We at the MDC

„Lieber zu viel reden als zu wenig“

Machtgefälle und Abhängigkeiten machen es schwer, Konflikte im Labor anzusprechen. Das betrifft besonders Doktorandinnen und Doktoranden. Am Max-Delbrück-Centrum ist Matthias Selbach als Ombudsmann für sie da. Er rät dazu, früh Hilfe zu suchen. Mit diesem Gespräch starten wir unsere Serie „Wir am MDC“.

Über unsere Serie „Wir am MDC"

 

Das MDC hat den Anspruch, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein attraktives Arbeitsumfeld zu bieten – durch eine hervorragende Infrastruktur, durch den Austausch mit führenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, aber auch als ein Ort, der von Toleranz, Respekt und einem guten Miteinander geprägt ist. Unsere Serie stellt Menschen vor, die in diesem Bereich engagiert sind. Sie begleitet außerdem einen internen Prozess, der eine positive Unternehmenskultur sicherstellen soll. Und sie gibt Tipps für ein achtsames Miteinander.

Mehr zur Serie „Wir am MDC“.

Warum engagieren Sie sich als Ombudsmann?

Die Doktorandinnen und Doktoranden haben mich 2014 gefragt, ob ich als Ansprechpartner zur Verfügung stehen würde. Ich habe dann das Amt gemeinsam mit Daniela Panáková von Thomas Sommer übernommen. Wir fanden es sinnvoll, eine männliche und eine weibliche Ombudsperson zu haben.

Man liest immer wieder über schlechte Betreuung in der Wissenschaft. Wie würden sie die Führungskultur am Max-Delbrück-Centrum beschreiben?

Das ist wirklich unterschiedlich. Es gibt Arbeitsgruppen mit eher traditionelleren Vorstellungen, wo man Doktorandinnen und Doktoranden eher als Laborkräfte sieht, die die Kleinarbeit nach dem Plan des PI machen. Auf der anderen Seite gibt es Gruppen, wo mehr den Coaching-Ansatz dominiert, den ich persönlich verfolge. Aber auch die Coaching-Idee ist zweischneidig. Wenn man seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern viel Freiheit lässt, kann das auch als Fehlen von Betreuung ausgelegt werden. Wenn darüber geklagt wird, dass die Betreuung nicht optimal ist, muss man also nachfragen: Was ist gemeint? Manche Menschen sind unzufrieden, wenn man nicht alle zwei Tage über die Ergebnisse redet. Für andere wäre das der totale Überwachungsstaat.

Prof. Dr. Matthias Selbach ist Ombudsmann am MDC. 

In Konfliktfällen sind die Ombudspersonen eine erste Anlaufstelle für die Doktorandinnen und Doktoranden. Haben Sie eine Sprechstunde?

Nein. Wir gehen direkt auf sie zu und vermitteln ihnen, dass wir für sie da sind. Unsere Kontaktdaten sind außerdem in den Unterlagen, die neue Doktorandinnen und Doktoranden bekommen. Unsere Message ist: Sprecht uns jederzeit an! Lieber zu viel als zu wenig. Wie sind qua Amt auf Eurer Seite. In der Regel bekomme ich eine E-Mail mit der Bitte um einen Gesprächstermin und dann treffen wir uns kurzfristig. Das kommt ungefähr alle zwei Monate vor. Allerdings gibt es für viele junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Hemmschwelle. Sie müssen sich überwinden, sich mit einem Problem an jemanden zu wenden. Das muss nicht sein. Das Gespräch bleibt vertraulich.

Was sind typische Probleme?

Manchmal läuft ein Projekt nicht so, wie es laufen soll und der Arbeitsgruppenleiter oder die Arbeitsgruppenleiterin hat eine andere Vorstellung, was nun zu tun ist. Dann bieten wir eine Art externes Coaching – eine unvoreingenommene Meinung. Denn wir kennen die wissenschaftliche Arbeitsweise und das Umfeld. Diese externe Beratung ist wichtig, das kriegt man sonst nicht so leicht: Die Kollegen im Labor haben vielleicht eigene Interessen, private Freunde kennen das Umfeld nicht ... In anderen Fällen geht es um den Beitrag zu einem Projekt, auch im Falle von Publikationen: Wer ist zum Beispiel Erstautor/in? Es gibt aber auch menschliche Probleme im Umgang miteinander – wie überall, wo Menschen miteinander arbeiten. Der Wissenschaftsbetrieb ist ja sehr wettbewerbsorientiert. In all diesen Situationen versuchen wir zu helfen.

Was tun Sie konkret?

Die Prämisse ist grundsätzlich: Es passiert nichts, was der Doktorand oder die Doktorandin nicht explizit will. Wir überlegen gemeinsam, was eine sinnvolle Vorgehensweise ist. Oft spreche ich zunächst persönlich mit dem jeweiligen Arbeitsgruppenleiter oder der Arbeitsgruppenleiterin und versuche, einen neuen Blickwinkel anzubieten. Oder wir versammeln alle Parteien an einem Tisch, um eine Lösung zu finden. Wie einverstanden alle am Ende mit der Lösung sind, ist eine andere Frage. Grundsätzlich ist es aber am besten, Konflikte so früh wie möglich zu thematisieren – wenn die Situation noch nicht eskaliert ist. Manchmal handelt es sich um Missverständnisse, um unterschiedliche Wahrnehmungen, die dazu führen, dass Sachen aus dem Ruder laufen. Wenn sich ein Konflikt verhärtet, kommen persönliche Anschuldigungen dazu. Dann wird es schwierig.

Was passiert, wenn die Positionen bereits verhärtet sind?

Wir sind keine ausgebildeten Moderatoren, Psychologen oder Konfliktmanager, sondern eben erste Ansprechpartner. Zum Beispiel bei arbeitsrechtlichen Fragen sind wir nicht zuständig. Oder bei Patentstreitigkeiten. Dazu können wir nichts sagen. Wenn der Doktorand oder die Doktorandin das will, können wir ihr Anliegen aber an die entsprechenden Stellen herantragen und begleiten das – wenn gewünscht – auch weiter. Wenn es zum Beispiel große psychische Belastungen gibt, können wir Kontakt zu Psychologen vermitteln. Wenn wissenschaftliches Fehlverhalten im Raum steht, ist Jens Reich als Ombudsmann der richtige Ansprechpartner. Das würde ich auf jeden Fall vorschlagen. So etwas muss systematisch begutachtet werden, das kann ein Doktorand oder eine Doktorandin nicht allein leisten.

Manchmal muss man sich in einem Konflikt auch aus der Deckung wagen und eine formale Beschwerde einreichen, in der das Problem klar artikuliert wird. Sonst endet man im „Wir reden mal miteinander“. In jedem Fall ist es gut und wichtig, dass es Ansprechpartner gibt, die unabhängig von der eigenen Forschungsgruppe sind.

Wir wollen ein gutes Umfeld schaffen

Ein Doktorand oder eine Doktorandin steht immer in einem Abhängigkeitsverhältnis. Wie sie handeln, ist zwangsläufig durch diese Umstände geprägt.

Ja, das ist tatsächlich eine schwierige Situation. Aber wir haben den Anspruch, dass Doktorandinnen und Doktoranden am MDC ein gutes Arbeitsumfeld vorfinden. Nicht nur wissenschaftlich-technologisch, sondern auch menschlich. Wir wollen, dass sie ihre Arbeit gut zu Ende führen können. Wenn das unter bestimmten Umständen in einer Arbeitsgruppe nicht geht, kann es möglich sein, die Arbeitsgruppe zu wechseln. Manchmal ist Trennung die bessere Lösung. Auch wenn die Entscheidung nicht einfach ist, weil sie leider oft einen Zeitverlust für die Doktorandinnen und Doktoranden bedeutet.

Gibt es Mechanismen, die das Machtgefälle etwas abmildern?

Es gibt zum Beispiel das Thesis Committee. In ihm sitzen neben dem PhD-Kandidaten und dem Erstbetreuer oder der Erstbetreuerin noch mindestens zwei weitere Personen, die der Kandidat oder die Kandidatin selbst aussucht. Dieses Komitee soll die Doktorarbeit begleiten, den wissenschaftlichen Fortschritt verfolgen und mit Rat zur Verfügung stehen. Es beobachtet beide Seiten, auch den Betreuer oder die Betreuerin, und trifft sich mindestens drei Mal. Während der Treffen wird jeweils sowohl ohne den Doktoranden als auch ohne den Betreuer beraten. Das halte ich für sehr wichtig. Es schafft noch eine Möglichkeit, Probleme anzusprechen, ohne dass der Arbeitsgruppenleiter oder die Arbeitsgruppenleiterin anwesend ist.

Es ist ein Status-Update.

Ja, genau. Wo stehe ich? Was ist wirklich noch erforderlich, um mein Ziel zu erreichen? Teils trifft man dort strategische Entscheidungen gemeinsam: „OK, das sind jetzt zwei erfolgversprechende Ansätze, die verbleibende Zeit reicht für einen – wir schlagen vor, dass Sie sich auf diesen konzentrieren.“ Das hat einen Coaching-Aspekt, der unabhängig ist vom Betreuer und seinen Interessen. Wir haben außerdem strukturierte PhD-Programme, die weitere Möglichkeiten bieten. Dazu gehören Weiterbildungsangebote, für die es Creditpoints gibt – die Doktorandinnen und Doktoranden sollen ihren wissenschaftlichen Horizont erweitern und nehmen das auch dankbar an.

Ist die Führungskultur am MDC eine Generationenfrage?

Gefühlt ja. Aber da gibt es viele Ausreißer, wo es genau andersherum ist. Ich denke, letztlich ist die Persönlichkeit des Arbeitsgruppenleiters oder der Arbeitsgruppenleiterin entscheidend. Idealerweise hätte man einen Führungsstil, der optimal zum Gegenüber passt. Manchen muss man vielleicht etwas antreiben, andere total viel loben, andere etwas bremsen, wieder andere motivieren. Das ist die Kunst. In der Praxis klappt das natürlich längst nicht immer. Ich persönlich gehe davon aus, dass die Doktorandinnen und Doktoranden hier sind, weil sie ihre eigene Forschung ambitioniert und interessiert verfolgen. Dass sie aus sich heraus ehrgeizig sind. Ich – in meiner Rolle als Arbeitsgruppenleiter – übe daher nicht so viel Druck aus. Aber vielleicht ist das für manche nicht gut. Sie würden mit mehr Druck in kürzerer Zeit ein besseres Ergebnis erzielen

Kann man gute Führung lernen?

Für Führungskräfte gibt es Angebote wie die Helmholtz-Akademie. Nachwuchsgruppenleiterinnen und -leiter haben einen Mentor im MDC. Solche Angebote zu schaffen, ist gut. De facto nehmen es meist diejenigen in Anspruch, die der Thematik eh offener gegenüberstehen. Wer so etwas als Quatsch empfindet, geht nicht hin. Auch wenn sie es vielleicht nötig hätten.

Was wünschen Sie sich für das MDC?

Es ist sehr wichtig, dass es gute und regelmäßige Angebote für die Gruppenleiterinnen und Gruppenleiter gibt und eine Atmosphäre gefördert und gelebt wird, die Kritik und Feedback ermöglicht. Transparenz ist immer eine gute Idee, sonst entstehen Gerüchte. Alle Beteiligten sollten im Dialog bleiben.

Die Fragen stellten Jutta Kramm und Jana Schlütter.

Weiterführende Informationen

Sie erreichen die Ombudspersonen Matthias Selbach und Daniela Panáková zum Beispiel über E-Mail.