Karl Günther Zimmer

„That was the basic radiobiology that was.“

Karl Günther Zimmer zum hundertsten Geburtstag

Der Physiker Karl Günther Zimmer arbeitete mit großem Erfolg an strahlengenetischen und anderen Problemen in der Genetischen Abteilung des Kaiser Wilhelm-Instituts für Hirnforschung in Berlin-Buch (1934 bis 1945). Danach musste er zwangsweise am sowjetischen Atomprogramm in Russland mitarbeiten (1945 bis 1955). Später wirkte er als Institutsleiter am Kernforschungszentrum Karlsruhe und als ordentlicher Professor für Strahlenbiologie an der Universität Heidelberg (1957 bis zur Emeritierung 1979). Die Ergebnisse seiner vielseitigen wissenschaftlichen Arbeiten – Leitthema seiner Untersuchungen war die quantitative Strahlenbiologie – sind heute Bestandteil unseres Wissens über die biologische Wirkung energiereicher Strahlen. Am 12. Juli 2011 jährt sich der Geburtstag Zimmers zum hundertsten Mal.

„Über die Natur der Genmutation und der Genstruktur“- unter diesem Titel erschien im Juni 1935 eine Arbeit, welche die Entwicklung der frühen Molekulargenetik erheblich beeinflussen sollte und die seit vielen Jahren als so genanntes „grünes Pamphlet“ oder „Dreimännerwerk“ einen Kultstatus erreicht hat.2 Sie entstand im Wesentlichen in Berlin-Buch. Die Autoren dieser Arbeit waren der Genetiker Nikolaj Vladimirovich Timoféeff-Ressovsky (1900-1981), der Strahlenphysiker Karl Günther Zimmer (1911-1988) und der theoretische Physiker Max Delbrück (1906-1981). Für die ersten Teile der Arbeit waren jeweils Timoféeff (Einige Tatsachen der Mutationsforschung), Zimmer (Die Treffertheorie und ihre Beziehung zur Mutationsauslösung) oder Delbrück (Atomphysikalisches Modell der Mutation) als Autoren verantwortlich, während der abschließende vierte Teil (Theorie der Genmutation und der Genstruktur) von allen gemeinsam verfasst wurde. Darin hieß es „ Wir [stellen] uns das Gen als einen Atomverband vor, innerhalb dessen die Mutation, als Atomumlagerung oder Bindungsdissoziation (ausgelöst durch Schwankung der Temperaturenergie oder durch Energiezufuhr von außen) ablaufen kann, und der in seinen Wirkungen und den Beziehungen zu anderen Genen weitgehend autonom ist.3 Entscheidend für die beachtliche Rezeption der Arbeit war ihre spätere ausführliche Darstellung durch Erwin Schrödinger (1887-1961) in dem 1944 erschienenen Buch What is Life? 4

Angesichts der Prominenz des grünen Pamphlets erstaunt es, dass wir über das Leben und Wirken des Jüngsten unter den Autoren - Karl Günther Zimmer - nur wenig wissen. Er war beim Erscheinen der Arbeit knapp 24 Jahre alt. Die anderen Autoren, Timoféeff und Delbrück, sind dagegen vielfach gewürdigt worden.5 Beide waren wegen ihrer wissenschaftlichen Leistungen sowie als charismatische Persönlichkeiten und begnadete Selbstdarsteller in unterschiedlichem Maße schon zu Lebzeiten legendär. Zimmer hatte diese persönlichen Eigenschaften nicht, sondern war eher von zurückhaltender Wesensart. Aber auch er hat neben seiner Mitarbeit am Dreimännerwerk herausragende wissenschaftliche Leistungen erbracht. Sein hundertster Geburtstag am 12. Juli 2011 ist ein willkommener Anlass, um einiges mehr über ihn zu berichten.6

Frühe Jahre

Karl Günther (auch die Schreibweise Günter verwendete er) Arthur Zimmer wurde in Breslau, dem heutigen Wroclaw, als Sohn des Ministerialamtmannes Arthur Zimmer und seiner Ehefrau Elsa, geb. Geipel, geboren. Wenige Monate nach seiner Einschulung in Breslau zog die Familie 1917 nach Berlin um. Am Helmholtz-Realgymnasium in Berlin-Schöneberg legte er Ostern 1929 die Reifeprüfung „Mit Auszeichnung“ ab. Wenige Wochen danach verstarb sein Vater. Von Mai 1929 bis Mai 1933 studierte Zimmer Physik, Chemie und Philosophie an der Friedrich Wilhelms-Universität in Berlin. Während einiger Semester war er darüber hinaus Gaststudent an der Fakultät für Allgemeine Wissenschaften und für Stoffwirtschaft an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg. Am Institut für Strahlenforschung der Berliner Medizinischen Fakultät fertigte er bei dem Physiker Walter Friedrich (1883-1968) eine photochemische Doktorarbeit an.7 Erstgutachter seiner mit dem Prädikat „valde laudabile“ bewerteten Dissertation war der Physikochemiker Max Bodenstein (1871-1942). Am 27. Juli 1934 wurde er mit „cum laude“ zum Dr. phil. promoviert. Wenig später trat er einen mehrmonatigen Arbeitsaufenthalt am Natural Philosophy Department der Universität Aberdeen (Schottland) an. Schon in seinen ersten Veröffentlichungen spielten Probleme der Dosimetrie von Strahlen eine Rolle.

Zurück in Berlin gelang es Zimmer, eine schlecht bezahlte Halbtagsstelle als Berater in der Strahlenabteilung des Cecilienhauses Berlin-Charlottenburg zu erhalten. Er war damit der einzige Physiker in der damals größten radiologischen Klinik Berlins, die von Artur Pickhan (1887-1969) geleitet wurde. Die schöne Jugendstil-Fassade des von 1907 bis 1909 erbauten Cecilienhauses ist noch heute zu besichtigen. Eine Klinik befindet sich dort jedoch nicht mehr.

Aus Zimmers Tätigkeit am Cecilienhaus entwickelten sich Kontakte zur Auer-Gesellschaft.8 Dieses Unternehmen handelte, neben anderen Aktivitäten, mit natürlichen Strahlenpräparaten auf Radium-Basis für medizinische Zwecke. In der radiologischen Abteilung der Auer-Gesellschaft arbeitete zu dieser Zeit der Physiker Nikolaus Riehl (1901-1990).9 Zimmer und Riehl befreundeten sich bald. Nach einiger Zeit wurde auch Zimmer ein Mitarbeiter der Auer-Gesellschaft, allerdings nur nebenamtlich. Riehl und Zimmer sollten in Zukunft noch viel miteinander zu tun haben und mussten schwere Zeiten durchstehen.

Nachhaltige Forschung in Berlin-Buch

Das Grenzgebiet zwischen Physik und Medizin hatte Zimmer schon früh interessiert. Insbesondere faszinierte ihn das Problem der primären physikochemischen Prozesse, die in einfachen biologischen Objekten durch ionisierende Strahlung ausgelöst werden. Darüber wollte er so viel wie möglich herausfinden. Deshalb suchte er nach Möglichkeiten, um in der interdisziplinären Forschung zu arbeiten. So begann im Jahre 1933 seine Zusammenarbeit mit dem Genetiker Timoféeff-Ressovsky am Kaiser Wilhelm-Institut für Hirnforschung in Berlin-Buch. Im gleichen Jahr war der amerikanische Genetiker und spätere Nobelpreisträger Hermann Joseph Muller (1890-1967) in diesem Institut als Gastforscher tätig.10 Muller hatte das Potential der modernen Physik für die Lösung biologischer Probleme früh erkannt und mahnte deshalb  die Biologen, sie sollten mit Physikern zusammenarbeiten. Diesem Rat folgte Timoféeff gern. Zudem war die Zusammenarbeit mit Zimmer als Gast für ihn nicht mit Kosten verbunden. Im Frühjahr 1933 hatte der bisher im Team von Timoféeff für die Dosimetrie verantwortliche Mitarbeiter, der Mechaniker Gerhard Fischer, aus politischen Gründen aus Deutschland emigrieren müssen. Die Mitarbeit Zimmers dürfte demnach für Timoféeff sehr gelegen gekommen sein, besonders auch, weil dieser bereits als Spezialist für strahlendosimetrische Fragen ausgewiesen war. Schon nach nur einjähriger Zusammenarbeit zwischen Timoféeff und Zimmer war Delbrück, der sich 1934 der Gruppe angeschlossen hatte, von den Ergebnissen so beeindruckt, dass er noch Jahre später feststellte: zu dieser Zeit leisteten Timoféeff und Zimmer „by far the best work in the area of quantitative mutation research“.11

Dr. Karl G. Zimmer. Etwa 1935 in Berlin

Offenbar war es dem jungen Zimmer sehr rasch gelungen, den intellektuellen Ansprüchen von Timoféeff zu genügen. Schon 1934 publizierte er allein über die Beziehungen zwischen Dosis und Mutationsrate und brachte damit einen neuen Aspekt in die Forschung der Timoféeff-Gruppe ein.12  Als im gleichen Jahr die von Delbrück initiierten und heute legendären Diskussionsrunden zwischen Physikern und Biologen begannen (an denen auch Riehl gelegentlich teilnahm), war Zimmer einer der Wortführer und wohl auch ein Mittler zwischen den beiden, ihm schon vertrauten, Disziplinen. „Two or three times a week we met, mostly in Timoféeff-Ressovsky´s home in Berlin [-Buch], where we talked, usually for ten hours or more without any break, taking some food during the session. There is no way of judging who learned most by this exchange of ideas, knowledge and experience“ erinnerte er sich an jene Zeit.13 Eines der Ergebnisse der Diskussionen war die Erarbeitung des grünen Pamphlets, ein anderes die endgültige Hinwendung von Delbrück zur Genetik.

Über Zimmer wird berichtet, dass er als durchaus Karriere-bewusst, aber als „unpolitisch“ gegolten habe. Mitglied der NSDAP wurde er niemals, anders als viele Wissenschaftler in diesen Jahren. Sein Arbeitspensum muss sehr hoch gewesen sein. Als Assistent am Cecilienhaus publizierte er 1936 eine Monographie zur Radiumdosimetrie14, die in den Vereinigten Staaten sehr positiv rezensiert wurde. Auch beschäftigte er sich mit Dosismessungen während der Röntgendiagnostik am Menschen. Aus seiner unbezahlten Tätigkeit in Berlin-Buch gingen allein bis 1936 neben dem grünen Pamphlet sechs weitere hochrangige Originalarbeiten zu Mutation-auslösenden Wirkungen verschiedener Strahlenarten bei  der Fruchtfliege Drosophila hervor.15 Zimmer war damit längst in die Forschungsarbeit der Bucher Gruppe als „zweiter Mann“ eingebunden. So war es nur folgerichtig, dass er ab Januar 1937 offizieller (und bezahlter) Mitarbeiter der von Timoféeff geleiteten Genetischen Abteilung wurde. Gleichzeitig behielt er mit Einverständnis Timoféeffs eine Verbindung zum Cecilienhaus und zur Auer-Gesellschaft bei. Fortan oblag neben Timoféeff auch Zimmer die Einwerbung von Forschungsgeldern für die Genetische Abteilung. Unter den in den Jahren 1934-1945 in Deutschland meist geförderten Wissenschaftlern im Bereich Zoologie lagen Timoféeff mit 84.040 Reichsmark an 4. Stelle und Zimmer mit 38.100 Reichsmark an 7. Stelle.16

Zimmer veröffentlichte im Jahre 1937 eine weitere Monographie zum Wesen, der Erzeugung und der biologischen Wirkung von Strahlen.17 Waren bei den bisherigen Versuchen in Berlin-Buch Röntgenstrahlen verschiedener Wellenlänge sowie Alpha-, Beta- und Gammastrahlen in ihrer Wirkung auf einfache biologische Objekte untersucht worden, so interessierte nun die Wirkung der 1932 entdeckten Neutronen. Diese haben die Eigenschaft, sehr hohe Ionisationsdichten im Gewebe zu erzeugen und erschienen deshalb Timoféeff und Zimmer besonders geeignet, um zu prüfen, ob zur Auslösung einer Mutation nur ein einziger Strahlentreffer ausreichend ist. Wegen mangelnder experimenteller Möglichkeiten ließen sich Versuche mit Neutronen damals noch nicht in Deutschland durchführen. Bei längeren Arbeitsaufenthalten in Holland (Philips-Laboratorien in Eindhoven), England und Schweden konnte Zimmer dann entsprechend experimentieren und erste Erfahrungen auf dem schwierigen und noch völlig neuen Feld der Neutronen-Dosimetrie sammeln. Ab Sommer 1939 stand der Genetischen Abteilung ein eigener Neutronengenerator in Buch zur Verfügung. Mit dieser neuen Technologie erweiterten sich die experimentellen Möglichkeiten der Abteilung beträchtlich. Gleichzeitig verschob sich das Profil von der Genetik in Richtung Biophysik. Infolge seiner Kompetenz auf diesem Gebiet erkannte Zimmer sehr früh, dass mit Hilfe von schnellen Neutronen Probleme der Strahlengenetik, der theoretischen Strahlenbiologie und der Strahlentherapie des Krebses bearbeitet werden könnten. Zudem eröffneten sich mit der Herstellung und dem Einsatz von radioaktiven Isotopen neue Forschungsfelder, was besonders die Leitung der Auer-Gesellschaft aus marktstrategischen Überlegungen interessierte.18

In biologischem Material lösen Neutronen durch Energieübertragung auf Wasserstoffkerne so genannte Rückstoßprotonen aus. Nachdem Zimmer in langwierigen Versuchen eine genügend zuverlässige Dosimetrie der Rückstoßprotonen erarbeitet hatte, war ein direkter Vergleich der Neutronen mit anderen Strahlenarten möglich. Dabei zeigten sich interessante Ergebnisse. Generell war die biologische Wirkung der Neutronen größer als die von gleichen Dosen von Röntgenstrahlen. Nach Schädigungen durch Neutronen war die Erholungsphase wesentlich länger als bei Schäden, die von Röntgenstrahlen verursacht wurden. Andererseits waren die durch Neutronen erzeugten Mutationsraten bei Fruchtfliegen im klassischen CIB-Test wesentlich geringer als die Mutationsraten bei allen anderen untersuchten Strahlenarten. Die induzierten Mutationen waren bis zu einem Sättigungswert der Strahlendosis direkt proportional. Schwellenwerte wurden auch bei Neutronen nicht gesehen. Ionisationen waren offenbar auch hier die Trefferereignisse. Bei der Bestrahlung von Ratten mit Neutronen wurden Chromosomenmutationen beobachtet, deren Mechanismus näher untersucht wurde. So gab es in kurzer Zeit eine Fülle von völlig neuen Erkenntnissen.19

Die Ergebnisse ihrer langjährigen strahlengenetischen Versuche haben Timoféeff und Zimmer in dem Buch „Das Trefferprinzip in der Biologie“ zusammenfassend niedergelegt. Das 1944 beendete Manuskript konnte jedoch erst nach Kriegsende 1947 publiziert werden. Das Buch kam in der Sowjetunion und in den sowjetischen Besatzungszonen sogleich auf den Index, weil es mit der damals dort herrschenden Lehrmeinung nicht übereinstimmte. Der englische Physiker Douglas E. Lea (1910-1947), der Zimmer 1936 in Berlin aufgesucht hatte, verfasste unabhängig von seinen Berliner Kollegen ein ähnliches Buch, legte den Fokus jedoch nicht so sehr auf das Trefferprinzip, sondern auf die Treffbereichs- („target“-) Theorie. Beide Bücher ergänzten einander damit auf sehr schöne Weise.20 Das Schicksal seines mit Timoféeff verfassten Buches kommentierte Zimmer im Jahre 1969: „This [...] book, appearing in German, had a difficult start in those years. However, it was considered by the military government of the eastern part of Germany to be of such interest as to make them officially collect and pulp as many copies as they could get hold of.21

Wenn auch einer Krebstherapie mit Neutronen heute keine große Bedeutung mehr beigemessen wird und anstelle von Neutronen vor allem Protonen und Schwerionen in der Strahlentherapie verwendet werden, so waren doch die von Zimmer damals entwickelten Konzepte für eine Neutronentherapie für seine Zeit vollkommen neuartig.

Mit der Bereitstellung künstlicher radioaktiver Isotope wurde ein doppeltes Ziel verfolgt. Zunächst waren Produktions- und Aufreinigungsverfahren für eine große Zahl von radioaktiven Elementen auszuarbeiten: Chlor, Brom, Jod, Phosphor, Arsen. Mangan, Kupfer, Thallium, Silizium, Cer und Strontium.22 Viele dieser Radionuklide wurden erstmals für Deutschland in Berlin-Buch hergestellt. Einige der Nuklide wurden dann als radioaktive Indikatoren zum Studium ihrer chemisch-physiologischen Wirkung im Tierversuch eingesetzt. Die Indikator-Methode war in den 1930er Jahren von György von Hevesy (1885-1966, Nobelpreis 1943) begründet worden. In Buch waren an diesen Versuchen neben Zimmer andere Wissenschaftler beteiligt (Elena A. Timoféeff-Ressovsky, Hans-Joachim Born, Joachim Gerlach, Paul Max Wolf). Ein besonders zukunftsträchtiges Ergebnis der Bucher Gruppe war die auf biologischem Wege erfolgte Markierung des Tabakmosaikvirus durch Radiophosphor, die in Zusammenarbeit mit Gerhard Schramm (1910-1969) von der Arbeitstelle für Virusforschung gelang.23

In den Bucher Jahren entstanden neben grundlegenden experimentellen Arbeiten auch wichtige theoretische Beiträge von Zimmer. Ein Beispiel ist die so genannte statistische Ultramikrometrie mit ionisierenden Strahlen, ein anderes die systematische treffertheoretische Deutung von strahlenbiologischen Dosis-Effekt-Kurven. Auch zur Kenntnis des Mechanismus der Wirkung ionisierender Strahlen auf Lösungen trug Zimmer mit mehreren Veröffentlichungen bei.24

Der Timoféeff’sche Arbeitskreis war immer offen für Forscher verschiedener Disziplinen, die teils dauernd, teils eher sporadisch an den Arbeiten und Diskussionen teilnahmen. Damit war gewährleistet, dass ständig neue Gesichtspunkte in das Blickfeld kamen. So beeinflusste der theoretische Physiker Pascual Jordan (1902-1980) mit seinen Auffassungen die Diskussionen in Buch erheblich. Er deutete Mutationen als mikrophysikalische Reaktionen im Sinne der (von ihm mit gegründeten) Quantenmechanik.25 Der schon erwähnte Riehl machte auf Energiewanderungs- und Energieausbreitungsphänomene aufmerksam, deren Bedeutung für biologische Prozesse dann gemeinsam in Buch untersucht wurde.26 Und immer war es Zimmer, der die Umsetzung neuartiger Themen vorantrieb und die erzielten Ergebnisse wesentlich beeinflusste.

Als 1945 diese Phase der wissenschaftlichen Laufbahn von Zimmer zu Ende ging, hatte er, obwohl erst 34 Jahre alt, bereits Bleibendes für die Wissenschaft geleistet. „Schöne Jahre fruchtbarer Arbeit“ – so war sein persönliches Fazit.27

Unvermeidliche Auftragsforschung

Die seit 1937 in Deutschland eingetretenen Veränderungen der Forschungsförderung (insbesondere die Gründung des Reichsforschungsrats) wirkten sich auch in der Genetischen Abteilung des Instituts für Hirnforschung aus. Diese war im Zuge der Reorganisation des Instituts beim Direktorenwechsel im Frühjahr 1937 eine selbständige Einheit mit eigenem Haushalt geworden.28 Um Etatkürzungen seitens der Generalverwaltung der Kaiser Wilhelm-Gesellschaft (KWG) auszugleichen, mussten neue Finanzierungsmöglichkeiten erschlossen werden. So kam es zu einer verstärkten Zusammenarbeit mit der Auer-Gesellschaft. Diese hatte die KWG schon bei ihrer Gründung im Jahre 1911 unterstützt und damals Teile des Stiftungsvermögens eingebracht. Bereits bestehende persönliche Beziehungen zwischen Timoféeff, Riehl und Zimmer dürften die verstärkte Zusammenarbeit befördert haben. Nachdem die Auer-Gesellschaft sich bereit erklärt hatte, die Kosten für einen im Bucher Institut benötigten und im Sommer 1939 dort in Betrieb genommenen Philips-Neutronengenerator zu übernehmen, wurde ihr im Gegenzug gestattet, eine biophysikalische Außenstelle in Buch einzurichten. Deren Leitung übernahm der Radiochemiker Hans-Joachim Born (1909-1987).29 Viele Untersuchungen wurden von nun an gemeinsam von Wissenschaftlern ausgeführt, die Mitarbeiter der KWG oder der Auer-Gesellschaft, nicht selten in Personalunion, waren. So arbeitete auch der Mediziner Alexander Catsch (1913-1976) zunächst als Mitarbeiter der Auer-Gesellschaft in Buch, bevor er 1941 zur Genetischen Abteilung wechselte.30

Nicht nur die Auer-Gesellschaft, sondern auch andere Auftraggeber wandten sich ab 1939 zunehmend mit speziellen Problemen an die Genetische Abteilung. Auf der Suche nach neuen Fördermitteln ging die Initiative mitunter auch von deren Mitarbeitern aus. Das Personal der Abteilung, und insbesondere Zimmer, wurden durch die verschiedenen Aufträge erheblich  belastet. Da die historische Forschung diesen Aspekt bereits sehr gründlich untersucht hat31, sollen hier nur die wichtigsten Auftragsforschungen genannt werden:

  • Prüfung der Dichtigkeit der Filter in Gasmasken mittels radioaktiver Indikatoren, und zwar ohne Einsatz von Kampfstoffen (Auftrag der Auer-Gesellschaft, die seit langem Deutschlands größter Gasmaskenhersteller war).
  • Die oben schon dargestellte Herstellung und Anwendung künstlicher radioaktiver Isotope (Auftrag der Auer-Gesellschaft, die seit Jahrzehnten mit natürlichen Strahlenpräparaten handelte, und nun ihr Angebotsspektrum um künstliche Strahlenquellen erweitern wollte).
  • Entwicklung einer leistungsfähigen Sauerstoffanzeige für Piloten bei Flügen in großer Höhe und Prüfung einer möglichen Gefährdung der Piloten durch kosmische Strahlung bei Höhenflügen (Auftrag vom Heereswaffenamt).
  • Ausarbeitung von Strahlenschutzmaßnahmen, vor allem gegen Röntgenstrahlen und Neutronen (Auftrag des Uranvereins).
  • Untersuchungen über die biologische Wirkung von schnellen Neutronen. Nach Bestrahlung von Ratten wurden Veränderungen im Blutbild analysiert (zusammen mit der Forschungsanstalt der Deutschen Reichspost).

Alle diese Untersuchungen hatten letztendlich das Ziel, Menschenleben zu retten, unabhängig davon, ob es ich dabei um Zivilisten, Feuerwehrleute, Piloten, Soldaten oder Uran-Facharbeiter handelte.

Von seinem Freund Riehl wurde Zimmer in den so genannten Uranverein eingeführt. Dort galt er bald als Experte für den - immer dringlicher werdenden - Strahlenschutz. Im Oktober 1941 warnte er in einer Vorlage „Möglichkeiten der Strahlenschädigung und des Schutzes dagegen beim Arbeiten mit Uranprodukten“ die am Projekt beteiligten Forschungsgruppen besonders vor Gesundheitsgefahren durch Neutronen.32 Riehl ließ sich gelegentlich in Angelegenheiten der Uranproduktion von Zimmer vertreten oder bei wichtigen Besprechungen begleiten. Ob es sich dabei lediglich um einen  Freundschaftsdienst für Riehl handelte oder ob Zimmer in größerem Umfang für die Uranindustrie tätig war, ist unbekannt. Riehls Stellvertreter war er jedoch nicht. Wäre er dies gewesen, hätten ihn die Russen nach 1945 anders eingesetzt. Weil es ihm nicht gestattet wurde, hatte er auch das Oranienburger Werk (siehe weiter unten) nie besichtigt.

Einige Historiker haben Zimmer (und seinem Chef Timoféeff) vorgeworfen, an kriegswichtigen Projekten im Auftrag militärischer Dienststellen mitgearbeitet zu haben.33 Sie erwähnten allerdings nicht den für alle Forscher gültigen Erlass des Führers [Hitler] vom 9. Juni 1942, den Reichsforschungsrat betreffend.34 Damit wurden Wissenschaftler in Forschungseinrichtungen unmissverständlich verpflichtet, Untersuchungen für den Kriegseinsatz Priorität zu geben. Um in den letzten Kriegsjahren überhaupt noch Forschung betreiben und die Forscher vor einem Fronteinsatz bewahren zu können, wurden offenbar viele laufende Projekte als „kriegswichtig“ umdeklariert und bekamen damit zwangsläufig den Status „Geheim“. Mindestens zum Teil trifft dies auch für die „Kernphysikalischen Forschungsberichte“ zu, eine interne, streng geheime, Publikationsreihe des deutschen Uranvereins.35 Sie wurde 1945 von den Amerikanern konfisziert und erst Anfang der 1970er Jahre an die BRD zurückgegeben. Heute sind die Berichte im Deutschen Museum aufbewahrt. Zimmer und Riehl gehörten zu den Autoren von Forschungsberichten in dieser Reihe. Zimmers Beitrag hieß “Bericht über die Untersuchungen der relativen Wirksamkeit von Röntgenstrahlen und schnellen Neutronen bezüglich der Erzeugung von Chromosomenmutationen.“36 Das Beispiel zeigt, dass erst die Klassifizierung als „Streng Geheim“ einer regulären Forschung einen scheinbar konspirativen Charakter gab. „Untersuchungen zur biologischen Wirkung von Strahlung“ war der Titel einer weiteren, damals als geheim eingestuften Arbeit, die Zimmer auf Anforderung des Reichsforschungsrates abgeliefert hat.37

Ein im Februar 1989 von einem Team der Berliner Akademie der Wissenschaften erstelltes Gutachten zu diesbezüglichen Vorwürfen gegenüber der Genetischen Abteilung und gegenüber Timoféeff kam zu dem Schluss:

„Die Durchführung militärisch relevanter Forschungsprojekte sei ‚von Organen des Reichsforschungsrates angewiesen’ worden und einer solchen Anordnung habe sich [...] ‚zumindest seit 1939 in Deutschland kein Institut der Wissenschaft oder gar eine Abteilung eines Instituts entziehen’ können. [...] [Im Übrigen habe] eine Wertung ‚von den tatsächlich durchgeführten Forschungen und insbesondere ihren Ergebnissen her zu erfolgen [...] und die Bedeutung [könne] nicht vorrangig von einer formellen verwaltungsmäßigen Einstufung abhängig gemacht werden.’ [...]  In der Genetischen Abteilung sei ‚nahezu ausschließlich reine Grundlagenforschung betrieben worden und die Einstufung [als kriegswichtig] habe rein formalen Charakter gehabt.“38

Die gelegentlich geäußerte Behauptung, Zimmer habe ohne Wissen von Timoféeff „Kriegsaufträge“ durchgeführt, ist wenig glaubwürdig. Die Aufträge im Kriege liefen möglicherweise deshalb über Zimmers Namen, da vermutlich nur ein deutscher Staatsbürger (also nicht Timoféeff) als Auftragnehmer fungieren konnte. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass das Vertrauensverhältnis von Timoféeff zu Zimmer gestört gewesen sein könnte oder dass sich Zimmer illoyal gegenüber Timoféeff verhalten hätte. Im Gegenteil: Timoféeff war während des Krieges das (für die damalige Zeit) beträchtliche Risiko eingegangen, zwei Halbjuden (Catsch, Peter Welt) zu beschäftigen. Nur Zimmer hatte Timoféeff eingeweiht. Von anderen risikoreichen Aktivitäten Timoféeffs gegen Ende des Krieges (z.B. Unterstützung von Kriegsgefangenen) wird Zimmer gewusst oder sie mitgetragen haben.

Geisel der Besatzungsmacht39

Im Frühjahr 1945 rückten die Alliierten von verschiedenen Seiten auf das Territorium des Deutschen Reiches vor. Im unmittelbaren Gefolge der Kampftruppen operierten Teams der Geheimdienste, deren Aufgabe es war, deutsche Spezialisten – in erster Linie Naturwissenschaftler und Techniker – aufzuspüren, zu befragen oder in Gewahrsam zu nehmen sowie Dokumente und diverse Ausrüstungen für den alliierten Gebrauch zu beschlagnahmen. Auf diese Weise entdeckten die Amerikaner, dass in Deutschland hauptsächlich die Firma Auer in Oranienburg reines und damit reaktorfähiges Uran produzierte. Daraufhin wurden die Auer-Werke am 15. März 1945 durch amerikanische Luftangriffe vollständig zerstört, um zu verhindern, dass ein späteres sowjetisches Atomprogramm aus der Uranproduktion Nutzen ziehen könnte.

Aber die Auer-Werke und der dort für die Uranproduktion Verantwortliche, Nikolaus Riehl, waren längst im Visier des sowjetischen Geheimdienstes. Wie viele andere Mitglieder des deutschen Uranvereins war auch Riehl seit Jahren mit dem österreichischen Physiker und Wissenschaftsverleger Paul Rosbaud (1898-1963) gut bekannt. Rosbaud hatte in den 1920er Jahren an der TH Berlin unter Hermann Mark (1895-1992) promoviert und arbeitete später für den Verlag Julius Springer, u.a. als Herausgeber der Zeitschrift „Naturwissenschaften“. Riehl und andere deutsche Forscher ahnten nicht, dass Rosbaud vor und während des Krieges den britischen Geheimdienst MI6 über militärisch interessante Entwicklungen in Deutschland informierte, u.a. zur Atom- und Raketenforschung. Der britische Dienst war in jenen Jahren, wie erst später aufgedeckt wurde, vom sowjetischen Geheimdienst unterwandert. Es wird deshalb angenommen, dass die Informationen von Rosbaud auch an die Russen gelangten. Jedenfalls standen im Frühjahr 1945 Riehl wie auch Rosbaud weit oben auf der Liste der vom sowjetischen Geheimdienst NKWD gesuchten Personen (Rosbaud rettete sich zu den Amerikanern).40

K.G. Zimmer war offenbar der erste Mitarbeiter der Auer-Gesellschaft, dessen der NKWD habhaft werden konnte. Er wurde gezwungen, den Aufenthaltsort von Riehl zu nennen. Dieser hatte sich mit Mitarbeitern und Resten der Ausrüstung nach der Zerstörung des Oranienburger Werkes in das brandenburgische Rheinsberg zurückgezogen. Zwei zeitweise im Dienst des NKWD stehende Offiziere, die später namhaften Physiker Lev A. Artsimovich (1909-1973) und Georgi N. Flerov (1913-1990)41 begaben sich Mitte Mai 1945 in Begleitung ihrer Geisel Zimmer nach Rheinsberg, nahmen Riehl dort sofort fest und brachten ihn in das NKWD-Hauptquartier in Berlin-Friedrichshagen. Dort residierte mit seinem Stab Avraami P. Zavenyagin (1901-1956), der Stellvertreter des NKWD-Chefs Lawrentij P. Berija (1899-1953). Zavenyagin war für die sowjetische Atomforschung zuständig. Bereits Anfang Juni 1945 wurden Riehl und seine Familie nach Moskau ausgeflogen. Erst nach etwa 10 Jahren konnten sie nach Deutschland zurückkehren. Die Geisel Zimmer wurde zunächst freigelassen.

Aus sowjetischer Sicht war die Festsetzung von Riehl in zweifacher Hinsicht ein wichtiger Erfolg. Erstens hatte der NKWD in den zerstörten Auer-Werken beträchtliche (etwa 100 Tonnen) Mengen an Uranoxid erbeutet, die für das sowjetische Atomprogramm von unschätzbarem Wert waren und die man mit Hilfe von Riehl so gut wie möglich nutzen wollte. Zweitens erfüllte Riehl als Persönlichkeit die Anforderungen für die von den Sowjets für ihn vorgesehenen Aufgaben in nahezu idealer Weise: er hatte Erfahrungen auf diversen Gebieten – Physik, Chemie, Metallurgie, Forschung, Technologie und Management – und kannte wie kaum ein anderer das Know-how der Uranproduktion. Zudem sprach er fließend Russisch. Er kam in russische Gefangenschaft, aber gehörte zu den am besten behandelten Gefangenen. „Im goldenen Käfig“ kennzeichnete er selbst später diesen Zustand.42 Die ihm zugestandenen Freiräume nutzte er, um die Situation anderer gefangener Wissenschaftler zu verbessern, darunter die von Zimmer und Kollegen aus Berlin-Buch.

Denn im September 1945 waren zunächst Timoféeff und der langjährig in Buch arbeitende russische Genetiker Sergei R. Zarapkin (1892-1960) sowie im Oktober 1945 auch Zimmer, Catsch und Born vom NKWD verhaftet und nach Russland deportiert worden. Der Verhaftung folgten über Wochen ausgedehnte Verhöre durch den NKWD und Aufenthalte in verschiedenen Gefängnissen.43 Dann wurden die drei Deutschen in ein Kriegsgefangenenlager für deutsche Spezialisten in Krasnogorsk bei Moskau verbracht, während die sowjetischen Staatsbürger Timoféeff und Zarapkin später vor Gericht gestellt und zu je zehn Jahren Haft im GULAG verurteilt wurden.

Forschung an geheimen Orten

Auf die amerikanischen Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 reagierte die sowjetische Führung am 20. August 1945 mit dem Dekret Nr. 9877. Ziel war es nun, so schnell wie möglich ein atomares Patt mit den USA zu erreichen. Mit dem Dekret erhielten Berija und  Zavenyagin weit reichende Vollmachten, gerieten aber auch ihrerseits unter massiven Druck. Die aus dem Dekret folgenden Maßnahmen waren unter anderem die rücksichtslose Rekrutierung von Fachleuten aus Deutschland (zu denen Timoféeff, Zimmer und andere gehörten) und eine mit brutalen Mitteln vorangetriebene Herstellung von Atombomben. Im Zuge dieser Entwicklung entstanden neue „Sharashkas.“ So wurden jene geheimen und wie ein Gefängnis geführten wissenschaftlichen Einrichtungen im sowjetischen GULAG-System genannt. Wer dort gefangen war, hatte keinerlei Rechte.44

Elektrostal: Einige Monate nach Riehls Ankunft in Russland wurde entschieden, die sowjetische Uranproduktion in Elektrostal anzusiedeln, 70 km östlich von Moskau. Riehl wurde die Leitung des Aufbaus der Fabrik und der Produktion übertragen. Diese kam zunächst nur schleppend in Gang, war aber seit Anfang 1946 einigermaßen stabil. Zu dieser Zeit erfuhr Riehl, dass sich Zimmer, Born und Catsch im Lager Krasnogorsk befanden. Er konnte erreichen, dass alle drei seiner Gruppe zugeteilt wurden. Allerdings war es schwierig, für sie geeignete Aufgaben im Uranproduktionsprozess zu finden. Doch irgendwie gelang dies, bis sich im Dezember 1947 eine weit bessere Lösung für Zimmer und Kollegen in Sungul fand.

In Elektrostal traf  das Ehepaar Zimmer ein schwerer Schicksalsschlag. Im Juli 1940 hatten Zimmer und Elisabeth Charlotte Cron (1917-2003) geheiratet. Frau Zimmer durfte ihrem Mann 1947 nach Russland folgen. Bald nach ihrer Ankunft erkrankte sie an Poliomyelitis, wurde in Moskau behandelt, aber eine dauerhafte Behinderung konnte nicht abgewendet werden. Die Ehe blieb kinderlos.

Riehl blieb bis 1950 in Elektrostal. Zu dieser Zeit produzierte das Werk etwa eine Tonne Uran pro Tag. Am 29. August 1949 hatte die Sowjetunion ihre erste Atombombe in Semipalatinsk gezündet und damit das amerikanische Atombombenmonopol beendet. „The work of Nikolaus Riehl and his colleagues at Elektrostal, especially in 1945 and 1946 [1946 mit unfreiwilliger Mithilfe von Zimmer], had a direct impact on the production of the first [Soviet] plutonium bomb.45 Entgegen manchen Berichten war der Anteil deutscher Forscher an der Bombe jedoch gering. „Zum Bau dieser Bombe hat lediglich die Arbeitsgruppe von Nikolaus Riehl beigetragen, dessen Verfahren zur Herstellung von Platten aus ‚reinem’ metallischen Uran schneller größere Mengen liefern konnte als das konkurrierende Verfahren von Sinaida Jerschowa [1904-1995, bekannt als „russische Madame Curie“]. Der Weg zur Plutoniumbombe soll dadurch um ein Jahr verkürzt worden sein.“46

Sungul: Die Gründung des wissenschaftlichen Internierungslagers in Sungul, das von 1946-1955 bestand, soll auf einen Vorschlag des NKWD-Generalmajors Valentin A. Kravcenko zurückgehen. Der Vorschlag wurde von Zavenyagin in die Tat umgesetzt. Kravcenko hatte, möglicherweise inspiriert durch Verhöre von Zimmer, im November 1945 in einem Bericht geschrieben: „Wenn wir in Betracht ziehen, dass wir über die Forscher verfügen, die auf diesem Gebiet gearbeitet haben (Krebs, Timoféeff-Ressovsky, Zimmer, Born) und auch die Einrichtungen der Labore in Oberschlema [eine Außenstelle des KWI für Biophysik, die von Adolf Krebs (1902-1977) geleitet worden war, der nach kurzer russischer Gefangenschaft ab 1947 in USA lebte] und in Vacha [eine moderne Forschungshalle in der Nähe von Staßfurt, die für eine 3-Millionen-Volt-Anlage vorgesehen war], dann ist es möglich, eine analoge Forschungseinrichtung in der UdSSR aufzubauen, die genauso wie das Labor in [Berlin-Buch] die speziellen Einflüsse und Wirkungen [von Strahlen] auf lebendige Organismen gründlich erforschen kann.“47

Sungul (heute Snezhinsk) liegt in Westsibirien, etwa auf dem 55. nördlichen Breitengrad in der Mitte zwischen dem heutigen Jekaterinburg und Tscheljabinsk. Hier entstand das auch unter der Bezeichnung „Laboratorium B“ bekannt gewordene Lager.48 Das heute dort befindliche Russian Federal Nuclear Center wirbt mit folgender Beschreibung:

The settlement of Sungul is situated in one of the most beautiful places of the Middle Urals on the wooded peninsular with an area of about 6.5 km2, which is connected with the ‚continent’ by a narrow istmuth 800 m wide. On the north the peninsular is washed by the lake Silach and the adjacent small lake Ergaldy, and on the south  — by the lake Sungul. Viewed from the neighboring Cherry Hills these lakes, as to  their sizes, shore contours and the existence of numerous small bays, islands and peninsulas present the beautiful piece of Nature.49

So idyllisch, aber immerhin besser als Elektrostal, werden es Zimmer und Kollegen nicht empfunden haben, als sie im Dezember 1947 dorthin verlegt wurden. Bereits vor ihnen waren Timoféeff und Zarapkin nach Sungul verbracht worden. Beide hatten mit knapper Not eine längere Zeit im GULAG überlebt.50 In Sungul wurden zwei Abteilungen eingerichtet, eine für Radiobiophysik unter Timoféeff und eine für Radiochemie unter Voznessensky. Zimmer, Born und Catsch arbeiteten wie früher in Berlin-Buch im Team von Timoféeff. Dazu schrieb Zimmer später:

„Die Arbeit auf dem Gebiet der Strahlenbiologie wurde mir wegen Nichtübereinstimmung mit der damaligen sowjetischen Lehrmeinung untersagt. Doch hatte ich Gelegenheit, eingehende Erfahrungen in der Herstellung, Handhabung und Messung sehr starker radioaktiver Strahlenquellen und auf dem Gebiet des Strahlenschutzes zu sammeln und die wissenschaftliche Literatur aller Länder zu verfolgen.“51

Die Verfügbarkeit sehr starker Strahlenquellen ergab sich daraus, dass die (noch heute bestehende) Plutoniumfabrik Mayak in der Nähe von Sungul lokalisiert ist.

Im September 1950 kam auch Riehl mit Familie nach Sungul, nachdem er zum Direktor des „Laboratorium B“ ernannt worden war. Aus seiner Darstellung wissen wir, dass nun die Behandlung, Wirkung und Verwendung von radioaktiven Spaltprodukten aus Reaktoren untersucht wurde. Zimmer beschäftigte sich  neben dosimetrischen Problemen mit dem Einbau von Radionukliden in Organe von Ratten und Kaninchen sowie der Bestimmung höchstzulässiger Strahlendosen. Catsch begann Methoden zu entwickeln, um inkorporierte Radionuklide aus dem Körper zu entfernen. Die Abtrennung des Plutoniums von Reaktorspaltprodukten wurde von Born untersucht.

Zusammen mit Riehl hatte Zimmer 1948 in Russland ein Buch über Energiewanderungsvorgänge in belebter und unbelebter Materie geschrieben, insbesondere unter Berücksichtigung der früher in Berlin-Buch durchgeführten Arbeiten. Den deutschen Text hatte Riehl in das Russische und Zimmer in das Englische übertragen. Das Manuskript wurde von hochrangigen russischen Wissenschaftlern begutachtet, genehmigt und zum Druck freigegeben. Riehl beschreibt, dass er schon ein Vorausexemplar des Buches gesehen hatte. Auf Veranlassung der Anhänger von Trofim D. Lyssenko (1898-1976) wurde jedoch der Druck untersagt, weil die Genetiker Nikolaj K. Koltsov (1872-1940) und Timoféeff im Text erwähnt worden waren. Riehls Beitrag konnte schließlich in modifizierter Form ohne den von Zimmer erscheinen. Beiden Autoren wurde es verboten, eine Kopie des ursprünglichen Manuskripts zu bewahren. Das war, wie Riehl berichtet, für Zimmer eine sehr frustrierende Erfahrung.52

Agudseri: Da die deutschen Atomspezialisten als Geheimnisträger galten, war es üblich, sie vor ihrer Heimreise eine Quarantäne von etwa zwei bis drei Jahren verbringen zu lassen. Für die Gruppe Riehl war dafür Agudseri, ein Ort nahe Suchumi am Schwarzen Meer, ausgewählt worden. Nach fast fünf Jahren in Sungul wurde Zimmer im Oktober 1952 nach Agudseri gebracht. „Dort hatte ich die Möglichkeit, Probleme der Dosimetrie mit organischen Luminiszenzstoffen zu bearbeiten und die Ergebnisse zur Veröffentlichung einzureichen“ berichtete er.53 Bereits seit Frühjahr 1952 hielt sich Riehl dort auf, mit dem er in den Folgejahren zusammen publizierte.

Als die Rückkehr der deutschen Spezialisten in ihre Heimat bevorstand, wurde von sowjetischer Seite in Abstimmung mit der DDR-Führung eine Liste mit 18 Deutschen erstellt, die am sowjetischen Atomprojekt mitgearbeitet hatten. Wer auf dieser Liste stand, sollte nur in die DDR zurückkehren dürfen. Alle Angehörigen der Riehl-Gruppe, darunter Riehl selbst, Zimmer, Born und Catsch waren auf der Liste aufgeführt. Die sowjetische Seite befürchtete, dass diese Spezialisten, falls sie in die Bundesrepublik entlassen würden, ihre noch vorhandenen Kenntnisse von geheimen Forschungsvorhaben und geheimen Orten an westliche Geheimdienste weitergeben könnten. Die DDR-Führung wollte die Spezialisten für den Aufbau einer eigenen Nutzung der Kernenergie gewinnen.54 Besonders intensiv wurde deshalb versucht, Riehl mit großzügigen Angeboten in der DDR zu halten, aber selbst Walter Ulbricht gelang dies nicht. Riehl und ebenso Zimmer und Catsch waren fest entschlossen, sich in der Bundesrepublik niederzulassen.

Karl G. Zimmer (links) und Nikolaus Riehl, etwa Ende der 1950er Jahre.
Das private Foto wurde freundlicherweise von Frau Dr. I. Fiedler zur Verfügung gestellt.

Zimmer und seine Frau trafen am 1. April 1955 in Westberlin ein. Die Familie Catsch setzte sich Ende April 1955 in den Westen ab. Riehl und die Seinen folgten im Juni 1955, nach vier Wochen in Ostberlin. Born blieb zunächst bei der Akademie der Wissenschaften in Berlin-Buch, wo per Anweisung vom 9. Juni 1955 der Bereich „Angewandte Isotopenforschung“ unter seiner Leitung gegründet wurde. Bevor er im Oktober 1957 einem Ruf an die TH München folgte, hatte er sich an der TH Dresden habilitiert.55 Wie kaum anders zu erwarten, wurden Riehl und Zimmer nach ihrer Ankunft im Westen vor allem vom britischen Geheimdienst befragt. „The atomic returnees were the most valuable collection of information; among them, the best sources were former members of the Riehl group.56 Die anderen leitenden deutschen Spezialisten im sowjetischen Atomprojekt, die Riehl im Rang gleichgestellt waren, blieben in der DDR: Max Volmer (1885-1965), Gustav Hertz (1887-1975) und Manfred von Ardenne (1907-1997).

Ohne sie beim Namen zu nennen, würdigte die parteiamtliche sowjetische Zeitung „Prawda“ am 25. August 1989 die Verdienste der vom Kaiser Wilhelm-Institut für Hirnforschung aus Berlin-Buch in die Sowjetunion verbrachten Doktoren (Zimmer, Catsch, Born) wegen ihrer Untersuchungen zu den Wirkungen und Schäden, die  radioaktive Strahlen in belebten Organismen hervorrufen.57 Im Zeichen von Glasnost eine posthume Anerkennung.

Neubeginn in Deutschland: Karlsruhe und Heidelberg

In der Bundesrepublik angekommen, gestaltete sich der berufliche Neubeginn für Zimmer zunächst schwierig. Die Max Planck-Gesellschaft (MPG) sah sich zwar in der Pflicht, ihm zu helfen, hatte aber keine rechte Verwendung für ihn. Deshalb folgte Zimmer erst einmal einer Einladung als Gastdozent nach Stockholm. Als sich im November 1955 bei der MPG noch keine Änderung ergeben hatte und sich abzeichnete, dass Zimmer gute Angebote im Ausland annehmen würde, wendeten sich Adolf Butenandt, Alfred Kühn und Hans Friedrich-Freksa in einem gemeinsamen Schreiben an den Präsidenten der MPG, Otto Hahn, und baten ihn um Einflussnahme zugunsten Zimmers. Auch Georg Melchers, Boris Rajewsky und Gerhard Schramm verwendeten sich für Zimmer. Werner Heisenberg teilte der MPG-Generalverwaltung mit

„Dr. Zimmer ist ein ausgezeichneter Spezialist auf dem Gebiet der Strahlenbiologie, und es wäre gar nicht zu verantworten, wenn man die wenigen Spezialisten, die wir auf diesem Gebiet haben, noch ins Ausland abwandern ließe. Sachlich wäre es meines Erachtens am besten, wenn Dr. Zimmer [...] an oder in der Nähe einer Reaktorstation arbeiten könnte.“58

In der MPG einigte man sich schließlich darauf, dass Zimmer mit Wirkung vom 1. Januar 1956 von der MPG eine zunächst auf zwei Jahre befristete monatliche Unterstützung von DM 1500,00 bekommen und vorerst in Schweden weiterarbeiten sollte. Dabei ging man davon aus, dass sich innerhalb dieser Frist das Problem lösen lassen würde, was dann auch geschah.

Für die Fortsetzung seiner wissenschaftlichen Laufbahn war es für Zimmer wichtig, eine Habilitation vorweisen zu können. Vermutlich durch Fürsprache von Pascual Jordan, der dort ordentlicher Professor war, erkannte die Universität Hamburg anstelle einer Habilitationsschrift von Zimmer vier Bände seiner gedruckten Arbeiten an. Am 17. Mai 1956 wurde Zimmer in Hamburg und – weil eine Karriere in Deutschland noch unsicher war – am 15. Oktober 1956 auch von der Universität Stockholm habilitiert.59

Mit finanzieller Hilfe der MPG und der Wallenberg Foundation war Zimmer in der Lage, alte Verbindungen wieder aufzufrischen. Der Pflanzengenetiker Professor Åke Gustafsson (1908-1988) ermöglichte ihm einen längeren Gastaufenthalt am Forest Research Institute in Stockholm. Über Gustafsson kam es dort zu einem Kontakt mit dem Radiobiologen und Krebsforscher Lars Ehrenberg (1921-2005), mit dem zusammen Zimmer in den Folgejahren wichtige Arbeiten publizieren sollte.

Sobald für ihn wieder die Möglichkeit bestand zu publizieren, machte Zimmer davon regen Gebrauch. Allein in den Jahren 1956 und 1957 veröffentlichte er 18 Arbeiten, darunter fünf in russischen Zeitschriften. Mit Diskussionen und Kommentaren zu den Entwicklungen der letzten zehn Jahre meldete er sich bei der scientific community zurück.60 Auch wurde er zu Vorträgen, vor allem in Skandinavien, eingeladen.

Die Bemühungen, für Zimmer eine geeignete Position zu finden, fielen in eine spannende Zeit. Durch die Ratifizierung der Pariser Verträge im Mai 1955 war die Bundesrepublik weitgehend souverän geworden. Damit waren auch die bisherigen, von den Alliierten auferlegten, Beschränkungen für kernphysikalische Forschungen und Anwendungen aufgehoben. Die Bundesregierung entschied, den ersten deutschen Kernreaktor in Karlsruhe einzurichten und nicht, wie von Heisenberg gewünscht, in München. Daraufhin wurde 1956 die Reaktorstation in Karlsruhe gegründet, an welcher der Reaktor fünf Jahre später in Betrieb ging. Die Technische Hochschule München erhielt einen kleineren und früher betriebsbereiten Forschungsreaktor am Institut von Heinz Maier-Leibnitz (1911-2000), der dort beim Aufbau des Reaktors eng mit Nikolaus Riehl zusammenarbeitete. Ein „Deutsches Atomprogramm“ wurde im April 1956 konzipiert.61 Im Zuge dieser Entwicklungen wurde eine Neugründung von Instituten für Strahlenbiologie in Karlsruhe und München vorgesehen. Der Direktor des Karlsruher Instituts sollte zugleich die Strahlenbiologie in Heidelberg vertreten. Zimmer erhielt Rufe aus München und Heidelberg. Er entschied sich für die Ruprecht-Karls-Universität.62 Ab 1. September 1957 war er als außerordentlicher Professor und ab 1958 als ordentlicher Professor für Strahlenbiologie in Heidelberg tätig. Schon am 1. Juli 1957 hatte er sein Amt als Institutsdirektor an der Reaktorstation Karlsruhe angetreten (später Kernforschungszentrum Karlsruhe bzw. Forschungszentrum Karlsruhe, heute: Karlsruher Institut für Technologie). Nachdem 1962 auch die TH Karlsruhe einen Lehrstuhl für Strahlenbiologie eingerichtet hatte, wurde auf diesen Zimmers Weggefährte Catsch berufen.

Auf Initiative von Pascual Jordan und mit Unterstützung des Physikers Eduard Justi (1904-1986), der zu dieser Zeit Präsident der Akademie war, sowie des Humangenetikers Otmar von Verschuer (1896-1969) wurde Zimmer am 28. Oktober 1958 zum ordentlichen Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz gewählt. In der Begründung hieß es „Die Akademie [gewinnt] in der Person Prof. Zimmers für das beziehungsreiche Gebiet der Biophysik einen Forscher ersten Ranges und hohem internationalen Ansehen.“63 Im August 1959 legte Zimmer der Akademie seine Abhandlung „Studien zur quantitativen Strahlenbiologie“ vor. H.D. Griffith, der 1934 sein Gastgeber in Aberdeen gewesen war, übersetzte das Buch umgehend in das Englische. Kein Geringerer als Alexander Hollaender (1898-1986) schrieb eine Rezension für die Science. Bezug nehmend auf das grüne Pamphlet führte Hollaender aus „Zimmer is the only one of the three men [Timoféeff, Zimmer, Delbrück] who has continued to work in this field, and he is now one of the important investigators in radiation biology.64 Auf Veranlassung von Hollaender wurden bei der University of Tennessee nahezu alle Publikationen von Zimmer hinterlegt (Zimmer Papers).65

Wenig bekannt ist es, dass Zimmer auch in der Gründungsphase des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg eine Rolle spielte. Auf Vorschlag von Adolf Butenandt sollte zum DKFZ auch eine Abteilung für Strahlenbiologie unter Zimmer oder Catsch gehören. Nachdem Zimmer im September 1957 einen Ruf an die Universität Heidelberg angenommen hatte, wurde sein Lehrstuhl als einer der Beiträge der Universität in das DKFZ eingebracht. Für Fragen der Strahlenbiologie solle Zimmer, der inzwischen in Karlsruhe bestens ausgestattet war, in Heidelberg „zur Verfügung stehen.“66

Professor Karl G. Zimmer 1971 in Karlsruhe

Schon im grünen Pamphlet war die Frage aufgeworfen worden, welche Vorgänge durch die mit der Strahlenabsorption verbundene lokalisierte Energiezufuhr im biologischen Material hervorgerufen werden. Zimmer war kaum zurück im „normalen“ Forschungsbetrieb, als ihm 1957 zusammen mit den Gebrüdern Lars und Anders Ehrenberg ein spektakuläres Ergebnis gelang: Mit Hilfe der Elektronenspinresonanz-Spektroskopie konnte erstmals an lebendem Material nach Bestrahlung die Bildung freier organischer Radikale nachgewiesen werden.67 Damit war ein neues Forschungsgebiet eröffnet, das Zimmer mit seinen Mitarbeitern in den folgenden Jahren in Karlsruhe intensiv bearbeitet hat. Vor allem Bakteriophagen wurden als biologische Modelle verwendet. Auf die zahlreichen weiteren Untersuchungen am Karlsruher Institut kann hier nicht eingegangen werden. Unter den etwa 550 Publikationen, die aus dem Institut für Strahlenbiologie unter Zimmers Leitung bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1979 hervorgegangen sind, finden sich zahlreiche zur Strahlenwirkung auf Enzyme (am Beispiel der Ribonuclease), zur Charakterisierung der primären chemischen Reaktionsprodukte in bestrahlter DNA und zur Veränderung der Matrizen-Funktion von strahlengeschädigter DNA. Auch die strahleninduzierte Energieübertragung durch elastische Kernstöße wurde verfolgt. Als Koautor bei den Originalarbeiten seiner Mitarbeiter trat Zimmer allerdings eher selten in Erscheinung. Er verfasste aber viele noch heute lesenswerte Übersichtsartikel.68

„Was Zimmer als Forscherpersönlichkeit charakterisiert – und was er auch von seinen Mitarbeitern fordert – sind die zähe und systematische Bearbeitung eines einmal als relevant erkannten Problems, kritische Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Entwicklungen und – last not least – Neugier.“69 Eine Reihe von zukünftigen Universitätsprofessoren und Lehrstuhl-Inhabern haben bei Zimmer gearbeitet, darunter Ulrich Hagen (1925- 2007), zunächst als Abteilungsleiter im Karlsruher Institut, später in München, Hermann Dertinger (*1939) und Gerhart Hotz (*1925) in Karlsruhe, Horst Jung (*1937) in Hamburg sowie Horst Traut (*1932) in Münster. Mit der Heranbildung leistungsfähiger Wissenschaftler hat Zimmer der Strahlenbiologie in Deutschland einen wichtigen Dienst erwiesen. Dertinger und Jung publizierten während der Jahre bei Zimmer und mit seiner Unterstützung das Buch „Molekulare Strahlenbiologie“, das aus Vorlesungen hervorgegangen ist, die Zimmer 1957 bis 1968 allein und später unter Mitwirkung der Autoren gehalten hatte.70

Im Februar 1966 hatte Zimmer die Ehre, in Coronado (Kalifornien) eine Failla Memorial Lecture zu halten, die höchste wissenschaftliche Auszeichnung auf dem Gebiet der Strahlenforschung. Sie erinnert an einen der Pioniere auf dem Gebiet der Biophysik und Strahlenbiologie, den Amerikaner Gioacchino (Gino) Failla (1891-1961). Eine weitere Ehrung folgte 1969 mit der Aufforderung zu einer Douglas Lea Memorial Lecture. Der früh verstorbene britische Strahlenphysiker Lea war, wie bereits erwähnt, Zimmer auch persönlich bekannt gewesen.71

Zimmer sah das von ihm geleitete Institut als eine Einrichtung der Grundlagenforschung und die quantitative Strahlenbiologie als Zweig der molekularbiologischen Grundlagenforschung an. Sein Credo war: „Truly serious, enduring and systematic work at a scientific problem solely for the sake of knowledge and without any applied (practical) goal yields often automatically and at the side results of great practical value which work oriented explicitly toward a specific practical goal often misses.72

Ein bemerkenswertes Forscherleben

Professor Zimmer already is a textbook name“ schrieb Peter Herrlich in seinem Nachruf auf Zimmer.73 In seiner bescheidenen Art hätte Zimmer diese so richtige Feststellung vermutlich relativiert.

Das Leben und Wirken von Karl Günther Zimmer ist aus einer Reihe von Gründen bemerkenswert.

1. Zimmer gehörte zu der ersten Generation von Physikern, welche die Biologie nachhaltig verändert haben. In der Darstellung des Genetikers Guido Pontecorvo (1907-1999) liest sich das wie folgt: „In the years immediately preceding World War II, something new happened: the introduction of ideas (not techniques) from the realm of physics into the realm of genetics, particularly to the problems of size, mutability, and self-replication of genes. The names of Jordan, Frank-Kamenetski, Friedrich-Freksa, Zimmer, and Delbrück, with Muller and [sic] Timofeef-Ressovsky as their biological interpreters, are linked to this development. [...] The debt of genetics to physics, and to physical chemistry, for ideas began to be substantial then, and it has been growing steadily all the time.74 Fünf der sieben Genannten haben zeitweise in Berlin-Buch, ein sechster (Friedrich-Freksa) in Berlin-Dahlem gearbeitet.

2. Als Mitautor des grünen Pamphlets ist der Name Zimmer mit der frühen Geschichte der Molekularbiologie untrennbar verbunden.

3. Zimmer gehörte zu den Begründern und Protagonisten der quantitativen Strahlenbiologie. Grundlage dafür waren seine wegweisenden Lösungen dosimetrischer Probleme.

4. Als einer der ersten hat Zimmer konsequent auf die Gefahren hingewiesen, die mit der Einwirkung energiereicher Strahlen auf den Menschen verbunden sind und einen wirksamen Strahlenschutz eingefordert.

5. Zimmer ist einer der Repräsentanten jener Generation von Wissenschaftlern, deren Biografien die Umbrüche und dramatischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts in besonderer Weise widerspiegeln. Etwa die Hälfte seiner 46 Berufsjahre musste Zimmer in totalitären Staaten leben und arbeiten, davon sechs Jahre während des Krieges und weitere zehn Jahre in Gefangenschaft. Obwohl ihm einiges an Unbill widerfuhr, ließ er sich niemals entmutigen.

6. Die für einen Wissenschaftler gewöhnlich produktivsten Jahre musste Zimmer in Internierungslagern verbringen. Er hat jedoch sowohl vorher (24 bis 34 Jahre alt) als auch nachher (45 bis etwa 60 Jahre alt) herausragende Leistungen erbracht. Trotz dieser zeitbedingten Diskontinuität zeichnete sich Zimmers Berufsweg durch inhaltliche Kontinuität aus, wie Hollaender völlig zu Recht hervorgehoben hat.

Speziell am Forschungsstandort Berlin-Buch ist eine Erinnerung an Zimmer nicht möglich, ohne auch an Timoféeff zu denken. Es kann als eine glückliche Fügung angesehen werden, dass sich Timoféeff und Zimmer begegnet sind und viele Jahre gemeinsam arbeiten konnten. Die Begegnung muss auf Augenhöhe geschehen sein und war von gegenseitiger Hochachtung bestimmt. Der elf Jahre ältere Timoféeff war allerdings nicht der „Lehrer“ oder „Mentor“ von Zimmer, und Zimmer war schon gar nicht Timoféeffs „hauseigener Physiker.“ Zimmer hatte „the brilliant personality of Timoféeff which made team-work an exciting adventure“ angezogen.75 Er selbst war schon 1934 ein eigenständiger Forscher. Auch wären spätere Forschungen in Timoféeffs Arbeitskreis, insbesondere unter Verwendung von Neutronen, ohne Zimmer kaum denkbar gewesen. Als sich Timoféeff im Frühjahr 1945 entschieden hatte, in Berlin-Buch zu bleiben uns sich nicht gen Westen zu bewegen, blieben Zimmer und ebenso auch Born und Catsch bei ihm. Über die spätere Zusammenarbeit in Sungul wissen wir nichts Näheres, doch dürften Diskussionen aus dieser Zeit in die Arbeiten von Zimmer und Timoféeff nach 1955 eingeflossen sein. Zimmer deutete dies 1966 an, als er auf seine Zusammenarbeit mit Timoféeff hinwies, „a cooperation that was to last for nearly 20 years and in various places as determined by the most inconvenient political events overshadowing the life of many of us.76

Die letzte nachweisbare Publikation von Zimmer war ein Nachruf auf seinen Weggefährten Timoféeff.77 Kurz zuvor hatte Zimmer seine Reminiszenzen zu einem Gebiet veröffentlicht, zu dessen Entwicklung er wesentlich beigetragen hatte: „That was the basic radiobiology that was78 – „only yesterday an avant-garde but today a workaday field.79

Karl Günther Zimmer starb am 29. Februar 1988 in Karlsruhe an einem Herzinfarkt.

  1. Für den Titel einer seiner letzten Arbeiten verwendete Zimmer diesen, von Gunther Stent (1924-2008) mit dessen Einverständnis adaptierten Aphorismus. Zimmer, Karl Günther (1981) That was the basic radiobiology that was: a selected bibliography and some comments. Advances in Radiation Biology 9: 411-467; Stent, Gunther S. (1968) That was the molecular biology that was. Science 160: 390-395.
  2. Timoféeff-Ressovsky, Nikolai V., Karl G. Zimmer., Max Delbrück (1935) Über die Natur der Genmutation und der Genstruktur. Nachrichten von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Mathematisch-physikalische Klasse, Fachgruppe VI, Biologie, Neue Folge, 1,13: 189-245. http://www.jnorman.com/cgi-bin/hss/38569
  3. Timoféeff-Ressovsky et al. (wie Anmerkung 2), Seite 238. Hervorhebungen im Original. Im Jahre 1957 verwies Zimmer auf diese Arbeit mit den Worten: „The main idea was to imagine the gene as a well organized and stable, molecule-like structure that can be transferred into another about equally stable state either artificially by radiation or spontaneously by accidential accumulation of sufficient thermal energy in one degree of freedom.“ Zimmer, Karl Günther (1957) A physicist´s comments on some recent papers on radiation genetics. Hereditas 43: 201-210, hier Seite 201.
  4. Schrödinger, Erwin (1944) What is Life? The physical aspects of living cell. Cambridge: Cambridge University Press. Siehe auch: Perutz, Max F. (1987) Physics and the riddle of life. Nature 326: 555-558.
  5. Beispielsweise in: Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (Hrsg.) (2008) Genetiker in Berlin-Buch. Mit Beiträgen von Fritz Melchers, Manfred F. Rajewsky, Jens Reich und Volker Wunderlich. Geleitwort von Walter Birchmeier. Berlin; Ratner, Vadim A. (2001) Nikolay Vladimirovich Timofeeff-Ressovsky (1900-1981): twin of the century of genetics. Genetics 158: 933-939; Fischer, Ernst Peter (2007) Max Delbrück, Genetics 177: 673-76.
  6. Frühere Darstellungen: Catsch, Alexander (1971) Zum 60. Geburtstag von K.G. Zimmer. Strahlentherapie 142: 124-125; Herrlich, Peter (1988) In memoriam Karl Günther Zimmer (1911-1988). Radiation Research 116: 178-80; Anonymous (1988) Karl Günther Zimmer zum Gedenken. Hausmitteilungen des Kernforschungszentrums Karlsruhe, Heft 1, Seite 10; Pasternak, Luise; Günter Pasternak (2004) Zimmer, Karl Günter, S. 38-40. In: Luise Pasternak (Hrsg.) Wissenschaftler im biomedizinischen Forschungszentrum. Berlin-Buch 1930-2004. Frankfurt am Main usw.: Peter Lang; http://en.wikipedia.org/wiki/Karl_Zimmer und http://dictionary.sensagent.com/karl+zimmer/en-en.
  7. Zimmer, Karl Günther (1933) Der Reaktionsmechanismus der photochemischen Umwandlung von o-Nitrobenzaldehyd zu o-Nitrosobenzoesäure im ultraviolettem Licht. Zeitschrift für physikalische Chemie 23: 239-255. Bei der Dissertation auch Angaben zum Lebenslauf.
  8. Zur Auer-Gesellschaft siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Auergesellschaft. Dort findet sich ein detaillierter Beitrag zur Geschichte der Auer-Gesellschaft (PDF).
  9. Riehl war als Sohn eines deutschen Ingenieurs und einer russischen Mutter in St. Petersburg aufgewachsen und lebte seit 1918 in Berlin. Dort studierte er Physik und promovierte 1927 bei Lise Meitner (1878-1968). Otto Hahn (1879-1968) war mit ihm befreundet. Von 1927-1945 war Riehl Mitarbeiter der Auer-Gesellschaft in Berlin, ab 1939 als Direktor der neu geschaffenen wissenschaftlichen Hauptstelle. 1938 Habilitation an der TH Berlin. Seine Hauptarbeitsgebiete waren Physik der Lumineszenz und angewandte Kernphysik. Riehl gilt als Vater der Leuchtstofflampe.
  10. siehe den Beitrag von Wunderlich in „Genetiker in Berlin-Buch“ (wie Anmerkung 5).
  11. Delbrück, Max (1970) A physicist´s renewed look at biology: twenty years later. Science 168: 1312-1315.
  12. Zimmer, Karl Günther (1934) Ein Beitrag zur Frage nach der Beziehung zwischen Röntgenstrahlendosis und dadurch ausgelöster Mutationsrate. Strahlentherapie 51: 179-184.
  13. Zimmer, Karl Günther (1966) The Target Theory, pp. 33-42. In: John Cairns, Gunther S. Stent, James D. Watson (Eds.), Phage and the Origins of Molecular Biology. Cold Spring Harbor: Cold Spring Harbor Laboratory Press, hier p. 37.
  14. Zimmer, Karl Günther (1936) Radiumdosimetrie. Verfahren und bisherige Ergebnisse. Leipzig: Georg Thieme.
  15. Zimmer mit Timoféeff, und zum Teil mit A. Pickhan, E. Wilhelmy (1935/36) Strahlentherapie 53: 134-138; 54: 265-278; 55: 77-84; 56: 488-496; 57: 521-531, mit H.D. Griffith (1935) British Journal of Radiology 8: 40-47.
  16. Deichmann, Ute (1992) Biologen unter Hitler: Vertreibung, Karrieren, Forschung. Frankfurt am Main: Campus.
  17. Zimmer, Karl Günther (1937) Strahlungen. Wesen, Erzeugung und Mechanismus der biologischen Wirkung. Leipzig: Georg Thieme
  18. Näheres bei: Gausemeier, Bernd (2005) Natürliche Ordnungen und politische Allianzen. Biologische und biochemische Forschung an Kaiser Wilhelm-Instituten 1933-45. Göttingen: Wallstein, hier Seiten 170-186 und Bielka, Heinz (2002) Geschichte der Medizinisch-Biologischen Institute Berlin-Buch. 2.Auflage. Berlin, Heidelberg: Springer.
  19. Genannt seien: Zimmer, Karl Günther  (1938) Dosimetrische und strahlenbiologische Versuche mit schnellen Neutronen I. Strahlentherapie 63: 517-527, Zimmer, Karl Günther, Nikolai V. Timoféeff-Ressovsky (1939) Note on the biological effects of densely ionizing radiation. Physical Review 55: 411, Zimmer, Karl Günther (1940) Dosimetrische und strahlenbiologische Versuche mit schnellen Neutronen III. Strahlentherapie 68: 74-78, Catsch, Alexander, Otto Peter und Karl Günther Zimmer (1947) Strahlenbiologische Untersuchungen mit schnellen Neutronen, Zeitschrift für Naturforschung 2b: 1-5.
  20. Timoféeff-Ressovsky, Nikolaj V.; Zimmer, Karl Günther (1947) Das Trefferprinzip in der Biologie. Leipzig: Hirzel; Lea, Douglas E. (1946) Action of radiations on living cells. Cambridge: University Press. Zimmer hat sich diesen Problemen immer wieder zugewandt: Zimmer, Karl Günther (1960) Studien zur quantitativen Strahlenbiologie. Wiesbaden: Franz Steiner; Derselbe (1966) Target Theory, wie Anmerkung 13; Derselbe (1969) The 11th Douglas Lea Memorial Lecture: From target theory to molecular radiobiology. Physics in Medicine and Biology 14: 545-553. Auch Timoféeff widmete sich diesem Thema erneut: N. V. Timoféeff-Ressovsky, Vladimir I. Ivanov und Vladimir J. Korogodin (1972) Die Anwendung des Trefferprinzips in der Strahlenbiologie. Jena: Fischer [in Russisch 1968].
  21. Zimmer, Lea Memorial Lecture (wie Anmerkung 20), hier Seite 546.
  22. Archiv der Max Planck-Gesellschaft I. Abt., Rep 34, Nr.100.
  23. Born, Hans-Joachim, A. Lang, Gerhard Schramm, Karl Günther Zimmer (1941) Versuche zur Markierung von Tabakmosaikvirus mit Radiophosphor. Die Naturwissenschaften 29: 22-223.
  24. Zimmer, Karl Günther (1943) Statistische Ultramikrometrie mit Röntgen-, Alpha- und Neutronenstrahlung. Physikalische Zeitschrift 44, 233-243; Derselbe  (1943) Ergebnisse und Grenzen der treffertheoretischen Deutung von strahlenbiologischen Dosis-Effekt-Kurven. Biologisches Zentralblatt 63: 72-107; Derselbe (1944) Mechanismus der Wirkung ionisierender Strahlen auf Lösungen I. Physikalische Zeitschrift 45: 265-267.
  25. Jordan, Pascual, Karl Günther Zimmer, Nikolai V. Timoféeff-Ressovsky (1948) Über einige physikalische Vorgänge bei der Auslösung von Genmutationen durch Strahlung II. Zeitschrift für Vererbungslehre 82: 67-73.
  26. Riehl, Nikolaus, Robert Rompe, Nikolai V. Timoféeff-Ressovsky, Karl Günther Zimmer (1943) Über Energiewanderungsvorgänge und ihre Bedeutung für einige biologische Prozesse. Protoplasma 38: 105-126.
  27. Zimmer am 24.9.1957 an Präsident Otto Hahn. Archiv der Max Planck-Gesellschaft II. Abt., Rep. 1A, Personalakte Zimmer.
  28. Bielka, Geschichte (wie Anmerkung 18), Schmuhl, Hans-Walter (2002) Hirnforschung und Krankenmord. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung 1937-1945. Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 50: 538-609.
  29. http://en.wikipedia.org/wiki/Hans-Joachim_Born
  30. http://en.wikipedia.org/wiki/Alexander_Catsch
  31. Gausemeier, Ordnungen (wie Anmerkung 18); Schmaltz, Florian (2005) Kampfstoff-Forschung im Nationalsozialismus: zur Kooperation von Kaiser-Wilhelm-Instituten, Militär und Industrie. Göttingen: Wallstein, hier Seiten 246-291; Maier, Helmut (Hrsg.) (2007) Gemeinschaftsforschung, Bevollmächtigte und der Wissenstransfer: die Rolle der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im System kriegsrelevanter Forschung des Nationalsozialismus. Göttingen: Wallstein, hier Seiten 434-444; Nagel, Günter (2002) Atomversuche in Deutschland. Geheime Uranarbeiten in Gottow, Oranienburg und Stadtilm. Zella-Mehlis, Meiningen: Heinrich Jung; Stange, Thomas (1998) Die kernphysikalischen Ambitionen des Reichspostministers Ohnesorge. Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 21: 159-174.
  32. Gausemeier, Ordnungen (wie Anmerkung 18), hier Seite 184.
  33. Gausemeier, Ordnungen (wie Anmerkung 18), Schmaltz, Kampfstoff (wie Anmerkung 31).
  34. Hentschel, Klaus; Ann M. Hentschel (1996) Physics and National Socialism: An Anthology of Primary Sources. Basel, Berlin: Birkhäuser, hier Seite 303.
  35. http://de.wikipedia.org/wiki/Uranprojekt und http://de.wikipedia.org/wiki/Kernphysikalische_Forschungsberichte Es war den Autoren nicht erlaubt, Kopien ihrer Berichte aufzuheben.
  36. Walker, Mark (1990) Die Uranmaschine: Mythos und Wirklichkeit der deutschen Atombombe. Berlin: Siedler, hier Seite 313 ff. Der Autor dankte u.a. Zimmer für das kritische Lesen einer Rohfassung.
  37. Hentschel, Physics (wie Anmerkung 34), hier Seite 324.
  38. Schmaltz, Kampfstoff (wie Anmerkung 31) zitiert diese Passage auf Seite 282f. Das Zitat wird hier übernommen.
  39. Zur weiteren Information der in diesem und dem folgenden Abschnitt dargestellten Ereignisse sei verwiesen auf: Albrecht, Ulrich, Andreas Heinemann-Grüder, Arend Wellmann (1992) Die Spezialisten: Deutsche Naturwissenschaftler und Techniker in der Sowjetunion nach 1945. Berlin: Dietz, hier Seiten 48-82; Oleynikov, Pavel V (2000) German Scientists in the Soviet Atomic Project. The Nonproliferation Review 7: 1-30; Mick, Christoph (2000) Forschen für Stalin: Deutsche Fachleute in der sowjetischen Rüstungsindustrie 1945-1958. München, Wien: Oldenbourg.
  40. Der Physiker und Autor Arnold Kramish (1923-2010) hat diese Geschichte später in einem Thriller dargestellt, der weitgehend auf Tatsachen beruht. Kramish, Arnold (1987) Der Greif. Paul Rosbaud – der Mann, der Hitlers Atompläne scheitern ließ. München: Kindler. Amerikanisches Original (1986) The Griffin - the greatest untold espionage story of World War II, Boston: Houghton Mifflin Co. Siehe auch http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Rosbaud
  41. Flerov hatte 1942 registriert, dass nach der Entdeckung der Kernspaltung in amerikanischen und deutschen Zeitschriften keine weiteren Veröffentlichungen zu diesem Thema erschienen und daraus richtig geschlussfolgert, dass dort geheime kriegswichtige Forschungen stattfinden müssten. In einem Brief an Stalin teilte er diese Beobachtung mit. Danach begannen eigene Anstrengungen der Sowjetunion zur Entwicklung von Atomwaffen.
  42. Sehr informativ ist das von dem amerikanischen Chemiker Frederick Seitz (1911-2008) ausführlich kommentierte und übersetzte Buch: Riehl, Nikolaus; Seitz, Frederick (1996) Stalin´s Captive: Nikolaus Riehl and the Soviet Race for the Bomb. American Chemical Society and the Chemical Heritage Foundation. Ursprüngliche deutsche Fassung: Riehl, Nikolaus (1988) Zehn Jahre im goldenen Käfig. Erlebnisse beim Aufbau der sowjetischen Uran-Industrie. Stuttgart: Riederer. Vgl. auch http://de.wikipedia.org/wiki/Nikolaus_Riehl (bedarf der Überarbeitung) und Horst Kant (2003) Riehl, Nikolaus. Neue Deutsche Biographie 21: 587-88.
  43. Die Vernehmungsprotokolle sind teilweise zugänglich bei: Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, z.B. unter HA IX/11 und HA IX/ 20699, Archiv der Max Planck-Gesellschaft I. Abt., Rep. 34, Nr.100. Allzu weit reichende Schlüsse sollten allerdings aus den Protokollen nicht gezogen werden.
  44. http://en.wikipedia.org/wiki/Sharashka Der Physiker Dr. Karl-Heinrich Riewe versuchte mit einem Streik die Einhaltung eines mit ihm geschlossenen Vertrages durchzusetzen. Er wurde wegen Sabotage zu 25 Jahren Haft verurteilt und dann kurzerhand erschossen. Timoféeffs langjähriger Mitarbeiter Zarapkin weigerte sich, seine Arbeiten zur theoretischen Genetik aufzugeben. Er wurde deshalb zurück in den GULAG verbracht und starb dort bald. Siehe Oleynikov, German Scientists (wie Anmerkung 39), hier Seite 14 und Riehl, Stalins captive (wie Anmerkung 42), hier S.129.
  45. Oleynikov, German Scientists (wie Anmerkung 39), hier Seite 21.
  46. Mick, Forschen (wie Anmerkung 39), hier Seite 151.
  47. Das Zitat wird übernommen von Maier, Gemeinschaftsforschung (wie Anmerkung 31), hier Seite 426.
  48. http://en.wikipedia.org/wiki/Laboratory_B_in_Sungul%E2%80%99
  49. Legakov, B.G. et al. (2003) Pulse nuclear reactors at RFNC-VNIITF. Snezhinsk: Russian Federal Nuclear Center- All-Russia Scientific Research Institute of Technical Physics. Chapter 1: History of pulse nuclear reactors at RFNC-VNIITF.
  50. Siehe den Beitrag von M. Rajewsky in „Genetiker in Berlin-Buch“ (wie Anmerkung 5).
  51. Archiv der Max Planck-Gesellschaft II. Abt., Rep. 1A, Personalakte Zimmer.
  52. Riehl, Stalins captive (wie Anmerkung 42), hier Seite 200.
  53. Archiv der Max Planck-Gesellschaft II. Abt., Rep. 1A, Personalakte Zimmer.
  54. Nach Nagel, Atomversuche (wie Anmerkung 31), hier Seite 211, reiste der Physiker Robert Rompe (1905-1993) im Auftrag des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit nach Suchumi, um den Spezialisten Angebote der DDR zu überbringen. Da Rompe vor 1945 mit der Timoféeff-Gruppe zusammengearbeitet hatte, war er Zimmer und den anderen ehemaligen Bucher Wissenschaftlern persönlich bekannt. Dennoch (oder deswegen?) blieb Rompes Mission erfolglos.
  55. Die vier Professoren Born, Catsch, Riehl und Zimmer blieben bis zum Ende ihres Lebens befreundet.
  56. Maddrell, Paul (2006) Spying on Science: Western Intelligence in Divided Germany 1945-1961. Oxford: Oxford University Press, hier Seite 209.
  57. Albrecht, Die Spezialisten (wie Anmerkung 39), hier Seite 61.
  58. W. Heisenberg an Generalverwaltung der MPG, 12.12.1955. MPG-Archiv II. Abt., Rep. 1A, PA Zimmer
  59. Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, Akte Zimmer
  60. Zimmer, A physicist´s comments (wie Anmerkung 3); Zimmer, Karl Günther (1956) The development of quantum biology during the last decade. Acta radiologica 46: 595-602.
  61. Zu Einzelheiten dieser Entwicklung siehe: Eckert, Michael (1988) Neutrons and politics: Maier-Leibnitz and the emergence of pile neutron research in the FRG. Historical Studies in the Physical and Biological Sciences 19: 81-113.
  62. Das Institut in München leitete dann Otto Hug (1913-1978).
  63. Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, Akte Zimmer
  64. Zimmer, Karl Günther (1960) Studien zur quantitativen Strahlenbiologie. Wiesbaden: Franz Steiner; Zimmer, Karl Günther (1961) Studies on Quantitative Radiation Biology. Edinburgh, London: Oliver & Boyd (auch russische Übersetzung des Buches bei Atomisdat Moskva 1962). Rezension bei Hollaender, Alexander (1961) Hit and target theories. Science 134:1233. Hollaender hatte bereits 1939 aus strahlenbiologischen Versuchen klare Hinweise erhalten, dass Gene aus Nukleinsäuren bestehen. „[He] fired one of the first shots in the molecular biological revolution“ (von Borstel, R.C.; Charles M. Steinberg (1996) Alexander Hollaender: Myth and Mensch. Genetics 143: 1051-1056, hier S. 1051).
  65. Zimmer Papers: http://www.lib.utk.edu/spcoll/manuscripts/0839.html
  66. Wagner, Gustav; Andrea Mauerberger (1989) Krebsforschung in Deutschland. Vorgeschichte und Geschichte des Deutschen Krebsforschungszentrums. Berlin, Heidelberg: Springer. Seiten 58, 71, 76, 78.
  67. Zimmer, Karl Günther, Lars Ehrenberg, Anders Ehrenberg (1957) Nachweis langlebiger magnetischer Zentren in bestrahlten biologischen Medien und deren Bedeutung für die Strahlenbiologie. Strahlentherapie 103: 3-15; Zimmer, Karl Günther (1959) Evidence for free-radical production in living cells exposed to ionizing radiation. Radiation research, Supplement 1: 519-529.
  68. Zimmer, Karl Günther (1960) The development and prospects of quantitative radiobiology. International Journal of Radiation Biology, Supplement 1: 1-8; Zimmer, Karl Günther; A. Müller (1965) New light on radiation biology from electron spin resonance studies. Current Topics in Radiation Research 1: 3-48; Jung, Horst, Karl Günther Zimmer (1966) Some chemical and biological effects of elastic nuclear collisions. Current Topics in Radiation Research 2: 69-128; Zimmer, Karl Günther (1967) Entwicklung und gegenwärtige Probleme der molekularen Strahlenbiologie. Strahlentherapie 134: 161-174; Derselbe (1969) Some recent studies in molecular radiobiology. Current Topics in Radiation Research 5: 1-38; Derselbe (1973) Perspectives in molecular radiation biology: The biophysical approach. Current Topics in Radiation Research Quarterly 9: 2-6.
  69. Catsch, 60. Geburtstag (wie Anmerkung 6), hier Seite 125.
  70. Dertinger, Hermann, Horst Jung (1969) Molekulare Strahlenbiologie. Mit einem Geleitwort von K.G. Zimmer. Berlin, Heidelberg, New York: Springer.
  71. Zimmer, Karl Günther (1966) The Fourth Failla Memorial Lecture: Some unusual topics in radiation biology. Radiation Research 28: 830-843; Derselbe, Lea Memorial Lecture (wie Anmerkung 20).
  72. Zitiert nach Herrlich, In memoriam (wie Anmerkung 6), Seite 179.
  73. Herrlich, In memoriam (wie Anmerkung 6), Seite 180.
  74. Pontecorvo, Guido (1958) Trends in Genetic Analysis. New York: Columbia University Press, hier Seite 2 f.
  75. Zimmer, Target theory (wie Anmerkung 13), hier Seite 33.
  76. Zimmer, Failla Lecture (wie Anmerkung 71), hier Seite 830.
  77. Zimmer, Karl Günther (1982), N.W. Timoféeff-Ressovsky 1900-1981. Mutation Research 106: 191-3.
  78. Zimmer, Basic radiobiology (wie Anmerkung 1).
  79. Stent, Molecular biology (wie Anmerkung 1).

Für wertvolle Hinweise danke ich den Töchtern von Prof. Nikolaus Riehl, Frau Dr. Ingeborg Hahne (Leonberg-Warmbronn) und Frau Dr. Irene Fiedler (Baldham).

8. Juli 2011
Prof. em. Dr. rer. nat. Volker Wunderlich
Max Delbrück Centrum für Molekulare Medizin, 13125 Berlin. E-mail: vwunder@mdc-berlin.de

Text: Volker Wunderlich
© 2011 MDC

Zur Überschrift: Für den Titel einer seiner letzten Arbeiten verwendete Zimmer diesen, von Gunther Stent (1924-2008) mit dessen Einverständnis adaptierten Aphorismus.1