Zellen auf ihrer Entwicklungsreise begleiten
Ich möchte verstehen, wie, wo, wann und warum Zellen entscheiden, ob sie eine Herzzelle, ein Neuron oder eine Leberzelle werden.
Wenn ein Spermium mit einer Eizelle verschmilzt, beginnt ein Prozess, den alle Wirbeltiere am Anfang ihres Lebens durchlaufen: Die Zelle teilt sich, wird zu einer Zellkugel und dann zur Blastozyste, die sich in der Gebärmutter einnistet. Dort sprießen drei Keimblätter aus ihr hervor. Eines formt sich zum Neuralrohr, das sich später zum zentralen Nervensystem verzweigt. Auch die Organe und Gewebe beginnen zu wachsen.
Die einzelnen Stadien der Embryonalentwicklung haben 480 Millionen Jahre der Evolution überdauert. Wie sie ablaufen, ist bestens bekannt. Doch warum sich Zellen in die eine oder andere Richtung entwickeln und was sie dabei beeinflusst, ist ein noch weitgehend unbeschriebenes Blatt. „Ich möchte verstehen, wie, wo, wann und warum Zellen entscheiden, ob sie eine Herzzelle, ein Neuron oder eine Leberzelle werden“, sagt Dr. Markus Mittnenzweig. Seit dem 1. September baut der Wissenschaftler am Berliner Institut für Medizinische Systembiologie des Max Delbrück Centers (MDC-BIMSB) die Nachwuchsgruppe „Computergestützte Biologie und Entwicklungsbiologie“ auf.
Vom Mathematiker zum Entwicklungsbiologen
Markus Mittnenzweig hat in Berlin und Paris Mathematik und Chemie studiert. Laborpraktika weckten sein Interesse an der Grundlagenforschung. Insbesondere Publikationen zur Einzelzell-Sequenzierung zogen ihn in seinen Bann. Nach der Promotion in Mathematik beschäftigte er sich als Postdoktorand am Weizmann Institute in Israel zum Beispiel mit der Frage, wie pluripotente Zellen im frühen Embryonalstadium sich ausdifferenzieren und welchen Einfluss Signalmoleküle und Änderungen in der DNA-Methylierung darauf haben. Bei diesem Prozess werden Methylgruppen an DNA-Moleküle angehängt oder von diesen entfernt. Diese Veränderungen beeinflussen, ob Gene an- oder ausgeschaltet werden. Von der DNA-Methylierung hängt also ab, welche Erbinformationen abgelesen werden.
Mit seiner eigenen Gruppe am MDC-BIMSB möchte Mittnenzweig nun quantitative Modelle entwickeln, die die Zelldifferenzierung während der Embryonalentwickung und bei Krankheitsprozessen nachbilden. „Wir verfügen heute über eine riesige Menge an Einzelzell- und Genomdaten, mit denen wir die Explosion molekularer Komplexität während der Embryonalentwicklung nachvollziehen können“, sagt der Forscher. Anhand dieser Daten will er untersuchen, wie Zellen das Ablesen ihrer Gene steuern, wie sie untereinander kommunizieren und sich zu Gewebestrukturen zusammenschließen. Dafür rekonstruiert er die räumlichen und zeitlichen Bahnen ihrer Entwicklungsreise – zum einen am Computer, zum anderen in der Petrischale, etwa an Organoiden – das sind aus Stammzellen gewachsene, dreidimensionale Gewebemodelle. In Berlin ist er dafür technologisch bestens gerüstet.
Text: Jana Ehrhardt-Joswig
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