Durchwahl 3800 geht in den Ruhestand

Nach fast vier Jahrzehnten im Dienst der Wissenschaft auf dem Campus Buch kann Irmgard Wiznerowicz morgens endlich ausschlafen.

Irmgard Wiznerowicz galt stets als die prototypische Abteilungs- und Laborsekretärin über ihre gesamte berufliche Laufbahn, die schon an der Akademie der Wissenschaften der DDR begann. Sie startet jetzt in ihre neue Karriere – die der Ruheständlerin.

Irmgard Wiznerowicz im Jahre 2012. Bild: David Ausserhofer.

Sie hält den Campus-Rekord für die längste Zeit im selben Büro mit derselben Telefonnummer. Über Jahrzehnte, sogar noch vor der Gründung des MDC, wusste jeder, der die 3800 wählte, bei wem er landen würde: Irmgard Wiznerowicz. Im Dezember endet diese Rekordzeit, und mit ihr eine lange Laufbahn als Assistentin einiger der prominentesten Wissenschaftler auf dem Campus Berlin-Buch. Irmchen, wie sie vom letzten ihrer vielen Chefs, ihren zahlreichen Freunden und Generationen von Wissenschaftlern, denen sie auf irgendeine Weise zur Seite gestanden ist, liebevoll genannt wird, geht endlich in den Ruhestand. Das heißt, bald ist sie ihre eigene Chefin, und wenn morgens um 6 das Telefon läutet, kann sie es einfach klingeln lassen.

Campus-Neulinge kennen Irmgard als die Sekretärin von Prof. Walter Birchmeier, was sie seit 1993 auch war. Begegnet waren die beiden sich allerdings schon einige Jahre zuvor. 1985 hatte Birchmeier eine Einladung zum Besuch der Akademie der Wissenschaften der DDR auf dem Campus Buch erhalten, und zwar von Prof. Richard Grosse, Leiter der Abteilung Biomembranen der Akademie. Irmgard war dessen Sekretärin, und sie tippte in Grosses Büro das Einladungsschreiben, direkt an seinem Schreibtisch. Noch heute, 31 Jahre später, hat sie davon eine makellos erhaltene Kopie. Die hat sie aufgehoben, weil sie, ohne es zu wissen, damals an ihren späteren Chef geschrieben hatte – und die Reise, die sie für Birchmeier organisierte, sollte die erste von hunderten sein.

Er ist sich der entscheidenden Rolle voll bewusst, die Irmgard in seinem Labor gespielt hat. „Es gibt niemanden, der so schwer für mich gearbeitet hat, Tag und Nacht, wie Frau Wiznerowicz“, erklärt Birchmeier. „Unsere ehemalige Doktorandin Tamara Grigoryan sagt immer: ‚Wenn Irmchen nicht mehr da ist, bricht hier alles zusammen!’“ Hoffentlich nicht, meint er, aber sie werde mit Sicherheit eine schwer zu füllende Lücke hinterlassen.

„Zum einen hatte Frau Wiznerowicz ein hervorragendes Verhältnis zur Verwaltung und sorgte immer dafür, dass alles glatt lief“, meint Birchmeier. „Sie half bei Beantragung und Verwaltung von Fördermitteln und war an allen möglichen Verhandlungen beteiligt. Sie hat für mich mehrere internationale Konferenzen organisiert. Sie hatte sogar unsere Kooperationspartner im Griff! Und sorgte dafür, dass alles rechtzeitig eintraf.” Sein Vorgänger hatte ihm gesagt, dass es ein schwerer Fehler sein würde, sie nicht zu übernehmen. „Wir sagen immer, nicht der Professor wählt sie als Sekretärin aus, sondern Irmchen sucht sich ihren Professor aus!“

Irmgard Wiznerowicz an ihrem Arbeitsplatz. Bild: MDC.

Irmgard Wiznerowicz begann mit 16 Jahren auf dem Campus zu arbeiten, zuerst in der Essensausgabe der Akademie-Kantine, dann in einer Dienstleistungsabteilung, die elektronische Ausrüstung an Forschungsgruppen verteilte. Die Gehälter waren dürftig, und sie musste ihr Einkommen aufbessern, indem sie nachts kellnerte. Aber die Arbeit für das Institut, gleich, in welcher Funktion, war hoch angesehen, berichtet sie – alle betrachteten es als Ehre.

Nach und nach bewegte sie sich dann auf die Tätigkeit zu, die sie so vortrefflich und so lange ausführen würde. „Ich musste sehr viel Zeit am Telefon verbringen“, erzählt sie, „und das lag mir einfach.“ Auf der Suche nach größeren Herausforderungen begann sie, die Abendschule zu besuchen – nach einem vollen Arbeitstag – und Fähigkeiten wie Maschinenschreiben und Büroverwaltung zu erwerben. Nicht zu vergessen Englisch; das war in der Schule nicht unterrichtet worden, sollte aber entscheidend für ihren ersten Job als Sekretärin sein.

„Ich musste alle Publikationen und Briefe der Gruppe auf Englisch abtippen“, erzählt sie. „Und zwar in der Handschrift meines damaligen Chefs, die nicht sonderlich lesbar war!“

Dann kam die Wiedervereinigung und mit ihr die Auflösung der Akademie und die Fragen zum Schicksal der Beschäftigten. Wie die meisten ihrer Kollegen hatte Irmgard ein Gespräch mit Prof. Detlev Ganten, dem Gründungsdirektor des MDC, und wartete anschließend auf „den Brief“.

„Als er dann kam, konnte ich ihn nicht aufmachen“, erinnert sie sich. „Ich wartete und wartete, bis ich endlich beschloss, es sei jetzt Zeit, zu lesen, was darin stand. Ich musste dann dreimal lesen, ehe ich begriff, dass ich eine Anstellung im neuen Institut haben würde. Was für ein Gefühl! Besser als ein Lottogewinn.“

Über die Jahre übernahm sie mehr und mehr Verantwortung, besonders im Zuge der Bestellung von Prof. Walter Birchmeier als Direktor des MDC. Zwar wurde die diesbezügliche Verwaltungsarbeit weitgehend von Elisabeth Kujawa-Schmeitzner übernommen, aber auch sein Labor arbeitete weiterhin auf Hochtouren, und dessen Leitung kostete Irmgard viele schlaflose Nächte. „Für das Labor und alle Mitglieder seiner Gruppe waren die Veröffentlichungen natürlich das Wichtigste“, meint sie, „und der Strom ließ einfach nicht nach.“

Irmgard wird von all ihren früheren Chefs in den höchsten Tönen gelobt, und sie berichtet, dass diese ausnahmslos sehr unterstützend waren. „Sie haben sich mir gegenüber immer sehr korrekt verhalten“, sagt sie und lacht, „natürlich musste ich sie anfangs erst einmal ‚unter Kontrolle’ bringen.“ Besonders erwähnt sie die Direktoren der früheren Akademie, und dann wohl bekannte Namen für alle, die mit den Anfangsjahren des MDC vertraut sind: Prof. Detlev Ganten, Dr. Erwin Jost und Marion Bimmler.

Und selbstverständlich Prof. Walter Birchmeier. An jeden neuen Chef muss man sich ja erst einmal gewöhnen, und Birchmeier hatte eine Angewohnheit, die sie immer aufs Neue überraschte: „Jeden Tag sagte er zu mir: ‚Vielen Dank’“, schüttelt sie den Kopf. „Wofür denn Danke? Ich machte ja nur meine Arbeit.” Einige Jahre später sollte seine Anerkennung noch weit über Dankesworte hinausgehen, als Birchmeier sich unermüdlich für höhere Gehälter für Irmgard und die anderen Sekretärinnen einsetzte. Sie bezeichnet das als unerwartete und außergewöhnliche Belohnung für eine Tätigkeit, die sie stets als Ehre betrachtet hatte.

Irmgard hinterlässt nicht nur ein persönliches Erbe in Form all dessen, was sie für das Labor zustande gebracht hat, sondern auch einen bleibenden Eindruck bei vielen anderen Sekretärinnen und anderen Mitarbeitenden, denen sie über die Jahre zur Seite gestanden ist. „Wenn ich einen Rat geben soll“, meint sie, „dann ist es, offen mit dem Chef oder der Chefin zu kommunizieren. Lassen Sie Probleme nie einfach liegen, sondern sprechen Sie sie sofort an.“