Michael Baremboim mit Pianist Itamar Carmeli und Cellistin Parya Moulaei

Gemeinsam Neues schöpfen

Mit „Music Meets Life Sciences“ schlägt das Max Delbrück Center eine Brücke zwischen Disziplinen: Internationale Talente der Barenboim-Said Akademie treffen sich mit Forscher*innen der Biomedizin. Ende April konzertierten die Musiker*innen wieder am MDC-BIMSB, gemeinsam mit Michael Barenboim.

„Komm näher“, bedeutet Michael Barenboim, die Bratsche bereits im Anschlag, dem Klarinettisten. Der junge Mann rückt seinen Notenständer etwas näher an den des Maestros heran. Wieder winkt Barenboim einladend mit den Fingerspitzen und lächelt dabei. „Noch näher!“ Im von dunklen Haaren umrahmten Gesicht des Klarinettenschülers zeichnet sich Zweifel ab. Ob dies nicht zu nahe ist? Doch Barenboim signalisiert mit einem Kopfnicken: „Jetzt stimmt’s!“

Einander näher zu kommen, ein Verhältnis zueinander zu finden, das ist das erklärte Ziel der gemeinsamen Reihe „Music Meets Life Sciences“ der Barenboim-Said Akademie (BSA) und des Berliner Institut für Medizinische Systembiologie des Max Delbrück Center (MDC-BIMSB). Beide Institutionen stehen für Internationalität und Interdisziplinarität, und so treffen sich seit 2021 in loser Folge junge Musiker*innen und Wissenschaftler*innen, um sich gegenseitig zu inspirieren. „In beiden Feldern sind Menschen enorm kreativ“, sagt Nikolaus Rajewsky, Systembiologe und Direktor des MDC-BIMSB. Er hat die Reihe mit Michael Naumann, Gründungsdirektor der BSA, ins Leben gerufen und organisiert sie nun gemeinsam mit der BSA-Rektorin Regula Rapp. Auch für ihre pädagogischen Ziele ist die Kooperation wesentlich, betont Rapp: „Wir wollen exzellente Musikerinnen und Musiker ausbilden, die zugleich neugierige, reflektierte und engagierte Menschen sind und die ihren Beitrag leisten für die Gesellschaft. Dafür braucht es das Gespräch und den Austausch mit Menschen aus anderen Bereichen.“

Ausloten, was uns als Menschen ausmacht

Egal ob in der Molekularbiologie oder in der Musik, sagt Maike Sander, Wissenschaftliche Vorständin des Max Delbrück Center, zur Begrüßung, es gehe beide Male darum, Unbekanntes zu entdecken. Auch in der Forschung kämen Menschen wie in einem Musikensemble zusammen, um etwas Neues zu schaffen. Und so sei es naheliegend, gerade in Zeiten, da viel über Künstliche Intelligenz diskutiert werde, dass Forscher*innen und Musiker*innen miteinander ins Gespräch kommen, um auszuloten, was uns als Menschen ausmacht.

„Erleben. Gefühle“, wären eine mögliche Antwort, und tatsächlich ist es für Klarinettist Ibrahim Alshaikh ein besonderes Gefühl, an diesem April-Abend mit Michael Barenboim, an der Akademie sein Dozent im Fach Kammermusik, Robert Schumanns Märchenerzählungen zu spielen: „Ich habe ihn keine Sekunde aus den Augen gelassen“, sagt Alshaikh. Pianistin Tähe-Lee Liiv pflichtet ihm bei: „Im Unterricht hören wir auf Michael Barenboims Worte, aber hier im Konzert auf seine Handlungen.“ 

Für jedes Stück kommen andere Schülerinnen und Schüler mit Michael Barenboim auf das Podium. Der Sohn des berühmten Pianisten und Dirigenten Daniel Barenboim ist Konzertmeister des West-Eastern Divan Orchestra und leitet als Dekan die Barenboim-Said Akademie, wo Stipendiat*innen vorwiegend aus den Ländern des Nahen Ostens ausgebildet werden. Für die besondere Partnerschaft zwischen BSA und MDC-BIMSB hat Daniel Barenboim die Schirmherrschaft übernommen.

Vom Labor zur Kammermusik

Das Schluss-Stück des Konzerts, Franz Schuberts Adagio notturno, gleicht in der Interpretation am ehesten der Einspielung des legendären Rubinstein-Trios, und das liegt sicher am Pianisten Itamar Carmeli. Auf dem Klavier mit seinen starren Tasten Schuberts Arpeggien wie Wellen klingen zu lassen, weich und überwältigend zugleich, das ist ein Kunststück, und Carmeli gelingt es bravourös. Bei der Verbeugung legt der junge Israeli seinen Arm um seine Cellopartnerin Parya Moulaei aus dem Iran: Die Musik verbindet zwei Menschen, deren Herkunftsländer politisch tief verfeindet sind.

Die regen Diskussionen an den Stehtischen nach dem Konzert zeigen, dass Musik und Wissenschaft tatsächlich hier einander begegnen, und auch verschiedene Generationen. Zwei Forscher des Berliner Instituts für Medizinische Systembiologie lassen den Abend mit einem Glas Rotwein ausklingen: Sie freuen sich, nach der Arbeit bloß ein paar Treppen hinabzusteigen und dann ein Kammerkonzert genießen zu können. Einen Tisch weiter tauschen sich die Präsidentin der Humboldt-Universität, Julia von Blumenthal, Vorständin Maike Sander und die Rektorin der Barenboim-Said Akademie, Regula Rapp, miteinander aus. Ihr Amtsvorgänger, der ehemalige Kulturstaatsminister Michael Naumann, gratuliert Michael Barenboim zum gelungenen Auftritt, Barenboims Kinder im Grundschulalter spielen währenddessen im Foyer Verstecken. Ein Raum für gemeinsames Erleben, Inspiration und Begegnung – das nächste Konzert der Reihe findet dann im Pierre Boulez Saal statt.

Text: Elske Brault

 

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