Wolf Schröder-Barkhausen

Das Haus der Offenen Wissenschaft

Ihre Selbstbeschreibung als „wissenschaftliche Spezialbibliothek für die MDC-Mitarbeitenden“ klingt so trocken wie ein verstaubter Buchdeckel. Wie viel mehr die MDC-Bibliothek zu bieten hat, darüber haben wir für unsere Serie „Wir am MDC“ mit Wolf Schröder-Barkhausen gesprochen.

Direkt hinter dem Haupttor zum Campus Buch des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) duckt sich ein zweigeteilter Flachbau hinter die Mensa: die Bibliothek. Dort versorgen vier Mitarbeiter*innen und zwei Auszubildende die zwei Standorte des Zentrums mit wissenschaftlicher Literatur und anderen Informationsangeboten. Die MDC-Bibliothek ist weit mehr als eine Informationssammelstelle im traditionellen Sinne. Sie nimmt einen wichtigen Platz im Forschungsprozess ein: So finanziert sie die Veröffentlichung wissenschaftlicher Publikationen im Open-Access und übernimmt die Zweitveröffentlichung von MDC-Artikeln im MDC-Repositorium. Hier werden alle Publikationen von MDC-Autoren erfasst. Aufgrund dieser Datenbasis werden auf den Webseiten der wissenschaftlichen Arbeitsgruppen automatisch Publikationslisten generiert und von der Bibliothek Publikations- und Zitationsanalysen erstellt.

Der Medienbestand der MDC-Bibliothek umfasst etwa 37.000 gedruckte Bände. Dazu kommen mehr als 2.000 Monographien in den Handbibliotheken der Arbeits- und Forschungsgruppen, außerdem die Lizenzen für circa 5.000 Online-Zeitschriften und diverse Datenbanken. Insgesamt hat die Bereitstellung elektronischer Informationen am Arbeitsplatz jeder Wissenschaftlerin und jedes Wissenschaftlers deutlich an Gewicht gewonnen.

Bibliothek im digitalen Wandel

Die Rolle unserer Bibliothek wandelt sich mehr und mehr hin zu einem Dienstleister, der die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Publikationsprozess unterstützt.
Wolf Schröder-Barkhausen
Wolf Schröder-Barkhausen Wissenschaftlicher Dokumentar

Wolf Schröder-Barkhausen begleitet den digitalen Wandel der Bibliothek. Der wissenschaftliche Dokumentar arbeitet seit 2014 in der MDC-Bibliothek. Als Ansprechpartner rund um das Thema Open Access – also den offenen Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen – vertritt er das MDC im Arbeitskreis Open Science der Helmholtz-Gemeinschaft. Dessen zentrale Aufgabe besteht darin, die Akteure vor Ort zu beraten und die Helmholtz Open Science Strategie weiterzuentwickeln. Diese umfasst neben wissenschaftlichen Publikationen auch Forschungsdaten, wissenschaftliche Software und andere Forschungsprodukte.

Das Wort Bibliothek stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „Bücherkiste“. Passt dieser Begriff heutzutage noch?

Die Aufgabe der Bibliothek besteht in erster Linie darin, Literatur und andere Informationsquellen zu sammeln und zur Verfügung zu stellen. Das sind heutzutage hauptsächlich digitale Medien; allerdings kaum E-Books, weil die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dann doch das gedruckte Buch bevorzugen. Auch für die Verwaltung und Infrastruktur des MDC bestellen wir weiterhin gedruckte Medien. Unser Zeitschriftenangebot für die Wissenschaft ist seit mehr als zehn Jahren komplett online verfügbar. Daneben wandelt sich die Rolle unserer Bibliothek mehr und mehr hin zu einem Dienstleister, der die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Publikationsprozess unterstützt. Wir helfen dabei, qualitätsgesicherte Fachjournale zu finden, recherchieren Lizenzbedingungen und unterstützen/beraten bei Unischerheiten im Einreichungsprozeß. Nicht zuletzt finanzieren wir aus unserem Publikationsfonds, der sich aus dem Bibliotheksbudget speist, Veröffentlichungen in Open-Access-Zeitschriften.  

Wie können die Autor*innen eine Förderung über den Fonds beantragen?

Das funktioniert ganz einfach über ein elektronisches Beschaffungssystem. Die Autor*innen müssen dort vermerken, wenn sie einen Artikel in einer Gold-Open-Access-Zeitschrift veröffentlichen wollen. Vom „goldenen Weg“ des Publizierens ist die Rede, wenn eine Erstveröffentlichung in einem frei zugänglichen Open-Access-Journal erscheint. Der Antrag wird dann automatisch an die Bibliothek weitergeleitet und von uns geprüft.

Was wird gefördert, was nicht?

Als erstes prüfen wir, ob es sich tatsächlich um eine qualitätsgesicherte Gold-Open-Access-Zeitschrift handelt. Die Wissenschaftler*innen können sich vorab auch selbst im Directory of Open Access Journals (DOAJ) vergewissern. Antragsberechtigt sind Wissenschaftler*innen, die einen Arbeitsvertrag mit dem MDC haben. Gastwissenschaftler*innen sind davon also ausgeschlossen. Außerdem muss die Antragstellerin oder der Antragsteller im Paper als korrespondierende*r Autor*in aufgeführt sein. Ist in Drittmittelprojekten Geld für die Veröffentlichung genehmigt, wird dieses Budget zunächst ausgeschöpft, bevor wir in unseren Open-Access-Topf greifen.

Was wir ebenfalls nicht übernehmen, sind die Gebühren für Veröffentlichungen in sogenannten hybriden Zeitschriften. Diese schalten nur einige Beiträge als Open-Access-Artikel frei und lassen sich den vollen Lesezugriff bezahlen. Wir am MDC unterstützen diese Verlagspolitik nicht, bei der wir zweimal zur Kasse gebeten werden – einmal fürs Veröffentlichen, ein weiteres Mal fürs Lesen. Die Kosten für das Veröffentlichen von Fotos auf dem Cover des Journals tragen wir ebenfalls nicht – manche Verlage verlangen dafür Tausende von Euros.

Das große Ziel: 100 Prozent Open Access

Wolf Schröder-Barkhausen arbeitet seit 2014 in der MDC-Bibliothek. Dort ist er auch Ansprechpartner rund um das Thema Open Access.

Gilt dieser Workflow für alle Verlage?

Nein, es gibt einige Ausnahmen. Mit Frontiers Media, PLOS und BioMed Central hat das MDC Kooperationsverträge. Wenn Autor*innen dort eine Publikation einreichen, müssen sie nur das MDC als zahlende Institution angeben. Dann bekommt die Bibliothek automatisch die Rechnung. 

Zwei weitere große Ausnahmen sind Springer Nature und Wiley. Für diese Verlage greifen sogenannte DEAL-Verträge. Die jeweiligen Workflows haben wir detailliert im Intranet beschrieben.

Was sind DEAL-Verträge?

DEAL ist ein Projekt der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen, der auch die Helmholtz-Gemeinschaft angehört. Es handelt sich um die in ihrer Art weltweit größten Open-Access-Transformationsvereinbarungen deutscher Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen mit den Verlagen Springer Nature und Wiley. Die DEAL-Verträge ermöglichen allen Wissenschaftlern aus Deutschland , im Open-Access zu publizieren und bieten einen lesenden Zugriff auf fast alle Zeitschriften der genannten Verlage. Autoren des MDC können damit für sie kostenfrei sowohl in den Open-Access-Zeitschriften als auch in Hybrid-Zeitschriften publizieren. Die Artikelkosten werden in der Regel von der Bibliothek übernommen.

Die Vertragsabschlüsse der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen mit Springer Nature und Wiley sind ein Erfolg für die deutsche Wissenschaft. Die Verhandlungen liefen über Monate – übrigens auch mit dem Wissenschaftsfachverlag Elsevier, wo sie aber an den überzogenen Forderungen des Verlages vorerst gescheitert sind.  

DEAL-Verträge mit Wiley und Springer Nature

 

Den DEAL-Verträgen ist eine jahrelange Debatte vorausgegangen. Hintergrund waren die anhaltenden starken Preissteigerungen bei den wissenschaftlichen Publikationen. Die Hochschulrektorenkonferenz wurde nicht müde, diese anzuprangern. Zunehmend bieten die Verlage ihre Inhalte nur noch in großen – und teuren – Paketen („Big Deal“) an. Gleichzeitig fahren sie sehr hohe Renditen ein; das Londoner Hochschulmagazin „Times Higher Education“ bezifferte sie beispielsweise für Elsevier im Jahr 2017 auf 36,8 Prozent.Im Rahmen von DEAL verhandelte die Hochschulrektorenkonferenz bundesweite „Publish-and-Read“-Vereinbarungen für die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen mit den größten Wissenschaftsverlagen. Der Allianz gehören mehr als 700 Einrichtungen an, darunter auch das MDC. 2019 kam es zum Vertragsschluss mit Wiley, 2020 mit Springer Nature. Der Vertrag bietet den Wissenschaftler*innen am MDC einen Volltextzugriff auf das gesamte Titel-Portfolio der Verlage. Zudem werden alle akzeptierten Manuskripte automatisch Open Access geschaltet. Das Copyright verbleibt beim Autor oder bei der Autorin und wird nicht mehr an den Verlag übertragen. Die MDC-Bibliothek übernimmt in der Regel die Artikelkosten.

Ist der Publikationsfonds gedeckelt? Wie tief greift die Bibliothek jedes Jahr in den Topf?

Es ist Konsens in der Helmholtz-Gemeinschaft, dass die Wissenschaftler*innen bestmöglich bei der Veröffentlichung ihrer Ergebnisse unterstützt werden sollen. Deshalb gibt es am MDC in dieser Hinsicht keine Beschränkung. Im Jahr 2019 haben MDC-Wissenschaftler*innen insgesamt 50 Open-Access-Artikel veröffentlicht. Dafür sind mehr als 100.000 Euro geflossen. Die Bibliothek hat davon knapp 89.000 Euro getragen.

Die Helmholtz-Gemeinschaft hat bereits 2004 beschlossen, dass möglichst alle Publikationen ohne Ausnahme kostenlos zugänglich sein sollen. Wie weit sind wir damit am MDC?

Dieses Ziel wurde 2016 in einer neuen Open-Access-Richtlinie konkretisiert.  Die Helmholtz-Einrichtungen haben sich vorgenommen, dass bis zum Publikationsjahr 2019 mindestens 60 Prozent der Publikationen als Open-Access-Artikel veröffentlicht sein sollten. Das hat das MDC geschafft. Diesen Prozentsatz wollen wir für jedes Publikationsjahr um zehn Prozent steigern. Das heißt, für das Publikationsjahr 2020 hatten wir 70 Prozent anvisiert, für 2021 dann 80 Prozent, sodass wir 2023 die 100 Prozent erreicht haben. Die Open-Access-Veröffentlichungen werden auch deshalb immer wichtiger, weil viele Forschungsförderer, allen voran die Europäische Union, ihre Förderung an eine anschließende Open-Access-Veröffentlichung knüpfen.

Haben denn in drei Jahren alle Verlage auf Open Access umgestellt?

Nein, sicher nicht. Aber unsere Wissenschaftler*innen können auch den „grünen Weg“ zu Open-Access-Veröffentlichungen beschreiten. Das heißt, dass wir sämtliche Manuskripte, die ein Verlag akzeptiert hat, als Zweitveröffentlichung im MDC-Repositorium einstellen, einer frei zugänglichen Online-Datenbank. Das ist ein sehr arbeitsintensiver Prozess, der nur gelingen kann, wenn die Autoren ihre Manuskripte direkt bei der Bibliothek abliefern, sobald ein Verlag einen Artikel angenommen hat.

Open Access am MDC

 

Die Helmholtz-Gemeinschaft, der das MDC angehört, hat sich zum Ziel gesetzt, dass die Forschenden ihre Ergebnisse Open Access (OA) – also kostenlos und ohne Lizenzbeschränkungen – zugänglich machen. Dafür gibt es zwei Wege: den goldenen und den grünen Weg. Beim „goldenen Weg“ zu OA ist die Publikation sofort bei Veröffentlichung frei zugänglich. Allerdings sollten die Autor*innen die Vertrauenswürdigkeit und Seriosität der gewählten Zeitschrift im Blick haben. Beispielsweise sollte sie im Directory of Open Access Journals (DOAJ) gelistet sein. Beim „grünen Weg“ zu OA erscheint die Zweitveröffentlichung im MDC-Repositorium.

Vermissen Sie in der überwiegend digitalen Bibliothek manchmal den Umgang mit Papier?

Überhaupt nicht. Durch die Digitalisierung können wir den Wissenschaftler*innen eine Bandbreite an Informationen zur Verfügung stellen, die wir auf dem Papier nie erreichen würden. Außerdem ist meine Arbeit viel zu abwechslungsreich, als dass ich dazu kommen würde, irgendetwas zu vermissen. Die Mitarbeit im Arbeitskreis Open Science der Helmholtz-Gemeinschaft ist sehr bereichernd, da ich mich dort mit Vertretern anderer Zentren intensiv über den Transformationsprozess hin zu Open Science austauschen kann. Mehr noch: Wir gestalten ihn mit. So haben wir beispielsweise 2017 die „Empfehlungen für Richtlinien der Helmholtz-Zentren zum Umgang mit Forschungsdaten“ erarbeitet – das fand ich interessant und kreativ.

Die Fragen stellte Jana Ehrhardt-Joswig.

 

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