Geflüchtete Medizinerinnen aus der Ukraine am Max Delbrück Center in Berlin

Forschung als Perspektive für Ukrainerinnen

Geflüchtete Medizinerinnen aus der Ukraine haben Ende September das Max Delbrück Center besucht. Sie wollten sich über die Arbeit des Zentrums zu informieren – und Möglichkeiten für eigene berufliche Chancen ausloten.

Dr. Ilona Miaschenko lebte bis vor wenigen Monaten in Tschernihiw. Die Stadt im Nordosten der Ukraine gehörte zu den ersten, die im Frühjahr 2022 von der russischen Armee angegriffen wurden. Vor einem halben Jahr floh die Bakteriologin mit ihrer Mutter und ihrem dreijährigen Sohn nach Niedersachsen, Deutschland. „In der Ukraine arbeitete ich in einem medizinischen Labor. Mich interessiert, wie Forschung in Deutschland organisiert ist und ob die Tätigkeit in einem wissenschaftlichen Umfeld eine Option für mich wäre“, erzählt Ilona Miaschenko.

Der Prozess, bis ukrainische Zeugnisse anerkannt und die nötigen Prüfungen absolviert wurden, kann Jahre in Anspruch nehmen.
Oksana Seumenicht
Oksana Seumenicht Mitarbeiterin in der Abteilung Forschungsförderung

Sie ist eine von acht Ukrainerinnen, die das Max Delbrück Center an einem bedeckten, herbstlich kühlen Tag Ende September besuchen. Die Frauen sind Medizinerinnen – manche seit Jahren praktizierend, andere noch in der Ausbildung. Sie kommen aus verschiedenen Fachrichtungen von Biologie bis Neurologie und leben seit ihrer Flucht aus der Ukraine in Deutschland, jedoch ohne in ihren Berufen arbeiten zu können. Zwar werden ihre Abschlüsse grundsätzlich anerkannt. Doch um in Deutschland eine Zulassung als Ärztin zu erhalten, müssen etliche Hindernisse überwunden werden, etwa Sprachtests, zu denen auch eine fachsprachliche Prüfung gehört. „Der Prozess, bis ukrainische Zeugnisse anerkannt und die nötigen Prüfungen absolviert wurden, kann Jahre in Anspruch nehmen“, sagt Dr. Oksana Seumenicht. Sie ist Mitarbeiterin in der Abteilung Forschungsförderung am Max Delbrück Center, kommt selbst aus der Ukraine und hat den Tag gemeinsam mit ihrer Kollegin Dr. Olena Nemchyna vom Deutschen Herzzentrum Berlin organisiert.

Weniger administrative Hürden als in der Medizin

Die Idee: den Besucherinnen Einblicke zu verschaffen, wie Wissenschaft in Deutschland organisiert ist, woran am Max Delbrück Center geforscht wird, und ihnen Ideen für neue berufliche Perspektiven zu geben. Auch um die Vermittlung hilfreicher Informationen ging es bei dem Besuch, etwa welche konkreten Anforderungen für Praktika oder feste Jobs bestehen. Antworten hatte zum Beispiel Alina Frolova: Die Forscherin vom Institut für Molekularbiologie und Genetik der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine und der Universität Kiew arbeitet derzeit als Max Delbrück Center Visiting Fellow in der Forschungsgruppe „Hypertonie-vermittelter Endorganschaden“ mit Dr. Florian Herse. „Mein Forschungsaufenthalt wird von der Volkswagen Stiftung finanziert, die eine der ersten Stipendienprogramme für die geflüchtete Ukrainer*innen etabliert hat“, berichtete sie. Generell gebe es in Deutschland im Unterschied zur Ukraine zahlreiche Möglichkeiten zur Forschungsförderung. Dafür brauche man jedoch zunächst einen institutionellen Kooperationspartner. Und Alina Frolova hatte bereits mit der Forschungsgruppe „Hypertonie-vermittelter Endorganschaden“ zusammengearbeitet und gemeinsame Papers publiziert, so dass ihre Einladung nach Berlin auf der Hand lag.

Alina Frolova gibt den Besucherinnen einen Überblick über die Möglichkeiten zur Forschungsförderung

Zuvor hatte Dr. Ulrich Scheller vom Campusmanagement Berlin-Buch, der selbst in Kharkiv, Ukraine studierte, einen Überblick gegeben, welche Institute und Firmen am Campus ansässig sind und zu welchen Themen sie forschen. Dr. Gesa Schäfer, kaufmännische Leiterin des Experimental and Clinical Research Center (ECRC), skizzierte den ukrainischen Medizinerinnen, wie Forschung und Rekrutierung am ECRC funktionieren, das als Plattform für die Zusammenarbeit von Wissenschaftler*innen in der Grundlagenforschung und klinisch tätigen Mediziner*innen dient. Auch ein Besuch der Elektronenmikroskopie am Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP), den Dr. Dmytro Puchkov begleitete, stand auf dem Programm. Zum Abschluss bot ein Netzwerk-Abendessen den Ukrainerinnen die Gelegenheit, sich ausführlicher auszutauschen. „Viele von ihnen möchten gerne wieder als Ärztinnen arbeiten, ein Beruf, mit dem auch in der Ukraine ein hoher Status verbunden ist. Weil den geflüchteten Frauen unklar ist, wie lange sie in Deutschland bleiben werden, können sich einige von ihnen auch vorstellen, eine Weile in der Forschung zu arbeiten. Denn einige waren auch in der Ukraine mit Forschungsprojekten beschäftigt und dort bestehen weniger administrative Hürden“, fasst Oksana Seumenicht zusammen. Ideen hierfür konnten die Ukrainerinnen an diesem Tag sammeln.

Text: Wiebke Peters

 

Weiterführende Informationen