Aus zwei mach eins

Ob ein Gegenstand nass oder trocken, rau oder glatt, hart oder weich ist, erfahren wir über unseren Tastsinn. Gleichzeitig erkennt das Gehirn, dass die frisch gefüllte Kaffeetasse sich nicht nur glatt, sondern auch warm anfühlt. Doch wie funktioniert die gleichzeitige Verarbeitung von Berührung und Temperatur im Gehirn?

 

Dr. James Poulet. Foto: David Außerhofer/MDC

Das Gehirn das komplexeste Organ unseres Körpers. Allein die Länge aller Nervenbahnen umfasst beim Menschen mehr als fünf Millionen Kilometer. Obwohl die Forscher über zahlreiche Strukturen bereits einiges wissen, sind viele der Prozesse im zentralen Nervensystem noch nicht verstanden. Wie etwa aus zwei verschiedenen Reizinformationen automatisch eine einheitliche Wahrnehmung entsteht, untersucht derzeit James Poulet vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin (MDC). Exemplarisch hat der britische Neurobiologe für seine Arbeit „Temperatur“ und „Berührung“ gewählt. „Für uns ist es ganz alltäglich, solche sensorischen Eindrücke zusammen wahrzunehmen. Trotzdem wissen wir nicht viel darüber, wie genau sie verarbeitet und verbunden werden“, sagt Poulet. Erst vor kurzem erhielt er für dieses Forschungsprojekt einen „Consolidator Grant“ des Europäischen Forschungsrates (European Research Council, ERC). Von der Aufnahme der Reize auf der Haut bis hin zu ihrer Verarbeitung im Gehirn verfolgt der 41-Jährige am MDC nun die verschiedenen Abläufe dieses Prozesses im Mausmodell.

In drei Phasen geht Poulet dem bisher ungelösten Rätsel der Wahrnehmungsverbindungen auf den Grund. Zunächst will er herausfinden, welche neuronalen Schaltkreise die thermalen und haptischen Reize verarbeiten. Dafür lokalisiert er die verantwortlichen „Nervenzell-Netzwerke“, um sie in einer Art Landkarte darstellen zu können – denn Poulet will wissen, welche Regionen im Gehirn bei welcher Empfindung angesprochen werden und welche Neuronen daran beteiligt sind.

 

Poulet und sein Team benutzen Mäuse als Modell, um verschiedene Sequenzen im Gehirn zu verfolgen. Foto: Poulet Lab

In einem zweiten Schritt geht es darum, den aktiven Prozess der Wahrnehmung zu verfolgen. Dazu trainieren Poulet und sein Team Mäusen an, mit ihrer Vorderpfote einen Hebel zu berühren, sobald sie beim Betasten eines Objektes auch Kälte wahrnehmen. „Mäuse haben eine besonders gute Empfindung, wenn es um Temperaturdifferenzen geht“, sagt der Neurowissenschaftler. „Sie können selbst einen Wärmeunterschied von nur einem halben Grad erkennen, was dem Temperaturbewusstsein eines Menschen ähnelt.“ Die Forscher beobachten, welche Nervenzellen in der Großhirnrinde – dem Kortex – den thermischen mit dem haptischen Reiz verbinden, wenn die Mäuse den Temperaturwechsel signalisieren.

Einblicke in die Verarbeitung der Sinneswahrnehmungen

Schließlich will Poulet auch erforschen, ob eine Veränderung dieser Wahrnehmung möglich ist. In einem sogenannten optogenetischen Verfahren sollen deshalb lichtempfindliche Proteine an bestimmte Zellen im Gehirn geknüpft werden. Wie mit einer Art Schalter lassen sich mit den Proteinen Wahrnehmungsprozesse aktivieren oder deaktivieren. „Diese spezielle Methode ermöglicht uns, die Aktivität von gekennzeichneten Zellen im Gehirn mit Hilfe von Licht zu verändern. Das verschafft uns völlig neue Live-Einblicke in die Verarbeitung von Sinneswahrnehmungen“, erklärt Poulet weiter.

Solche Forschungserkenntnisse könnten dazu beitragen, gesunde Verbindungsprozesse im Gehirn von abweichenden Mustern zu unterscheiden. Langfristig könnten diese Informationen helfen, neurodegenerative Krankheiten, bei denen Wahrnehmungsprozesse im Gehirn gestört sind, besser zu verstehen.

Poulet konnte mit seiner Grundlagenforschung beim ERC bereits zum zweiten Mal trumpfen. Im Jahr 2010 erhielt er einen „Starting Grant“ für Nachwuchswissenschaftler. Mit dieser Förderung untersuchte der Forscher Veränderungen der Gehirnaktivitäten im Wachzustand, wie etwa verschiedene Muster bei Aufmerksamkeit. „Die Kortex-Region stand schon damals im Vordergrund meiner Forschung. Ich will verstehen, wie das Gehirn funktioniert“, sagt Poulet.


Eine englische Version des Artikels ist auf Helmholtz.de  erschienen.
Autoren: Sophie Rau and Kristine August

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