„Meine Lupe hat sich stark verändert!“
Warum fasziniert Sie Wissenschaft?
Als Junge war ich verblüfft, dass ich mit einer Lupe winzige Dinge bis ins Detail ganz genau betrachten kann und habe alle möglichen Käfer gesammelt. Diese kleine Welt, die man mit bloßem Auge nicht sehen kann, fasziniert mich nach wie vor. Ich verstehe die Dinge um mich herum gern.
Haben Sie am MDC eine geeignete Lupe gefunden?
Ich habe in Oliver Daumkes Gruppe Proteine untersucht, die sich im Prinzip wie molekulare Scheren verhalten. Wenn man wissen will, wie Proteine auf molekularer Ebene arbeiten, muss man ihre 3D-Struktur erkennen und die Lupe, die eine atomare Auflösung ermöglicht, heißt Synchrotron. Grundsätzlich handelt es sich um einen riesengroßen Elektronenspeicherring, wie der in Adlershof, mit einem Durchmesser von 120 Metern. Nach meiner Doktorarbeit habe ich am MDC sechs Monate als Postdoc geforscht. Das gab mir die Möglichkeit, ein paar lose Ende zu verknüpfen und mich auf den nächsten großen Schritt zu konzentrieren – eine Postdoc-Stelle im Ausland.
Sie sind nach New York gegangen.
Genau. Damals plante ich eine akademische Karriere mit dem Ziel, meine eigene Forschungsgruppe aufzubauen, die sich mit den molekularen Prinzipien von Zellkommunikation und Nährstoffaufnahme befassen sollte. Ich war hochmotiviert. Meine Kollegen am MDC waren großartig, mein Projekt lief gut und Oliver Daumke war ein Vorbild. Jemand, der einen motiviert, ein ausgezeichneter Wissenschaftler und ein Freund. Eine Position als Postdoc in den Vereinigten Staaten schien der nächste logische Schritt zu sein. Außerdem faszinierten mich die USA. Als Kind in der DDR wirkte New York unerreichbar. 25 Jahre nach dem Mauerfall zog ich in die Stadt meiner Träume.
Wurde für Sie tatsächlich ein Traum wahr?
Ehrlich gesagt waren die ersten sechs Monate eine Katastrophe. Ich war kurz davor, alles abzublasen und nach Berlin zurückzukehren. Ich fand es sehr schwer, mit den US-Amerikanern eine gemeinsame Basis zu finden. Mein Projekt gründete auf Ideen, die mir unrealistisch erschienen und die Chemie zwischen meinem Chef und mir hat einfach nicht gestimmt. Also begann ich, mich innerhalb von New York nach Alternativen umzusehen. Ein Jahr später begann ich meinen zweiten Postdoc-Versuch an der Columbia University im Labor von Wayne Hendrickson.
War das der richtige Schritt?
Rückblickend betrachtet bin ich sehr froh darüber. In der universitären Forschung ist alles auf Deadlines ausgerichtet, und man hat eigentlich überhaupt keine Zeit, sich umzuorientieren. Deswegen bleiben die meisten Leute selbst dann in ihrem Labor, wenn ihre Situation dort erbärmlich ist. Glücklicherweise erfüllte ich aber noch die Kriterien für ein Postdoc Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft, bewarb mich und wurde 2016 angenommen.
Nach dem Wechsel habe ich wieder zu mir gefunden. Derzeit erforsche ich in die Zellmembran eingebettete Ionenkanälen. Elektrolyte können die Zellmembran nur über ihren entsprechenden Kanal durchdringen: Chlorid-Ionen nutzen Kanäle für Chloride, Natriumionen nutzen Natriumkanäle und so weiter. Wie jedoch können diese Kanäle sich nur ihrem jeweils zugehörigen Ion öffnen und sich den anderen verschließen? Diese Spezifizität interessiert mich. Meine Lupe hat sich stark verändert, denn in den letzten paar Jahren gab es eine Reihe technischer Durchbrüche. Inzwischen arbeite ich mit besonders hochauflösenden Kryo-Elektronenmikroskopen, die einfacher zu benutzen sind als ein Synchrotron. Ich glaube, dieser Technologie gehört in meinem Forschungsbereich die Zukunft.
Sehen Sie in diesem Forschungsbereich auch Ihre eigene Zukunft?
Ursprünglich war das der Fall. Dann habe ich auf einer Party Philip kennengelernt. In New York liebe ich die Szene für Elektronische Musik und gehe gern und viel aus. Philip ist auch Deutscher, lebt in L.A. und ist ein Social Media-Marketinggenie. Wir haben uns sehr gut verstanden. Etwa vier Monate später kontaktierte er mich: Ich sei doch Biochemiker, oder? Ich bejahte, und er meinte: „Super! Kannst Du Dir vorstellen, ein Getränk zu erfinden, das von Essen verursachten schlechten Atem beseitigt?″ „Was?″ Ich dachte, ich höre nicht richtig. Aber er meinte tatsächlich, dass dieses Getränk Knoblauch- oder Zwiebelgeruch beseitigen sollte. Meine erste Reaktion war typisch für einen Wissenschaftler. Ich war äußerst skeptisch. Ich sagte ihm, ich würde mich damit beschäftigen, nahm es allerdings nicht besonders ernst. Aber Philip blieb hartnäckig. Sehr hartnäckig!
Hat er Sie überzeugt?
Inzwischen bin ich Mitgründer und CTO eines kleinen Start-up. Es ist mir gelungen, ein köstliches Getränk herzustellen, das jeglichen Zwiebel- oder Knoblauchgeschmack im Mund vollständig beseitigt. Eigentlich hatte ich angenommen, dass das unmöglich ist. Mein wissenschaftlicher Hintergrund und Philips Hartnäckigkeit waren der Schlüssel zum Erfolg. Wir haben 60 Tester eingeladen, unser Produkt mit handelsüblichem Mundwasser zu vergleichen. Das Ergebnis war erstaunlich! Gerade bereiten wir eine klinische Studie vor, durchgeführt von der Cornell University und bezahlt von unseren ersten Investoren. Wenn alles gut geht, würden wir gern 2018 auf den Markt gehen. Ich haben einen Antrag auf die Green Card gestellt. Auf den Bescheid warte ich noch – Daumen drücken!
Das Interview ist der aktuellen Alumnibroschüre entnommen, die im Januar 2018 neu erschienen ist.