Starthilfe für den Weg in die Praxis
Dreidimensionale Bilder der Genaktivität von Zellen in Tumoren und dem umliegenden Gewebe, neue Immuntherapien gegen Krebs, die anders als bisherige Ansätze auf Viren verzichten können, und die Nutzung Künstlicher Intelligenz, um Veränderungen im Gehirn von Patient*innen mit Multipler Sklerose, kurz MS, besser zu erkennen und zu verstehen – darum geht es in den Forschungsvorhaben am Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC), die jetzt vom BMBF ein beziehungsweise zwei Jahre lang gefördert werden. Die finanzielle Unterstützung soll den Teams dabei helfen, ihre Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung möglichst schnell in die klinische Anwendung zu bringen.
3D-Karten der Genaktivität
Das Projekt 3DGenes (Dreidimensionale, molekulare Pathologie für die personalisierte Medizin) unterstützt das BMBF in seinem Programm „GO-Bio initial“ ein Jahr lang mit insgesamt 100.000 Euro. Ein dreiköpfiges Team aus der von Professor Nikolaus Rajewsky geleiteten MDC-Arbeitsgruppe „Systembiologie von Gen-regulatorischen Elementen“ lotet hierbei die Gründung eines Unternehmens aus, das unter anderem Krebspatient*innen zu besseren Behandlungsstrategien verhelfen soll. Neben dem Doktoranden Jonathan Alles sind der Projektleiter Dr. Nikolaos Karaiskos und der Postdoc Dr. Marvin Jens an dem Vorhaben beteiligt. Gemeinsam mit ihrer Arbeitsgruppe erstellen die Forscher dreidimensionale Karten der Genaktivität in Tumoren und dem umliegenden Gewebe.
„Krankheiten entstehen durch komplexe Veränderungen in Zellen und Geweben“, erläutert Jens. „Um sie zu verstehen, analysieren wir nicht nur einzelne Zellen, sondern untersuchen auch ihr Zusammenspiel, etwa an der Grenze zwischen gesundem und krankem Gewebe – bei Krebs also beispielsweise zwischen dem Tumor und dem Immunsystem.“ Im Labor von Rajewsky entwickelt die Gruppe Computermodelle, mit deren Hilfe sie die Kommunikation der Zellen erforschen und molekulare Veränderungen, die nur im Gewebezusammenhang erkennbar sind, identifizieren kann. „Die dadurch gewonnenen Einsichten in die Entstehung und den Verlauf einer Krebserkrankung haben weitreichendes Potenzial, um die Diagnostik zu verbessern und eine personalisierte Therapie zu entwickeln, bei der zum Beispiel das eigene Immunsystem den Tumor bekämpft“, sagt Jens.
Immuntherapien ohne Viren
Um neue und bessere Immuntherapien gegen Krebs geht es auch in dem Projekt syncDNA (Innovative DNA-Technologien für nicht-virale Immuntherapien), das ebenfalls über „GO-Bio initial“ ein Jahr lang mit 100.000 Euro gefördert wird. Ein Team um Dr. Jan Pille, den Leiter des MDCell – Helmholtz Innovation Lab, entwickelt in diesem Forschungsvorhaben Strategien, um die T-Zellen des Immunsystems für ihren Kampf gegen den Tumor mit den entsprechenden molekularen Stukturen passgenau aufzurüsten. Das Team nutzt dafür keine Viren. Stattdessen suchen die Forschenden nach Ansätzen, um die Immunzellen allein mithilfe von Enzymen mit den notwendigen Informationen in Form von DNA auszustatten, über die es den Zellen gelingt, das Krebsgewebe zielgerichtet zu attackieren.
„Wir arbeiten daran, die nötige DNA vollsynthetisch, also ohne die Hilfe von Bakterien herzustellen“, erläutert Pille. Außerdem wolle man das Erbmaterial – das die Bauanleitung für tumorspezifische Oberflächenrezeptoren der T-Zellen enthält, mit denen diese an die Krebszellen andocken – ohne Viren als „Taxi“ in die Immunzellen einschleusen. „Wir nutzen dazu ein Enzymsystem namens Sleeping Beauty“, erklärt Pille. „Dieses erkennt die künstliche DNA und baut sie in das Erbgut der T-Zellen ein, so dass diese anfangen, den Rezeptor herzustellen, den sie für ihren Kampf gegen die Krebszellen benötigen.“ Der Verzicht auf Bakterien und Viren mache personalisierte Therapien, die ganz auf den jeweiligen Tumor zugeschnitten seien, sicherer, schneller und kostengünstiger, sagt Pille.
Intelligente Werkzeuge für die Radiologie
Das dritte vom BMBF geförderte Projekt am MDC, SyReal (Synthetisierung von realistischen Daten für anwendbare Künstliche Intelligenz in der Medizin), wird sich zunächst auf Veränderungen im Gehirn und anderen lebenswichtigen Organen konzentrieren. „Wir werden diese Veränderungen anhand synthetischer MRT-Daten nachbilden, um Algorithmen zu trainieren, die Krankheiten wie die Multiple Sklerose künftig schneller und früher entschlüsseln sollen“, sagt die Projektleiterin am MDC, Dr. Sonia Waiczies aus der Arbeitsgruppe „Experimentelle Ultrahochfeld-MR“ von Professor Thoralf Niendorf. SyReal wird dank der BMBF-Richtlinie „Erzeugung von synthetischen Daten für Künstliche Intelligenz“ zwei Jahre lang mit knapp 1,7 Millionen Euro unterstützt, von denen rund 250.000 Euro ans MDC gehen. Koordinator des Vorhabens, an dem auch industrielle Partner beteiligt sind, ist Professor Christoph Lippert vom Hasso-Plattner-Institut für Digital Engineering in Potsdam.
„Wir entwickeln mit den Methoden der Künstlichen Intelligenz spezielle Algorithmen, mit deren Hilfe Ärztinnen und Ärzte krankheitsbedingte Veränderungen im Gewebe leichter erkennen“, erläutert Waiczies. „Diese Algorithmen müssen sowohl seltene Krankheitsmerkmale aufspüren können als auch robust gegenüber äußeren Störfaktoren sein.“ Im vergangenen Jahr konnten Waiczies und ihr Team beispielsweise zeigen, dass ein neu entdeckter krankhafter Befund im Tiermodell der Multiplen Sklerose auch bei Patient*innen beobachtet werden konnte. „Unsere Ergebnisse wiesen darauf hin, dass pathologisch relevante makroskopische Veränderungen in den Hirnkammern eine gründlichere Bewertung der MRT-Daten des Gehirns erfordern“, sagt Waiczies. Diese Bewertung soll künftig über einen Vergleich mit synthetischen Bildern des Organs erfolgen, die mit Verfahren des maschinellen Lernens anhand realistischer Daten erzeugt wurden.
„Die Multiple Sklerose ist eine sehr komplexe Erkrankung und es braucht komplexe Methoden, um Merkmale im Gehirn der Erkrankten zu entdecken, die das menschliche Auge nicht erkennen kann“, sagt Waiczies. „Mit den von uns entwickelten Algorithmen wollen wir Radiolog*innen und Patholog*innen ein Werkzeug geben, das sie beim Finden einer exakten Diagnose unterstützt.“
Text: Anke Brodmerkel
Weiterführende Informationen
Customized Cell Engineering: MDCell
3D-Landkarten der Genaktivität
Ebbe und Flut in den Hirnkammern