poecilia fish

Tricks aus der Tierwelt

Was können wir von Wühlmäusen, Schlangen, Fischen oder Nacktmullen lernen? Forschende aus aller Welt arbeiten mit ungewöhnlichen Versuchstieren, um Fragen der Biomedizin oder Neurowissenschaften zu beantworten. Diese vier Tiere mit verblüffenden Eigenschaften könnten sie dabei unterstützen.

Labormäuse helfen bei der Krebsforschung, Meerschweinchen beim Studium von Infektionskrankheiten und, weil Ratten ähnlich lernen wie Menschen, sitzen auch sie oft auf dem Labortisch. Diese Tiere, oder manchmal auch nur die Zellen dieser Tiere, sind für die Wissenschaft wichtig, um grundlegende Körperfunktionen und Krankheiten zu erforschen. Aber auch Schlangen oder Wühlmäuse sind manchmal Teil von Experimenten. Der große Unterschied zum Menschen macht sie für die Wissenschaft so interessant. Einige ihrer besonderen Eigenschaften könnten der Schlüssel für das Verständnis des Körpers und von Krankheiten sein. Was können wir von diesen Tieren lernen?

Einmal im Jahr kommen Forschende aus aller Welt zusammen, um ihre Arbeit mit unkonventionellen Versuchstieren einem internationalen Forschungspublikum vorzustellen. Gemeinsam mit der Europäischen Organisation für Molekularbiologie hat das MDC im September den EMBO Workshop in Berlin ausgerichtet – „Beyond the standard: Non-model vertebrates in biomedicine“. Mehr als 50 Tiere standen an diesen vier Tagen im Mittelpunkt der Vorträge und Diskussionen. Das waren einige von ihnen:

Python bivittatus – Eine Schlange mit großem Herz

Tigerphytons können nach einer reichhaltigen Mahlzeit die Größe ihrer Organe verdoppeln.

Tigerpythons können so richtig reinhauen, zumindest beim Essen. Sie verdrücken Beutetiere, die genauso groß sind wie sie selbst. Wir Menschen würden bei einer solchen Ernährung mit großer Wahrscheinlichkeit Herzkreislauf-Erkrankungen und Diabetes entwickeln. Tigerpythons dagegen vergrößern einfach ihre Organe: Einen Tag nach dem Festmahl ist das Herz auf die doppelte Größe angeschwollen. Verantwortlich dafür sind drei Fettsäuren im Blut der Schlangen, das hat ein Team an der University of Colorado Boulder herausgefunden. Diese Fettsäuren verhindern außerdem, dass sich Fett im Herzen ansammelt, was es schädigen würde. Und sie schalten bestimmte Signalwege ab, die normalerweise bei Patientinnen und Patienten mit metabolischem Syndrom aktiv sind. Das Schlangenherz könnte also der Schlüssel für ein Medikament für Menschen mit Herzkreislauf-Problemen sein, deren Herz häufig zu schwach ist, um den gesamten Körper ausreichend mit Blut zu versorgen. Das wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für neue präventive und therapeutische Ansätze nutzen. Denn ein größeres und gleichzeitig effektiveres Herz kann pro Schlag mehr Sauerstoff durch den Körper pumpen. 

Poecilia mexicana – Der Fisch, der im Gift schwimmt

Einigen Populationen von lebendgebärenden Zahnkarpfen macht giftiges Wasser mit Schwefelwasserstoff nichts aus.

Trotz Gifts im Wasser tummelt sich dieser kleine Verwandte der Guppys in mexikanischen Süßwasserquellen. Die darin enthaltenden Schwefelwasserstoffgase sind für Fische und Menschen eigentlich hochgiftig. Warum manchen dieser lebendgebärenden Zahnkarpfen dennoch gewisse Konzentrationen des Stoffs nichts anhaben können, erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Washington State University. Ihre Ergebnisse könnten in der Zukunft Patientinnen und Patienten mit Diabetes, Bluthochdruck oder Stoffwechselerkrankungen helfen. Denn Schwefelwasserstoff ist auch ein natürlicher Bestandteil des Körpers, der in sehr kleinen Mengen zum Beispiel an der Blutgefäßerweiterung und der Entzündungsregulierung beteiligt ist. Damit solche Stoffwechselprozesse glatt ablaufen können, dürfen Zellen aber nicht zu viel davon enthalten. Bestimmte Entgiftungsmechanismen sorgen in den Zellen für die optimale Konzentration. Poecilia mexicanakann offenbar mehrere Gene für die Zellentgiftung hochregulieren und so sogar im toxischen Wasser überleben. Die Forschenden wollen diesen Hinweisen nachgehen und die Mechanismen verstehen, die für das Gleichgewicht des Stoffes in den Zellen verantwortlich sind. Basierend auf diesem Wissen könnten möglicherweise Medikamente entwickelt werden, die wichtige Stoffwechselprozesse positiv beeinflussen.

Präriewühlmäuse sind sich ein Leben lang treu.

Microtus ochragaster – Monogame Wühlmaus

Warum leben in unserer Gesellschaft die meisten Menschen in monogamen Beziehungen? Nur etwa neun Prozent aller Säugetiere pflegen einen solchen Lebensstil. Wer wissen will, was im Gehirn von sich treu bleibenden Paaren passiert, kann dies bei Präriewühlmäusen gut untersuchen. Denn haben sich zwei der kleinen Nager erst einmal gefunden, bleiben sie ein Leben lang zusammen. Schon länger interessieren sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dafür, wie Hormone die Beziehungen zwischen Wühlmäusen beeinflussen. Eine zentrale Rolle spielt der Nuccleus accumbens– ein Knubbel von Nervenzellen, tief im Vorderhirn, der für das Belohnungssystem zuständig ist. Auch ein Team an der University of Colorado, Boulder erforscht dieses sogenannte Lustzentrum. Dabei sind sie jedoch nicht auf der Suche nach Glückshormonen, sondern schauen sich an, wie Nervenzellen in einem bestimmten Bereich feuern. Mit Hilfe von winzigen Kameras blickten sie in das Gehirn der Mäuse und fanden eine Gruppe von Neuronen, die für den Aufbau und den Erhalt einer starken Bindung zum Partner oder der Partnerin entscheidend sein könnten. Je stärker die Bindung zwischen den Paaren, desto mehr Neuronen gehörten zu diesem Ensemble an Zellen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten, dass genau diese Nervenzellen den Wunsch auslösen, mit seiner oder seinem Liebsten zusammen zu sein. Sie nennen diese Zellen „Approachneurons – Annäherungsneuronen“, denn die Zellen feuern in dem Moment, wenn eine Maus versucht seinen Partner oder seine Partnerin zu erreichen. Diese Erkenntnisse liefern Forschenden möglicherweise jene Grundstruktur im Gehirn, wo zwischenmenschliche Beziehungen angelegt sind. Dies könnte die Erforschung von menschlichen Bindungsstörungen voranbringen oder aufklären, warum es einigen Menschen besonders schwerfällt, den Verlust eines geliebten Angehörigen zu verkraften.

Nacktmulle können ein hohes Alter erreichen.

Heterocephalus glaber – Ewige Jugend bei Nacktmullen?

Schon im 3. Jahrhundert suchten Alchemisten die Formel für Unsterblichkeit. Fast 2000 Jahre später hat den Stein der Weisen noch immer niemand gefunden. Stattdessen interessieren sich Forschende aus aller Welt für ein kleines haarloses Säugetier, das möglicherweise das Geheimnis für gesundes Altern und dauerhafter Jugend in sich trägt: den Nacktmull. Je älter, desto größer die Sterbewahrscheinlichkeit – diese Devise gilt nicht für ihn. Nacktmulle werden steinalt und erfreuen sich auch als Greise bester Gesundheit. Betagte Mulle sind körperlich fit, sexuell aktiv, haben ein gesundes Herz und auch andere wichtige Körperfunktionen laufen so rund wie in jungen Jahren. Außerdem bekommen sie selten Krebs. Erstaunlicherweise fehlen Mullen laut neuesten Erkenntnissen von Calico Life Science, einer Forschungsgruppe in San Francisco,genau die Zellen, die wahrscheinlich beim Menschen bei der Vernichtung von Tumorzellen eine wichtige Rolle spielen. Die nackten Nager haben keine natürlichen Killerzellen. Das Calico-Team fand stattdessen andere Zellen des Immunsystems, die es bei Mäusen nicht gibt. Nacktmulle scheinen stärker auf Zellen zu setzen, die zum angeborenen Immunsystem gehören. Ob und wie dies zu einem langen Leben beitragen oder mit einer höheren Resistenz gegen Krebs zusammenhängt, ist jedoch noch unklar.

Als nächstes fragten sich Calico-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ob es wohl Stoffwechselmechanismen gibt, die das langsamere Altern bei Mullen beeinflussen. Die Stoffwechselprofile und Blutbilder der Mulle verglichen sie mit anderen Säugetieren. Im Blut fanden sie mehr von einigen Lipiden und weniger von bestimmten Aminosäuren als bei gewöhnlichen Labormäusen. Es gab aber auch Gemeinsamkeiten: Jene Profile mit mehr Aminosäuren ähneln denen von Eichhörnchen, die während des Winterschlafs fasten – oder denen von transgenen Mäusen, die durch genetische Manipulation länger leben können. Gleichzeitig regulieren Nacktmulle offenbar bestimmte Signalwege hoch, die ihre Zellen vor Schäden bewahren. Funktionieren vergleichbare Mechanismen beim Menschen nicht mehr richtig, steigt das Risiko für altersbedingte Krankheiten. Diese Erkenntnisse sind ein wichtiger Wegweiser für Forschende, um die richtigen Fragen für zukünftige Experimente zu stellen: Was bewirkt eine geringere oder höhere Konzentration eines Stoffes im Körper? Trägt dies zu einem längeren Leben bei? Und wenn ja wie genau?

Weitere Informationen: