Praxistest für Postdocs
Einen Brückenschlag zwischen akademischer Forschung und einer Karriere in der Industrie bietet das „Academy meets Industry“-Programms des Max Delbrück Center. Postdoktorand*innen können sich jeweils zu Beginn des Jahres beim Career Center darum bewerben, die ersten drei Monate des Folgejahres von der Arbeit in ihrer Arbeitsgruppe freigestellt zu werden, um in einem Unternehmen zu arbeiten. Dafür müssen sie ein Motivationsschreiben vorlegen und erklären, warum sie das Praktikum machen wollen und wie es ihre Karriere fördern würde. Bei der Auswahl eines Unternehmens haben sie freie Wahl; wenn sie jedoch allein nicht fündig werden, vermittelt ihnen das Career Center eine Stelle. Auch bei der Vertragsgestaltung unterstützen die Mitarbeiter*innen.
Dr. Jeanne Mbebi und Dr. Oscar Sánchez-Carranza gehören zu den sieben Postdoktorand*innen, die in diesem Jahr einen Ausflug in die Industrie gemacht haben. Von ihren Erfahrungen berichten sie hier im Interview.
Seit wann seid ihr am Max Delbrück Center, und woran arbeitet ihr?
Jeanne Mbebi: Ich bin seit Januar 2023 als Postdoktorandin in der Arbeitsgruppe von Norbert Hübner tätig. Ich analysiere dort Einzelzell-RNA-Sequenzierungsdaten und versuche zu verstehen, wie Gene mutieren oder sich falsch verhalten, dass es zu Herzkrankheiten kommt. Es ist meine dritte Postdoc-Stelle. Vorher war meine Arbeit theoretischer und bezog sich auf Pflanzen. Ich war am Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie – auch spannend, aber etwas völlig anderes.
Oscar Sánchez-Carranza: Ich habe 2016 als Doktorand in der Arbeitsgruppe von Gary Lewin angefangen. Mittlerweile bin ich dort in meinem zweiten Postdoc-Jahr. Ich interessiere mich für die Mechanismen der Schmerzempfindung – genauer gesagt, für Proteine in den sensorischen Neuronen. Wir wollen untersuchen, wie diese Proteine reguliert werden, damit wir mechanische Reize aus der Umwelt wahrnehmen können. Außerdem bin ich an einem Projekt beteiligt, in dem wir nach neuen kleinen Molekülen für Schmerzmedikamente suchen, die als Alternative für Opioide in Frage kommen.
Warum habt ihr am „Academy meets Industry“-Programm teilgenommen?
Jeanne Mbebi: Ich war mir nicht sicher, welcher Weg der richtige für mich ist: in der Grundlagenforschung bleiben oder in die Industrie wechseln? Darüber wollte ich mir Klarheit verschaffen. Schon nach meiner Promotion hatte ich das Gefühl, dass ich etwas anderes als akademische Forschung machen möchte. Ich habe mich damals nach einer Stelle als Datenwissenschaftlerin in der Industrie umgesehen, aber nichts gefunden. Dann bot sich mir die Gelegenheit, meinen Postdoc-Vertrag zu verlängern – also habe ich das gemacht. Als ich die Ausschreibung für „Academy meets Industry“ gesehen habe, dachte ich, das könnte eine gute Chance sein, Unternehmensluft zu schnuppern.
Potenzial für eine Ausgründung
Oscar Sánchez-Carranza: Ich bin fasziniert von der Idee, Medikamente zu entwickeln, weil man damit Menschen wirklich helfen kann. Um Ergebnisse aus der Grundlagenforschung in die Anwendung zu bringen, braucht man ein Unternehmen im Rücken. Unser Small-Molecule-Projekt hat das Potenzial für eine Ausgründung. Aber auch unabhängig davon wollte ich Erfahrungen in einem Unternehmen sammeln.
Wo habt ihr gearbeitet? Und woran?
Jeanne Mbebi: Ich war bei der Feral GmbH, einem Berliner Unternehmen, das einen Zyklus-Tracker namens inne auf den Markt gebracht hat, mit dem Frauen ihre fruchtbaren Tage bestimmen können. Er besteht aus drei Komponenten: Teststreifen, einem Lesegerät – oder auch Minilabor, wenn man so will – und einer App. Die Frauen müssen die Teststreifen mit Speichel befeuchten und in das Lesegerät einführen. Das Gerät erkennt den Progesterongehalt im Speichel und sendet das Ergebnis an die App. Die App berechnet daraus die Fruchtbarkeit und zeigt an, wie hoch die Wahrscheinlichkeit einer Empfängnis ist.
Neben der Empfängnisplanung soll die App dazu beitragen, dass Frauen ihren Zyklus besser verstehen. Deshalb verfügt sie über eine Tagebuchfunktion, in der die Nutzerinnen eingeben können, wie sie sich fühlen. Ich habe diese Eingaben analysiert und nach wiederkehrenden Mustern gesucht. Denn eines Tages soll die App den Frauen auch vorhersagen können, mit welchen Symptomen sie in den einzelnen Phasen ihres Zyklus rechnen können.
Oscar Sánchez-Carranza: Ich habe bei Bayer Strategien entwickelt, um Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu behandeln. Es war eine große Herausforderung für mich, in ein neues Forschungsfeld einzutauchen; bislang war ich ja in den Neurowissenschaften unterwegs. Ich bin zur Verschwiegenheit verpflichtet, deshalb kann ich nicht im Detail sagen, woran genau ich gearbeitet habe. Nur so viel: Ich habe Experimente geplant und durchgeführt, die hochauflösende Bildgebung nutzen und diese ganzen Bilddaten automatisiert ausgewertet – ebenfalls ein ganz neues Tätigkeitsfeld für mich. Das Entscheidende war, dass ich viele Kontakte knüpfen und mit Expert*innen aus ganz unterschiedlichen Bereichen sprechen konnte, angefangen bei der Forschungs- und Entwicklungsabteilung über die Toxikologie bis hin zum Wirkstoffscreening.
Worin unterscheidet sich die Arbeit in einem Unternehmen von der Arbeit in einem Forschungsinstitut?
Jeanne Mbebi: Um ehrlich zu sein, habe ich keine großen Unterschiede festgestellt. Außer, dass die Arbeit strenger organisiert ist. Man muss jeden Tag einen Bericht abliefern. Das ist in der Wissenschaft nicht der Fall, da ist man ein bisschen flexibler.
Oscar Sánchez-Carranza: Grundlagenforschung ist oft eine unendliche Geschichte: Man verfolgt eine bestimmte Fragestellung über Jahre, und manchmal gibt es am Ende trotzdem kein konkretes Ergebnis. Das ist in der Industrie völlig anders. Man arbeitet an einem Projekt, und wenn es in einem bestimmten Zeitraum keine sichtbaren Ergebnisse gibt, wird es eingestellt. Ich finde das überhaupt nicht schlimm. Denn dann hat man die Möglichkeit, sich wieder auf etwas Neues zu konzentrieren. Alles wird sehr straff organisiert und detailliert dokumentiert, damit die einzelnen Abteilungen nachvollziehen können, was in den anderen Bereichen passiert. Das ist ein sehr dynamisches Umfeld.
Wisst ihr jetzt, ob ihr aus der akademischen Forschung in die Industrie wechseln möchtet?
Jeanne Mbebi: Ich kann es mir sehr gut vorstellen.
Oscar Sánchez-Carranza: Ich möchte das auf jeden Fall.
Das Gespräch führte Jana Ehrhardt-Joswig.