Einblicke in die Welt des Metabolismus

Durch leistungsstarke Omics-Technologien verfügen wir heute über riesige Datenmengen, die ein sehr präzises Verständnis von biologischen Prozessen ermöglichen. Unser Wissen ist jedoch längst nicht vollständig. Eine der Herausforderungen besteht darin, aus verschiedenartigen Informationen Modelle von komplexen biochemischen Reaktionswegen zu erstellen und diese dann in noch komplexere Modelle zu integrieren. Diese sollen zeigen, wie verschiedene Systeme interagieren und koordiniert werden, um bestimmte Ergebnisse für Zellen und Organismen zu erzielen.

Die Gruppe von Stefan Kempa am Berlin Institute for Medical Systems Biology des MDC hat eine leistungsfähige Metabolomics- und Proteomics-Plattform entwickelt, mit der es letztlich gelingen soll, die Metabolismus-Regulierung auf molekularer Ebene zu entschlüsseln. In ihren Projekten untersucht die Gruppe biologische Systeme auf verschiedenen Skalen, von der Zelle bis zum Organismus, um die verschiedenen Komplexitätsebenen in metabolischen Systemen zu verstehen.

Die Plattform basiert auf Massenspektrometrie und analysiert zelluläre Metaboliten und Proteine. Dank der zahlreichen auf Massenspektrometrie basierenden Verfahren, die in den letzten Jahren entwickelt wurden, können Wissenschaftler heute zelluläre Prozesse quantitativ und zeitaufgelöst analysieren. „Wir versuchen sozusagen, die Regeln eines Spiels herauszufinden, indem wir die Spieler (Proteine) und die Bälle (Metaboliten) beobachten“, sagt Kempa.

Stefan Kempa bei der Arbeit. Foto: May Britt Hansen

Stoffwechselaktivität ist eines der grundlegenden Merkmale des Lebens. Moleküle werden produziert, indem die Zellen Nährstoffe und andere Ausgangsstoffe in die Substanzen und die Energie umwandeln, die sie zum Wachsen und Überleben benötigen. Daran sind in der Regel alle Ebenen der Zellregulierung beteiligt, wobei molekularen Maschinen aus Proteinen und RNAs eine zentrale Rolle zukommt. Die Existenz eines bestimmten Metaboliten liefert daher Einblicke in die Moleküle und Mechanismen, die ihn herstellen. Die Metabolomics-Plattform bietet eine globale Sicht auf diese Prozesse in den Zellen und im Gewebe. Die Plattform kann Moleküle in  einzelnen Prozessphasen unterscheiden und zählen. Auf diese Weise werden Details zu den Pipelines und den Verfahrensweisen erkennbar, mit denen die Zellen ihren Output regulieren. Störungen können verhindern, dass Ausgangsstoffe erworben oder verarbeitet werden. Das führt dazu, dass für essentielle Substanzen der Nachschub fehlt bzw. große Mengen von Zwischenformen entstehen, die irgendwann toxisch werden.

Einen besonderen Forschungsschwerpunkt in seinem Labor stellen laut Stefan Kempa Mechanismen der „metabolischen Umprogrammierung“ dar. Die Umprogrammierung umfasst Funktionsverschiebungen in der Stoffwechselaktivität bei Prozessen wie der Stammzelldifferenzierung, der Immunzellaktivierung und der Entwicklung von Krebs. „Seit über einem Jahrhundert gilt der Metabolismus als ein hervorragender potenzieller Angriffspunkt für Krebstherapien“, so Kempa. „Doch die klinische Bedeutung dieses Konzepts ist gering geblieben. Das überrascht nicht, wenn man an die Einschränkungen früherer Methoden denkt. Jetzt sehen wir Fälle, in denen Reaktionswege Seitenwege haben oder überarbeitet werden müssen, und wir haben Hinweise darauf, dass Reaktionswege anders reguliert sind als bislang angenommen. Das gilt selbst für Stoffwechselvorgänge, an denen bereits seit Jahrzehnten intensiv geforscht wird.“

Das Labor von Stefan Kempa kooperiert umfassend mit anderen MDC-Forschern, um Metaboliten in vielen Kontexten zu ermitteln und zu quantifizieren. Dabei werden Veränderungen in der Biochemie aufgedeckt, die die unterschiedlichen metabolischen Anforderungen der verschiedenen Gewebe sowie die Veränderungen widerspiegeln, denen die Gewebe unterliegen, während sie normale Funktionen ausführen oder während sich eine Krankheit entwickelt. Wichtige Ergebnisse aus aktuellen Studien wurden bereits in renommierten Zeitschriften veröffentlicht. In den nächsten Wochen werden weitere Veröffentlichungen folgen. Die Vielfalt und der Erfolg dieser Projekte zeugen von der Bandbreite und dem großen wissenschaftlichen Potenzial der Plattform.

Ein Bereich mit immensem Potenzial ist laut Kempa die „personalisierte Medizin“. Denn Stoffwechselvorgänge sind von Patient zu Patient verschieden. Metabolomics ist vielleicht der beste Ansatz, um zu untersuchen, inwiefern leichte Abweichungen bei den Enzymen der Patienten den Ablauf und den Ausgang von Krankheiten sowie die Reaktionen auf Medikamente und andere Therapien beeinflussen. Bislang haben die Wissenschaftler versucht, derartige Fragen durch die Untersuchung großer Patientenkohorten sowie ihrer Familienmitglieder zu beantworten. Doch wenn Varianten selten oder ihre Wirkungen zu schwach sind, bleiben die Korrelationen unerkannt. Und selbst wenn eine Korrelation gefunden wird, sagt sie noch nichts über die Mechanismen zwischen den Molekülen und einer Krankheit aus.

Derartige personalisierte Ansätze in der Medizin hängen nach Kempas Ansicht stark von der Fähigkeit ab, mit einer hohen zeitlichen Auflösung und einer hohen Reproduzierbarkeit quantitative Analysen für ein breites Spektrum an Metaboliten durchzuführen. Diese Erwägungen waren maßgeblich für die Technologie, die Kempa auswählte, als er vor einigen Jahren mit dem Aufbau der Plattform begann. Einer der Erfolge war die Entdeckung zahlreicher neuer Metaboliten, von denen einige bereits identifiziert wurden. Bei anderen hingegen sind Identität, Ursprung sowie die an der Verarbeitung beteiligten Mechanismen weiterhin unklar. Doch das Wissen um ihre Existenz ist der erste Schritt auf dem Weg hin zu einer Klärung dieser Fragen.

Diese Bemühungen erfordern eine parallele Entwicklung von mathematischen Werkzeugen, mit denen sich Metaboliten analysieren und große Mengen von quantitativen Daten in aussagekräftige Modelle einordnen lassen. Daher werden die technologischen und wissenschaftlichen Aktivitäten in Bezug auf die Plattform durch entsprechende IT-Aktivitäten ergänzt, die wichtig sind, um aus den metabolischen Daten nützliches Wissen zu gewinnen, das die Forschung noch Jahre lang leiten wird.