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Zwei auf einen Streich – wie Zellen sich vor Krebs schützen

Neue Erkenntnisse von MDC und Charité-Forschern

  Zellen haben zwei verschiedene Schutzprogramme, die sie davor bewahren, bei Stress außer Kontrolle zu geraten, sich ungebremst zu teilen und Krebs zu entwickeln. Bisher ging die Forschung davon aus, dass sich diese Sicherungssysteme unabhängig und getrennt voneinander anschalten. Jetzt haben Krebsforscher des Max-Delbrück-Centrums (MDC) Berlin-Buch und der Charité – Universitätsmedizin Berlin erstmals bei Lymphdrüsenkrebs (Lymphom) im Tiermodell gezeigt, dass beide Schutzprogramme durch ein Wechselspiel mit normalen Abwehrzellen zur Verhinderung von Tumoren zusammenarbeiten. Die Erkenntnisse von Dr. Maurice Reimann und seinen Kollegen aus der Forschungsgruppe von Prof. Clemens Schmitt könnten grundlegende Bedeutung für die Krebsbekämpfung haben (Cancer Cell, Vol. 17, Issue 3, 16 March 2010, pp. 262-272; DOI 10.1016/j.ccr.2009.12.043)*.

Seit einiger Zeit wissen Forscher, dass krebsauslösende
Gene (Onkogene) im Frühstadium der Entstehung einer Krebserkrankung
paradoxerweise selbst diese Zellschutzprogramme aktivieren können. Das erklärt
möglicherweise, weshalb manche Tumore Jahrzehnte brauchen, bis sie zum Ausbruch
kommen. Das Krebsgen Myc löst den programmierten Zelltod oder Apoptose
(griech.: fallende Blätter) aus. Das ist ein seit langem bekanntes
Schutzprogramm, bei dem sich eine geschädigte Zelle umbringt, und damit den
Körper als Ganzes vor Schaden bewahrt. Mit einer Chemotherapie aktivieren Ärzte
dieses Schutzprogramm bei einer Krebsbehandlung.

Das zweite Sicherungsprogramm ist die Seneszens (lat.:
senex für Alter, Greis). Es wird von einem anderen Krebsgen, dem ras-Onkogen, angeschaltet. Dieses
Programm hält den Zellzyklus an, die Zelle kann sich nicht mehr teilen, lebt aber
im Gegensatz zur Apoptose weiter und ist noch Stoffwechsel-aktiv. Prof.
Schmitt, der in der Charité als Kliniker tätig ist und am MDC eine
Forschungsgruppe leitet, hatte vor wenigen Jahren im Tierversuch an Hand eines
Lymphdrüsenkrebs-Modells zeigen können, dass die Seneszenz die Entwicklung
bösartiger Tumoren im Frühstadium blockieren kann.

Krebsgen Myc löst
Kaskade zur Aktivierung beider Schutzprogramme aus

Jetzt konnten Dr. Reimann, Dr. Soyoung Lee, Dr. Christoph
Loddenkemper, Dr. Jan R. Dörr, Dr. Vedrana Tabor und Prof. Schmitt erstmals
nachweisen, dass das Krebsgen Myc eine Schlüsselrolle bei der Aktivierung
beider Schutzprogramme spielt und zwar ohne Anwesenheit des ras-Onkogens. „Bemerkenswert an diesem
Befund ist, dass ein Onkogen zunächst Apoptose auslösen kann und mit dem
Tumorstroma – das ist das Gewebe, das den Tumor umgibt und auch gesunde Zellen
enthält - sowie dem Immunsystem wechselwirkt und in der Lage ist, dort Signale
anzuschalten, die dann zu Tumor-Seneszenz führen“, erläutert Prof. Schmitt die
Forschungsarbeit.

„Grundlegende
Bedeutung“

Die Kaskade läuft nach den Erkenntnissen der Forscher wie
folgt ab: erst löst das Myc-Onkogen in den Lymphomzellen Apoptose aus. Die
absterbenden, apoptotischen Zellen locken Fresszellen (Makrophagen) des
Immunsystems an, die die abgestorbenen Lymphomzellen entsorgen. Die so
aktivierten Fresszellen wiederum setzen Botenstoffe (Zytokine) frei, darunter
das Zytokin TGF-beta. Es kann im Frühstadium einer Tumorerkrankung das Wachstum
von Krebszellen hemmen. Die MDC- und Charité-Forscher stellten fest, dass der
Botenstoff in den Tumorzellen, die der Apoptose entkommen sind, das
Seneszenz-Programm anschaltet und die Krebszellen damit stilllegt.

„Unsere Ergebnisse haben vermutlich über die
Lymphomerkrankungen hinaus grundlegende Bedeutung für die Krebsentstehung.
Weiter zeigen sie, dass die durch Botenstoffe des Immunsystens ausgelöste
Seneszenz möglicherweise ein wichtiges weiteres Wirkprinzip neben der durch
Chemotherapie ausgelösten Apoptose ist.“

Gegenwärtig beschäftigen sich die Forscher in der
Arbeitsgruppe von Prof. Schmitt intensiv mit Chemotherapie-vermittelter
Seneszenz. „Wenn wir genauer verstanden haben, ob wir Krebszellen, die wir
nicht mehr abtöten können, auch durch Seneszenz-Anschaltung langfristig unter
Kontrolle bringen können, ergäben sich wichtige neue Therapiemöglichkeiten“,
sagte Prof. Schmitt.

*Tumor Stroma-Derived TGF-b Limits Myc-Driven Lymphomagenesis via
Suv39h1-Dependent Senescence

Maurice Reimann1,6,
Soyoung Lee1,2,6, Christoph Loddenkemper3,6, Jan R. Dörr1,6,
Vedrana Tabor2,6, Peter Aichele4, Harald Stein3,
Bernd Dörken1,2, Thomas Jenuwein5, and Clemens A. Schmitt1,2

 

1Charité - Universitätsmedizin Berlin/Molekulares
Krebsforschungszentrum der Charité - MKFZ, Berlin, Germany

2Max-Delbrück-Center for Molecular Medicine,
Berlin, Germany

3Charité - Universitätsmedizin Berlin/Department of Pathology, Campus
Benjamin Franklin, Berlin, Germany

4UniversityHospital Freiburg, Department
of Immunology, 79104 Freiburg,
Germany

5Research Institute of Molecular Pathology, Vienna,
Austria (present address:
Max-Planck-Institute of Immunology, Freiburg,
Germany)

6These authors contributed equally to this work

Correspondence:
clemens.schmitt@charite.de. Fon +49-30-450 553 687; Fax +49-30-450 553 986

Kaskade zur Aktivierung von Zellschutzprogrammen (Graphik: Clemens Schmitt)

Barbara Bachtler

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