Was Vogelgrippe in menschlichen Zellen behindert
H5N1, H7N9, H5N6. Wann immer sich plötzlich Menschen mit einem Vogelgrippevirus anstecken, muss die Weltgesundheitsorganisation WHO das Risiko bewerten: Sind das die ersten Anzeichen einer Pandemie? Oder bleibt es bei einigen Dutzend, vielleicht auch Hunderten Fällen, die nur durch engen Kontakt mit infiziertem Geflügel entstehen? Forscher*innen um Professor Matthias Selbach vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin haben nun einen weiteren Puzzlestein gefunden, der bei dieser ersten Einschätzung wichtig sein könnte. Vogelgrippeviren des Typs Influenza A können demnach infizierte menschliche Zellen nicht so gut in Virenfabriken verwandeln, sie produzieren dort nämlich nicht genug von ihrem Matrix-Protein M1. Das jedoch brauchen die Viren, um ihr vielfach kopiertes Erbgut wieder aus dem Zellkern heraus zu schleusen - eine Voraussetzung, um neue Viren zu bauen, berichten die Forscherinnen und Forscher im Fachblatt „Nature Communications“.
Grippe ist nicht gleich Grippe. Der Name steht für eine Viren-Großfamilie, jeder Familienteil ist benannt nach zwei stachelförmigen Auswüchsen auf ihrer Oberfläche: Hämagglutinin (H), der Schlüssel zu den Zellen von Mensch und Tier, wo sich das Virus vermehren kann. Und Neuraminidase (N), das den Nachkommen hilft, sich aus der infizierten Zelle zu befreien. In Wasservögeln sind 16 Hämagglutinin-Versionen und neun Neuraminidase-Varianten bekannt. So gibt es mindestens 144 mögliche Kombinationen, die sich ständig verändern und an neue Wirte anpassen: Hühner zum Beispiel, aber auch Säugetiere wie Pferde, Schweine und Menschen.
Solche neuen Virusvarianten sind oft tückischer als die saisonale Grippe, denn das Immunsystem des Menschen ist ihnen noch nie begegnet. Manche Menschen sind ihnen wehrlos ausgeliefert, bei anderen reagiert das Immunsystem so heftig, dass die eigene Gegenwehr dem Körper schadet. Im schlimmsten Fall könnte eine Pandemie Millionen Menschenleben kosten. So wie bei der Spanischen Grippe 1918, die mehr als 50 Millionen Opfer forderte. Weltweit versuchen daher Forscherinnen und Forscher die Spielregeln zu verstehen, wann eine Pandemie droht und wann nicht.
Warum sind menschliche Zellen schlechte Virenfabriken für Vogelgrippeviren?
„Hämagglutinin von Mensch und Vogel haben zum Beispiel einen leicht unterschiedlichen chemischen Aufbau. So fällt es einem Vogelgrippevirus schwerer, in eine menschliche Zelle einzudringen als in die eines Vogels“, sagt Selbach. Welche weiteren natürlichen Speziesbarrieren es bei Grippeviren gibt, war die zentrale Fragestellung des Doktoranden Boris Bogdanow in seiner Arbeitsgruppe, dem Erstautor der aktuellen Studie.
Die Gruppe von Matthias Selbach analysiert Proteine mithilfe quantitativer Massenspektrometrie. In Zusammenarbeit mit dem Robert Koch-Institut (RKI) infizierten Boris Bogdanow und seine Kolleg*innen menschliche Lungenepithelzellen jeweils mit einem Vogelgrippe- beziehungsweise einem humanen Grippevirus. Dann maßen sie die Menge aller neu produzierten Proteine im Massenspektrometer. Dazu hatte die Postdoktorandin Dr. Katrin Eichelbaum eine Methode entwickelt, mit der sich neue und alte Proteine genau unterscheiden lassen. „Wir konnten allerdings in der ersten Analyse keine gravierenden Unterschiede zwischen den beiden Stämmen feststellen“, sagt Boris Bogdanow. „Das Vogelgrippevirus und das menschliche Virus unterschieden auf den ersten Blick wenig in der Proteinproduktion, was uns doch ziemlich überraschte.“
Doch der Teufel steckt im Detail. Und so griff Bogdanow zu tiefgreifenderen Analysen, um sich die Proteinverteilung genauer anzusehen. Dabei stieß er auf das Matrix-Protein M1: Es wurde in den Lungenzellen, die vom humanen Virus infiziert waren, in weit größeren Mengen hergestellt. Das M1-Protein ist unter anderem dafür zuständig, die vervielfältigte Viren-RNA wieder aus dem Zellkern der infizierten Zellen heraus zu schleusen, um dann mit anderen neu produzierten Virenproteinen zu den Nachkommen der Grippeviren zusammengebaut zu werden. Könnte es also sein, dass die Viren-RNA der Vogelgrippeviren in menschlichen Zellen quasi im Zellkern gefangen bleibt, weil zu wenig M1-Protein vorhanden ist?
Ein weiterer Puzzlestein
Fluoreszenzmikroskopische Untersuchungen bestätigten den Verdacht: Das Erbgut des Vogelgrippevirus schaffte es viel schlechter, aus dem Zellkern auszubrechen als die RNA des humanen Grippevirus. Aber warum? Gemeinsam mit der Sequenzierplattform des MDC und Professorin Irmtraud Meyer entdeckten sie einen kleinen Abschnitt in der Viren-RNA des Vogelgrippevirus, der alternatives Spleißen beeinflusst. „Wir nennen das ein cis-regulatorisches Element“, sagt Bogdanow. „Alternatives Spleißen regelt nämlich, welche Proteine schlussendlich aus einem Gen gemacht werden, denn viele Gene kodieren für mehr als ein Protein. Wenn menschliche Zellen von Vogelgrippe befallen werden, sorgt dieses Element dafür, dass mehr M2- statt M1-Protein hergestellt wird.“
Um die Relevanz dieses Ergebnisses abzuschätzen, übertrugen die Forscher*innen um Professor Thorsten Wolff vom Robert Koch-Institut das cis-regulatorische Element vom Vogel- auf das Menschenvirus. Tatsächlich konnte sich dadurch das menschliche Grippevirus nun schlechter in menschlichen Lungenzellen vermehren. Einen ähnlichen Versuch machte das Team um Selbach sogar mit Viren der Spanischen Grippe, deren Erbmaterial in den Neunziger Jahren aus Gräbern im Permafrostboden Alaskas isoliert wurde. Sie verwendeten für dieses Zellkultur-Experiment allerdings nur einen kleinen Teil der Viren-RNA und nicht das gesamte Virus. Dennoch konnten sie damit ihre These zum cis-regulatorischen Element auch für dieses Virus bestätigen.
„Wie pathogen ein Vogelgrippevirus ist und ob potenziell eine Pandemie droht, hängt natürlich von vielen Faktoren ab“, sagt Selbach. „Eine Studie in Zellkulturen kann das nicht alles abdecken. Dennoch kann es sinnvoll sein, in Zukunft eine Analyse dieses RNA-Abschnitts in die Risikobewertung von Vogelgrippeviren einzubeziehen.“
Text: Andreas Ofenbauer
Weiterführende Informationen
Arbeitsgruppe von Thorsten Wolff, Robert Koch-Institut, zu „Influenza und weitere Viren des Respirationstrakts“
Literatur
Boris Bogdanow et al. (2019): „The dynamic proteome of influenza A infection identifies M segment splicing as host range determinant“, Nature Communications, DOI: 10.1038/s41467-019-13520-8.
Kontakte
Prof. Dr. Matthias Selbach
Leiter der Arbeitsgruppe „Proteom-Dynamik“
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
030-9406 3574
matthias.selbach@mdc-berlin.de
Jana Schlütter
Redakteurin, Abteilung Kommunikation
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
030-9406 2121
jana.schluetter@mdc-berlin.de oder presse@mdc-berlin.de
- Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC)
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Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft gehört zu den international führenden biomedizinischen Forschungszentren. Nobelpreisträger Max Delbrück, geboren in Berlin, war ein Begründer der Molekularbiologie. An den MDC-Standorten in Berlin-Buch und Mitte analysieren Forscher*innen aus rund 60 Ländern das System Mensch – die Grundlagen des Lebens von seinen kleinsten Bausteinen bis zu organübergreifenden Mechanismen. Wenn man versteht, was das dynamische Gleichgewicht in der Zelle, einem Organ oder im ganzen Körper steuert oder stört, kann man Krankheiten vorbeugen, sie früh diagnostizieren und mit passgenauen Therapien stoppen. Die Erkenntnisse der Grundlagenforschung sollen rasch Patient*innen zugutekommen. Das MDC fördert daher Ausgründungen und kooperiert in Netzwerken. Besonders eng sind die Partnerschaften mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin im gemeinsamen Experimental and Clinical Research Center (ECRC) und dem Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité sowie dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK). Am MDC arbeiten 1600 Menschen. Finanziert wird das 1992 gegründete MDC zu 90 Prozent vom Bund und zu 10 Prozent vom Land Berlin.