Gesunde Nieren trotz Bluthochdrucks
Zu hoher Blutdruck schädigt auf Dauer die Nieren. Nicht jedoch bei Menschen mit einem veränderten PDE3A-Gen: „Der Druck in ihren Gefäßen ist zwar aufgrund der Mutation gewaltig. Doch ihre Nieren arbeiten selbst nach jahrelanger Krankheit ganz normal“, sagt Dr. Enno Klußmann, der Leiter der Arbeitsgruppe „Ankerproteine und Signaltransduktion“. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen haben Klußmann und sein Team am Max Delbrück Center und am Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) jetzt im Fachblatt „Kidney International“ vorgestellt.
Auf Herz und Nieren geprüft
Im vergangenen Jahr hatten die Forschenden herausgefunden, dass die Genmutation, die extremen Bluthochdruck und kürzere Finger (Hypertonie mit Brachydaktylie, kurz HTNB) verursacht, auch das Herz vor den Folgeschäden der Hypertonie bewahrt. Lediglich das Gehirn ist nicht gefeit: „Unbehandelt sterben Menschen mit HTNB, einer Erbkrankheit, die weltweit nur in zehn bis 20 Familien vorkommt, meist relativ jung an einem Schlaganfall“, sagt Klußmann. „Auch Kinder müssen daher schon Antihypertensiva, also blutdrucksenkende Mittel, einnehmen.“ Allerdings ist es selbst mit Medikamenten schwierig, den Blutdruck auf normale Werte zu bringen.
Nachdem der Wissenschaftler auf die herzschützenden Effekte des mutierten PDE3A-Gens gestoßen war, hatten er und sein Team begonnen, die Nieren einer betroffenen Patientin aus Deutschland und zweier Rattenmodelle für HTNB zu untersuchen. Die Patientin ist bei Dr. Stephan Walter vom MVZ Nierenzentrum Limburg in Behandlung. Die Rattenmodelle, deren Gen für das Enzym Phosphodiesterase 3A (PDE3A) wie bei den Menschen verändert ist, haben Forschende um Professor Michael Bader generiert. Er leitet am Max Delbrück Center die Arbeitsgruppe „Molekularbiologie von Hormonen im Herz-Kreislaufsystem“. Walter und Bader sind ebenfalls Autoren der aktuellen Studie.
Alle Werte sind unauffällig
Das Enzym PDE3A ist bei Menschen mit erblichem HTNB an zwei Stellen verändert. Beide Mutationen bewirken, dass das Enzym überaktiv ist. „Warum das so ist und auf welche Weise es die Gefäße und das Gehirn schädigt und zugleich das Herz und die Niere schützt, haben wir noch nicht im Detail verstanden“, sagt Klußmann.
Dass die Nieren der Limburger HTNB-Patientin ganz normal arbeiten, konnten er und sein Team dagegen zeigen. „Unter anderem ist die Sekretion von Renin – einem hormonähnlichen Enzym, das in der Niere hergestellt wird und an der Kontrolle des Blutdrucks maßgeblich beteiligt ist – bei ihr eher vermindert“, berichtet die Erstautorin der Studie, Anastasiia Sholokh aus Klußmanns Arbeitsgruppe. „Ihre Aldosteron-Werte sind normal.“ Aldosteron ist ein Hormon der Nebenniere, das den Blutdruck wie Renin ansteigen lässt. „Auch klassische Parameter der Nierenfunktion wie die glomeruläre Filtrationsrate oder die Albuminwerte im Blut und Urin deuten auf gesunde Nieren hin“, ergänzt Sholokh.
Die Folgen der Mutation imitieren
Im Nierengewebe der Ratten mit HTNB konnten die Forschenden zudem keine Anzeichen für eine Entzündung oder eine Fibrose – also eine vermehrte Produktion von Bindegewebe, durch die das Organ versteifen würde – entdecken. Auch das Transkriptom, das zeigt, welche Gene gerade aktiv sind, ist in den Nieren der genveränderten Ratten unauffällig. „Lediglich in bestimmten Regionen des Organs sehen wir eine verminderte Expression des Proteins Amphiregulin“, sagt die Forscherin. „Da dieses in größeren Mengen die Niere mutmaßlich schädigt, trägt die gedrosselte Produktion wahrscheinlich zum Schutz der Nieren bei.“
„Wir konnten zeigen, dass Bluthochdruck nicht immer und automatisch zu Folgeschäden in der Niere führt“, fasst Klußmann zusammen. „Nun wollen wir den schützenden Effekt des veränderten PDE3A-Gens weiter untersuchen und prüfen, ob er sich mit geeigneten Wirkstoffen nachahmen lässt.“ Dann könnte man Patient*innen mit Bluthochdruck künftig vielleicht vor chronischen Nierenerkrankungen bewahren.
Text: Anke Brodmerkel
Weiterführende Informationen
Literatur
Anastasiia Sholokh et al. (2023): „Mutant PDE3A protects the kidney from hypertension-induced damage“. Kidney International, DOI: 10.1016/j.kint.2023.04.026
Downloads
- Kurze Finger, extrem hoher Blutdruck: Diese Form der erblichen Hypertonie (HTNB) ist sehr selten, selbst die Kinder aus diesen Familien brauchen Medikamente. Doch zumindest die Nieren sind geschützt. Foto: Sylvia Bähring
- Querschnitt durch eine gesunde Ratten-Niere und durch die einer Ratte mit dem mutierten PDE3A-Gen und Bluthochdruck (rechts). Aufgrund des Bluthochdrucks hatte das Team sichtbare Veränderungen erwartet – doch die Aufnahmen sind sich sehr ähnlich. Foto: Anastasiia Sholokh, AG Klußmann, Max Delbrück Center
- Lediglich die Gefäßwände sind bei den Ratten mit Bluthochdruck in den Nieren etwas verdickt (rechts). Foto: Anastasiia Sholokh, AG Klußmann, Max Delbrück Center
Kontakte
Enno Klußmann
Leiter der Arbeitsgruppe „Ankerproteine und Signaltransduktion“
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
+49 (0)30 9406 2596
enno.klussmann@mdc-berlin.de
Jana Schlütter
Redakteurin, Kommunikationsabteilung
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
+49 (0)30 9406 2121
jana.schluetter@mdc-berlin.de oder presse@mdc-berlin.de
- Max Delbrück Center
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Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (Max Delbrück Center) gehört zu den international führenden biomedizinischen Forschungszentren. Nobelpreisträger Max Delbrück, geboren in Berlin, war ein Begründer der Molekularbiologie. An den Standorten in Berlin-Buch und Mitte analysieren Forscher*innen aus rund 70 Ländern das System Mensch – die Grundlagen des Lebens von seinen kleinsten Bausteinen bis zu organ-übergreifenden Mechanismen. Wenn man versteht, was das dynamische Gleichgewicht in der Zelle, einem Organ oder im ganzen Körper steuert oder stört, kann man Krankheiten vorbeugen, sie früh diagnostizieren und mit passgenauen Therapien stoppen. Die Erkenntnisse der Grundlagenforschung sollen rasch Patient*innen zugutekommen. Das Max Delbrück Center fördert daher Ausgründungen und kooperiert in Netzwerken. Besonders eng sind die Partnerschaften mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin im gemeinsamen Experimental and Clinical Research Center (ECRC) und dem Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité sowie dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK). Am Max Delbrück Center arbeiten 1800 Menschen. Finanziert wird das 1992 gegründete Max Delbrück Center zu 90 Prozent vom Bund und zu 10 Prozent vom Land Berlin.