„Unser Ziel ist die personalisierte Prävention“
Professor Pischon, Sie sind Studienleiter des am MDC angesiedelten NAKO-Studienzentrums Berlin-Nord, wo seit 2014 Daten von insgesamt 10.000 Personen erhoben wurden; bundesweit nehmen 200.000 Menschen an der NAKO teil und werden über mehrere Jahrzehnte begleitet. Was ist das Ziel der Studie?
Wir wollen Risikofaktoren für die häufigsten chronischen Krankheiten – etwa Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen – analysieren. Unsere Hoffnung ist, neue Risikofaktoren zu identifizieren und neue Biomarker zu entdecken: Wer hat ein hohes Krankheitsrisiko, wer nicht? Bisher kann man das nur ungenau schätzen. Unser Ziel ist eine personalisierte Prävention. Wir wollen also möglichst genaue Risikovorhersagen für einzelne Personen machen.
Wie kann man sich das vorstellen? Welche Daten erheben Sie, und wie werden diese interpretiert?
Nehmen wir das Beispiel Sport. Wir wissen, dass körperliche Aktivität generell das Risiko senkt, an verschiedenen chronischen Krankheiten zu erkranken. Aber welche Sportart in welcher Intensität für wen gesund ist, wissen wir nicht. Die NAKO-Teilnehmenden tragen sieben Tage lang ohne Unterbrechung einen Akzelerometer, der alle Bewegungen inklusive Beschleunigung dreidimensional aufzeichnet. Daraus können wir ein genaues Aktivitätsprofil erstellen. Da wir diese Daten wiederholt erheben, und das bei einer sehr großen Zahl an Personen, lassen sich daraus zukünftig Rückschlüsse ableiten, wie sich eine Sportart auf die individuelle Gesundheit auswirken kann.
Jetzt startet die zweite Runde, alle Teilnehmenden werden erneut untersucht. Worum geht es dabei?
Grundsätzlich bleiben wir mit den Männern und Frauen in Kontakt. Sie werden alle zwei bis drei Jahre befragt. Unter anderem wollen wir erfahren, ob und welche Krankheiten bei ihnen neu aufgetreten sind. Nach fünf Jahren laden wir sie ein zweites Mal zur gesamten Basisuntersuchung ein. Auch die Untersuchungen per Magnetresonanztherapie (MRT), von denen wir am MDC 6.000 gemacht haben, werden wiederholt. Dabei geht es uns zum Beispiel um Veränderungen bei der Dicke der Herzwände, wo es oft auch im Gewebe von gesunden Menschen Auffälligkeiten gibt, deren Bedeutung nicht klar ist. Sind das Normvarianten, oder sind sie doch krankhaft? Durch die Wiederholungsuntersuchung können wir sehen, wie sich diese Bilder verändert haben und ob wir sie eventuell mit dem Auftreten von Krankheiten in Verbindung bringen können.
Gibt es eine Fragestellung, die Sie besonders interessiert?
Da gibt es einige. Zum Beispiel die Frage, inwieweit Adipositas ein Risikofaktor für Folgeerkrankungen ist. Stark übergewichtige Menschen leiden häufig unter Bluthochdruck oder Fettstoffwechselstörungen. Aber das gilt nicht für jeden: Manche adipösen Menschen werden krank, andere nicht. Das hat zur Annahme geführt, es könnte einen „gesunden“ Adipositas-Typ geben. Ich hingegen halte Adipositas auf jeden Fall für einen Risikofaktor für künftige Erkrankungen und gehe davon aus, dass wir dafür Belege finden werden. Spannend finde ich auch die Frage, was sich aus dem „Geocoding“ ergeben wird: Aus Datenschutzgründen werden die Analyseergebnisse nicht mit den genauen Adressen der Teilnehmenden gekoppelt. Aber sie werden Regionen zugeordnet. Das heißt, wir können bewerten, wie sich Umweltveränderungen auf die Gesundheit auswirken, also etwa Feinstaub- und Lärmbelastung oder klimatische Veränderungen.
Wann beginnt die Auswertung der Daten?
Wir sind bereits dabei, die Daten aufzuarbeiten. Allerdings geht es dabei zunächst nur um die Beschreibung, nicht um eine Auswertung. Die Ergebnisse des Basisdatensatzes – zunächst werden jeweils die Hälfte der Daten ausgewertet, also von 100.000 Basis- und 15.000 MRT-Untersuchungen – werden Ende des Jahres vorliegen. Die Daten wertet allerdings nicht die NAKO selbst aus, sondern verschiedene Expertengruppen – auch vom MDC – stellen Anträge für Forschungsprojekte, die sich dann näher mit bestimmten Fragen beschäftigen.
Sie rechnen damit, dass etwa 70 Prozent der Teilnehmenden sich ein zweites Mal untersuchen lassen. Warum sind diese Folgeuntersuchungen, die jetzt starten, so wichtig für die Studie?
Der wissenschaftliche Wert der NAKO ergibt sich gerade durch ihren prospektiven Charakter: Indem wir diese fünf Jahre auseinanderliegenden Untersuchungen und zusätzlich das weitere Monitoring des Gesundheitszustandes der Teilnehmenden haben, können wir Veränderungen messen und diese später bewerten.
Ich gebe gerne noch ein Beispiel, warum das so nutzbringend ist: Für Bluthochdruck gibt es einen kritischen Wert, ab dem das Risiko für Folgeerkrankungen sehr hoch ist. Ähnlich ist die Lage bei Diabetes, wo man ab einem bestimmten Blutzuckerwert als krank gilt. Nun könnten aber auch weniger stark erhöhte Werte die Gesundheit beeinträchtigen. Oder es könnte Parameter geben, die einen Risikofaktor darstellen, bislang aber nicht berücksichtigt wurden. Nehmen Sie den Taillenumfang: Wir haben vor einigen Jahren in der EPIC*-Studie festgestellt, dass er eine kritische Größe für Herz-Kreislauferkrankungen ist. Wenn Grenzwerte angepasst oder neue Einflussgrößen berücksichtigt werden, können wir künftig hoffentlich früher oder mit anderen Maßnahmen mit der Prävention beginnen und so Erkrankungen vermeiden.
Die Fragen stellte Wiebke Peters.