Gestörte Entwicklung von Mikrogliazellen kann zu neurologischen Krankheiten führen

MDC-Forscher Michael Sieweke und zwei Forschungsgruppen des Weizmann-Instituts haben jetzt eine Studie in Science veröffentlicht, in der u.a. die zentrale Funktion des Transkriptionsfaktors MafB für die letzten Stadien der Reifung von Mikrogliazellen unterstrichen wird. Diese Zellen sind die wichtigsten Immunzellen des Gehirns und tragen zusätzlich auch zu dessen Entwicklung und Erhaltung bei.

Störungen in der Entwicklung des fötalen Immunsystems beispielsweise aufgrund viraler Infektionen der Mutter können beim späteren Auftreten einiger neurologischer Entwicklungsstörungen (Autismus, Schizophrenie u.a.) eine wichtige Rolle spielen. Dieser Befund folgt aus einer Studie des Labors von Michael Sieweke am Centre d'Immunologie de Marseille-Luminy (CIML) sowie der Gruppen um Ido Amit und Michal Schwartz am Weizmann-Institut, die am 19. August 2016 in der Zeitschrift Science veröffentlicht wurde.

Beobachtung der verschiedenen Mikroglia-Entwicklungsstadien durch Messung der Genexpressionsprofile über die Zeit

Bei der Untersuchung der wichtigsten Immunzellen des Gehirns – den Mikrogliazellen, die auch bei dessen Entwicklung und Erhaltung eine Rolle spielen – erkannten die Forscher, dass sich die Entwicklung dieser Zellen in Mäuseföten und -neugeborenen in drei deutlich abgrenzbare Stadien unterteilen lässt, die parallel zur Entwicklung des Gehirns ablaufen: frühe Zellen, die das embryonale Gehirn kurz nach dessen Entstehung kolonisieren, Mikroglia-Vorläuferzellen und schließlich die reifen Zellen. Durch Screening der Genome und ausgiebige Tests an diesen Zellen war es möglich, die einzelnen Stadien anhand der jeweils aktiven Gene und der genetischen Kontrollmechanismen zu definieren.

Mikroglia-Zellen. Bild: Michael Sieweke

Das zweite Stadium (Mikroglia-Vorläufer) erwies sich dabei als besonders störempfindlich. Dieses Stadium fällt in den Zeitraum der Geburt und kurz danach, während im Gehirn der entscheidende Prozess des "Kappens" stattfindet – d.h. nutzlose Synapsen zwischen den Neuronen werden von den Mikrogliazellen abgebaut. Als die Forscher zur Simulation einer Virusinfektion synthetisches Material in das Gehirn schwangerer Mäuse einbrachten, entdeckten sie, dass die Entwicklung der Mikroglia-Vorläuferzellen in den Nachkommen gestört war. Die während der Reifung dieser Zellen aktivierten Gene wurden zur falschen Zeit exprimiert, so dass die Zellen vorzeitig reiften. Die Behandlung führt zu einem untypischen Verhalten, etwa gestörten sozialen Interaktionen oder Verhaltensmustern, die denen von Schizophreniepatienten ähneln.

Die Expression von MafB wird durch den Übergang der Vorläuferzellen zu reifen Zellen angestoßen

Während der verschiedenen Entwicklungsstadien der Mikrogliazellen werden die Transkriptionsfaktoren, die die Genexpression einer Zelle regulieren, unterschiedlich stark exprimiert. Während in der Vorläuferzell-Phase bereits verschiedene Regulatoren exprimiert werden, sind etliche andere, darunter auch MafB, dem Reifestadium vorbehalten, spielen also wahrscheinlich eine Rolle bei der Etablierung von Funktionen zur Mikroglia-Homöostase oder dem Abschalten von entwicklungsrelevanten Funktionen der Vorläuferzellen.

Zur Untersuchung der funktionalen Aufgaben von MafB bei der Mikroglia-Entwicklung erzeugte die Gruppe um Michael Siewecke, einer der Hauptautoren der Studie, transgene Mäuse, denen der Transkriptionsfaktor in diesem Gewebe fehlte. Mikrogliazellen aus neugeborenen (Vorläuferzellen) und adulten Mäusen wurden extrahiert und mit denen von gleichaltrigen Kontrollmäusen verglichen. "Die Ergebnisse unserer Studie bestätigen die zentrale Wichtigkeit von MafB in der Regulierung der Homöostase adulter Mikrogliazellen. Eine Manipulation dieses Faktors könnte sich daher bei der Behandlung verschiedener schwerer Entwicklungsstörungen des Nervensystems wie z.B. Autismus und Schizophrenie als vielversprechend erweisen", sagt Michael Sieweke.

Durch weitergehende Untersuchungen an MafB und die Identifizierung weiterer Signalmoleküle und Faktoren, die die Entwicklung und Homöostase der Mikrogliazellen steuern, wird es möglich sein, die Kommunikation zwischen den Mikrogliazellen und dem Zentralnervensystem während der normalen und pathologischen Entwicklung besser zu verstehen.

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Orit Matcovitch-Natan1,2, Deborah R. Winter1, Amir Giladi1, Stephanie Vargas Aguilar3,4,5,6, Amit Spinrad1,2, Sandrine Sarrazin3,4,5, Hila Ben-Yehuda2, Eyal David1, Fabiola Zelada González3,4,5, Pierre Perrin3,4,5, Hadas Keren-Shaul1, Meital Gury1, David Lara-Astaiso1, Christoph A. Thaiss1, Merav Cohen2, Keren Bahar Halpern7, Kuti Baruch2, Aleksandra Deczkowska2, Erika Lorenzo-Vivas1, Shalev Itzkovitz7, Eran Elinav1, Michael H. Sieweke3,4,5,6, Michal Schwartz2, Ido Amit1 (2016): „Microglia development follows a stepwise program to regulate brain homeostasis.“ Science. DOI: 10.1126/science.aad8670

Die Autoren Michael H. Sieweke, Michal Schwartz und Ido Amit haben gleichermaßen zur Arbeit beigetragen.

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Die Pressemeldung wurde vom Centre d'Immunologie de Marseille-Lumina erstellt.