Experimentelle Genetik von Herz-Kreislauferkrankungen am MDC, und die beiden Erstautoren Sebastian Schäfer und Eleonora Adami vom MDC hat nun genau das getan. Die Forscher haben dazu die Prozesse bei der Transkription und Translation im Kontext der Krankheitsentstehung im Herz- und Lebergewebe von zwei Rattenstämmen untersucht und miteinander verglichen. Dabei ist der eine Rattenstamm gesund, der andere entwickelt spontan Bluthochdruck und wird in der Genforschung häufig als Modell für Herz-Kreislauferkrankungen verwendet.
Zunächst haben die Forscher im Herz- und Lebergewebe der beiden Rattenstämme die Gesamtheit der zu einem bestimmten Zeitpunkt jeweils vorhandenen Boten-RNAs erfasst – und somit bestimmt, welche Gene jeweils abgelesen wurden. Als nächstes haben sie mit einer neuen Technik, dem sogenannten Ribosome profiling, untersucht, welche Boten-RNAs zu einem bestimmten Zeitpunkt von den Ribosomen aktiv in Proteine umgesetzt werden. „Wir haben sozusagen einen Schnappschuss von der Translation in vivo gemacht“, erläutert Eleonora Adami.
Dabei sind die Forscher zu überraschenden Erkenntnissen gelangt. Bei der Transkription fanden sie eine große Zahl von Genen – jeweils mehrere hundert Gene – die in Herz- und Lebergewebe von gesunden im Vergleich zu kranken Ratten unterschiedlich abgelesen wurden. Das war für sich genommen nicht neu. Wohl aber das: „Als wir uns die Translation angesehen haben, haben wir doppelt so viele Gene gefunden, die individuell unterschiedlich reguliert wurden“, sagt Schäfer. Die Technologie ermöglichte es den Forschern somit, zahlreiche Gene aufzuspüren, die ausschließlich während der Proteinsynthese reguliert werden. Dadurch haben sie Unterschiede zwischen gesunden und kranken Ratten aufgedeckt, die ansonsten nicht nachweisbar waren.
„Wir konnten erstmals zeigen, dass das Ausmaß der Regulation auf der Ebene der Translation sehr groß ist“, sagt Adami. Das heißt, es gibt eine nicht unerhebliche Zahl von Genen, die für Boten-RNAs kodieren, von denen individuell unterschiedliche Mengen an Eiweissen produziert werden. Die Forscher nehmen an, dass diese neuen Gene, die sich bei den beiden Rattenstämmen unterschiedlich verhalten, möglicherweise zur Entstehung von Krankheiten beitragen.
Es gibt viele Gene, die in der Vergangenheit bei Genom-weiten Assoziationsstudien des Menschen mit Herz-Kreislauf- oder Stoffwechselerkrankungen in Verbindung gebracht wurden, von denen aber nicht bekannt ist, wie sie diese Krankheiten genau verursachen. Das Team hat sich daher angesehen, ob Krankheitsgene des Menschen von dieser Regulation betroffen sein könnten.
Die Forscher vom MDC untersuchten dazu das jeweilige Gegenstück einiger dieser Krankheitsgene des Menschen bei der Ratte. Und tatsächlich wurde ihr Verdacht bestätigt: Ein großer Teil dieser Gene wird im Herz- und Lebergewebe während der Translation reguliert. Die Forscher um Prof. Hübner halten es daher für sehr wahrscheinlich, dass die Genregulation auf der Ebene der Translation auch bei Herz-Kreislauferkrankungen des Menschen eine große Rolle spielt. Sie wollen dies nun in krankem Gewebe des Menschen überprüfen.
Highlight Referenz:
Schafer, S.,Adami, E., Heinig, M.,Costa Rodrigues, K.E.,Kreuchwig, F., Silhavy, J.,van Heesch, S., Simaite, D., Rajewsky, N., Cuppen, E., Pravenec, M., Vingron, M., Cook, S.A. and Hübner, N. Translational regulation shapes the molecular landscape of complex disease phenotypes (2015), doi: 10.1038/ncomms8200