Helmholtz Health zum aktuellen Tierschutzgesetz-Referentenentwurf
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft strebt mit seinem aktuellen Referentenentwurf zum Tierschutzgesetz (TierSchG) vor allem eine Stärkung des Schutzes von Tieren in der Landwirtschaft und im Heimtierbereich an. Allerdings berührt der Referentenentwurf in der vorliegenden Form in zentralen Aspekten auch die Verwendung von Wirbeltieren, Kopffüßern und Zehnfußkrebsen zu wissenschaftlichen Zwecken und zur klinischen Nutzung.
Grundsätzlich begrüßen wir die Bestrebung, den Tierschutz zu verbessern und zu stärken sehr. Wir befürchten aber, dass es dadurch zu einem erheblichen Nachteil für den Wissenschaftsstandort Deutschland kommen wird.
Dazu unsere Stellungnahme im Einzelnen:
Tiefgreifende Einschränkungen sind durch die Ergänzungen im §17 des Referentenentwurfs zu erwarten:
Die Neuformulierung des §17 zielt darauf ab, die Qualifikationsmerkmale für die Grundtatbestände, Tieren erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen oder sie ohne vernünftigen Grund zu töten, auszuweiten und den vorgesehenen Strafrahmen signifikant zu erhöhen. Wer künftig „beharrlich
wiederholt" oder eine „große Zahl von Wirbeltieren" ohne „vernünftigen Grund" tötet, soll mit einer Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft werden. Diese Änderungen betreffen alle Sektoren der Tiernutzung gleichermaßen und damit auch die Verwendung von Wirbeltieren, Kopffüßern und Zehnfußkrebsen zu wissenschaftlichen und klinischen Zwecken. Der „vernünftige Grund" für die Tötung von Tieren ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Diesen
Begriff hat innerhalb der EU neben Österreich lediglich Deutschland in das TierSchG aufgenommen, wobei der „vernünftige Grund" nur in Deutschland auch im Versuchstierbereich zur Anwendung kommt. Dieser innerhalb der EU einzigartige Umstand führt in Deutschland schon seit langem zu erheblicher Rechtsunsicherheit sowohl auf Seiten der Behörden als auch auf Seiten der tierexperimentell forschenden Einrichtungen.
Die Konsequenzen der bestehenden Rechtsunsicherheit werden durch die Neuformulierung des §17 erheblich verschärft.
Auch bei einer sorgfältig geplanten Zucht ist es unvermeidbar, dass Tiere geboren werden, die auf Grund ihrer Merkmale (z.B. genetische Ausstattung, Kombination zu studierender Allele, Alter, Geschlecht etc.) nicht in den geplanten und genehmigten Tierversuchen eingesetzt werden können. Zum einen ist hervorzuheben, dass solche Versuchstiere - da in der Regel genetisch verändert - ausschließlich in Versuchstierhaltungen verbleiben und (unabhängig vom Alter) getötet werden müssen. Zum anderen ist die dauerhafte, artgerechte Haltung dieser sog. Überschusstiere (in aller Regel Labormäuse) häufig nicht möglich, da der Platz für wissenschaftlich verwendbare Tiere benötigt wird. Außerdem würde die Haltung solcher nicht-nutzbaren Überschusstiere finanzielle und personelle Ressourcen in nicht unerheblicher Höhe binden, die eigentlich gemäß dem Forschungsauftrag dem Zweck der Grundlagen- und/ oder translationalen Forschung zur Verfügung gestellt wurden, was damit eine zweckentfremdete Mittelverwendung darstellen würde. Diese umgewidmeten Mittel würden der Forschung dann entsprechen fehlen und dazu führen, dass zum Beispiel Medikamente verspätet oder gar nicht bei Patienten ankommen. Aus diesem Grund werden Tiere, die unweigerlich bei genetischen Züchtungen entstehen, aber für die Versuche nicht verwendbar sind, unter der Voraussetzung, dass für sie keine anderweitige Nutzung gefunden werden kann, sachkundig und schmerzfrei getötet.
Die Tötung nicht verwendbarer Versuchstiere geschieht somit zwangsläufig „wiederholt" und betrifft eine „große Zahl von Wirbeltieren", stellt damit also genau den Tatbestand dar, der in der Neuformulierung des §17 TierSchG festgelegt wird, womit besonders der Forschungsbereich von den verschärften strafrechtlichen Konsequenzen betroffen wäre. Der die Strafbarkeit ausschließende Begriff des „vernünftigen Grundes" in §17 hat sich in der Praxis als zu unbestimmt erwiesen.
Strafanzeigen gegen verschiedene Versuchstiereinrichtungen wegen angeblich nicht vorliegender, vernünftiger Gründe bei der Tötung nicht verwendbarer Tiere haben in 2021 bundesweit zu erheblicher Verunsicherung und Sorge vor strafrechtlichen Konsequenzen vor allem bei versuchsdurchführenden Wissenschaftler:innen und Leitungen von Versuchstierhaltungen geführt.
Das Fehlen jeglicher Grundlagen für ein rechtsichereres Handeln im Zusammenhang mit der Tötung nicht verwendbarer Versuchstiere gepaart mit der geplanten Ergänzung des §17 um den Abs. 2 und der erheblichen Verschärfung des Strafrahmens wird die Sorgen und Ängste vor möglicher Strafverfolgung fördern.
Es ist daher von großer Bedeutung, Tierhaltungen in außeruniversitären und universitären Forschungseinrichtungen von diesem Tatbestand auszunehmen. Es sollte vielmehr das Töten von Zuchtüberschüssen von Versuchstieren unter der Voraussetzung der sorgfältigen Zuchtplanung und der Prüfung anderer Möglichkeiten zur Verwendung als vernünftiger Grund aufgenommen werden.
Zudem gibt es noch vier weitere Punkte, die wir ansprechen möchten:
Der neu formulierte §4b, Nr. 1, Buchstabe d und e sieht vor, das Wort „Wirbeltiere" durch das Wort„ Tiere" zu ersetzen. Dies würde das Schutzziel des Tierschutzgesetzes auf alle Tierarten also zum Beispiel auch auf Insekten und Mollusken ausweiten, ohne dass bisher geprüft wurde, welche Konsequenzen diese Ausweitung des Schutzes auf alle Bereiche des täglichen Lebens haben wird. Eine Beibehaltung des Begriffs „ Wirbeltiere" und Ergänzung um die Worte „und Kopffüßer und Zehnfußkrebse" ist zur Vermeidung etwaiger, derzeit nicht geprüfter Widersprüche zu anderen gesetzlichen oder sonstigen Vorgaben sinnvoll.
Die neue Formulierung des §11b Abs. 3 beschränkt die dort getroffenen Festlegungen lediglich auf Tiere, die für wissenschaftliche Zwecke benötigt werden. Das bedeutet, dass die Tiere, die für klinische Anwendungen, wie zum Beispiel die Xenotransplantation oder die Herstellung von Antikörpern benötigt werden, von den Regelungen des §11b Absatz 3 ausgenommen werden und damit nicht für klinische Anwendungen zur Verfügung stünden. Da dies u.a. erhebliche Auswirkungen auf die Herstellung klinisch und diagnostisch notwendiger Substanzen sowie die Entwicklung neuer Therapien für Mensch und Tier haben würde, sollte §11b Absatz 3 folgendermaßen ergänzt werden: ,, ... die für wissenschaftliche und klinische Zwecke notwendig sind."
Der neu eingefügte Abs. 3a des §11b und das damit verbundene Werbeverbot könnte zu einer Einschränkung der objektiven Information über Tierversuche führen, insbesondere, wenn z.B. bildliche Darstellungen von Versuchstieren in Fachaufsätzen und Lehrbüchern davon betroffen sind. Um das Bestreben der transparenten Information der Öffentlichkeit aber nicht zu behindern, sollten Tiere, die zu wissenschaftlicher Forschung und Lehre eingesetzt werden, vom Abs. 3a deshalb ausgenommen werden.
Im §18 wird das Bußgeld für Ordnungswidrigkeiten im Bereich Tierversuche generell in die höhere Kategorie (bis 100.000 €) eingeordnet. Dies bedeutet, dass auch formelle Verstöße in diese Kategorie fallen. Wir bitten hier die Verhältnismäßigkeit zu prüfen.
Wir bitten Sie, die durch uns vorgebrachten Bedenken zum Referentenentwurf eingehend zu prüfen, um mit der neuen Änderung des Tierschutzgesetzes die Chance zu nutzen, mehr Rechtsicherheit für alle mit Versuchstieren und Tierversuchen befassten Personen zu erreichen und die Forschung in Deutschland zu unterstützen.
An der Stellungnahme beteiligte Helmholtz Zentren
Deutsches Krebsforschungszentrum
Helmholtz Munich
Max Delbrück Center für Molekulare Medizin
Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen
Helmholtz-Zentrum Dresden-Rassendorf