Die Erfinderin der tiefgekühlten Linsen
Als die Erfindung des Elektronenmikroskops im Jahr 1986 mit dem Nobelpreis für Physik belohnt wurde, war das für Isolde Dietrich der Höhepunkt ihrer Karriere. Zwar ging der Preis nicht an sie selbst. Ausgezeichnet wurde der Berliner Wissenschaftler Ernst Ruska. Doch mit ihm hatte die in Fürth geborene Physikerin viele Jahre ihres Lebens gemeinsam im Labor verbracht, war Teil seines Berliner Teams gewesen. Der Nobelpreis war auch für Isolde Dietrich, die damals 67 Jahre alt und damit 13 Jahre jünger als Ernst Ruska war, eine große Ehre.
Eine Stiftung für junge Physikerinnen
Dass sie trotz ihrer eigenen großen Verdienste bei der Entwicklung immer leistungsfähigerer Elektronenmikroskope vom Nobelkomitee namentlich nicht genannt wurde, schien Isolde Dietrich nie sonderlich gestört zu haben. „Sie war ein unglaublich bescheidener Mensch, der für die Wissenschaft brannte, sich selbst aber nie in den Vordergrund stellte“, erinnert sich Dr. Svetlana Marian, die in den Jahren 1999 und 2000 Stipendiatin der Dr. Isolde-Dietrich-Stiftung gewesen war.
Ihre eigene Stiftung hatte die promovierte Physikerin 1993 gegründet. Mit dem Geld, das sie sich im Laufe ihres Lebens erspart hatte, wollte Isolde Dietrich junge Frauen fördern, die sich so wie sie selbst der physikalischen Grundlagenforschung, insbesondere der Festkörperphysik, widmen wollten.
„Für mich wurde sie so etwas wie eine zweite Mutter“, erzählt die in Moldawien aufgewachsene Marian, die inzwischen in den Entwicklungslaboren von Mercedes arbeitet. „Mit ihr habe ich Nachmittage lang, meist bei Kaffee und Kuchen, nicht nur über unzählige Forschungsfragen der Physik diskutiert, sondern auch über alle anderen Dinge gesprochen, die in unserem Leben wichtig waren.“
Geistig fit bis zu ihrem Tod
Isolde Dietrich wurde am 21. November 1919 als zweites Kind eines Professors für Linguistik geboren. Auch ihre ältere Schwester begeisterte sich später für die Sprachwissenschaft. Sie selbst hingegen hatte es stets in die Physik gezogen. Für eine Frau ihrer Zeit kein leichtes Unterfangen: „Sie arbeitete hart, stand Abende und Nächte lang im Labor“, erzählt Svetlana Marian.
Doch damit wollte sie nicht nur ihren männlichen Kollegen beweisen, dass sie als Physikerin ernst zu nehmen war. „Es war ihre Leidenschaft“, sagt Marian. „Bis zu ihrem Tod am 17. Januar 2017, der für mich trotz ihrer 97 Jahre sehr unvermittelt kam, hat sie wissenschaftliche Fachzeitschriften gelesen, Vorträge besucht und wollte sich mit mir auch immer über die neuesten Ergebnisse der Festkörperphysik austauschen.“
Dietrichs wohl wichtigster Beitrag für die Entwicklung der modernen Kryo-Elektronenmikroskopie war die Erfindung supraleitender Linsen, die sie als Leiterin eines Forschungslabors von Siemens in München vor allem in den Sechziger- und Siebzigerjahren vorangetrieben hatte. Diese Linsen, die sie auch Ernst Ruska zur Verfügung stellte, wurden mithilfe von flüssigem Helium auf Temperaturen nahe des absoluten Nullpunkts gekühlt. Ihr Vorteil besteht darin, dass Elektronen die Linsen sehr gezielt durchdringen können, das Bild, das sie von einer Probe entwerfen, also besonders scharf wird.
Aktiv im Deutschen Alpenverein
Wenn Isolde Dietrich mal nicht im Labor stand oder die Publikationen ihrer Kolleginnen und Kollegen las, zog es sie hinaus in die Natur. Sie liebte die Berge, die von München aus, wo sie bis zu ihrem Tod lebte, leicht zu erreichen waren. Zusammen mit ihrer Schwester, zu der sie eine sehr enge Bindung hatte, war sie aktiv im Deutschen Alpenverein. Im Sommer gingen die beiden wandern, im Winter fuhren sie Ski.
„Sie haben auch viele Reisen unternommen, waren gemeinsam in Kanada und in Australien“, erzählt Svetlana Marian. Sie erinnert sich an Tagebücher, die Isolde Dietrichs Schwester geschrieben und mit Fotos illustriert hatte. „Leider scheinen diese Bücher nicht mehr zu existieren“, bedauert sie. Umso mehr freut sie sich, dass von jetzt an ein Gebäude auf dem Berliner Campus Buch an Isolde Dietrich erinnern wird. „Sie war stets mein großes Vorbild“, sagt Marian, „und ich bin mir sicher, dass sie selbst es auch als eine große Ehre empfunden hätte.“
Text: Anke Brodmerkel