Genomics

Großes Finale für europäisches Genomprojekt

Das von der EU mit rund zehn Millionen Euro finanzierte Projekt EASI-Genomics, das Forschenden den Zugang zu modernen Sequenzierungstechnologien erleichtern sollte, steht nach vier Jahren vor seinem Abschluss. Janine Altmüller, die Leiterin der Technologie-Plattform Genomik, zieht Bilanz.

Frau Dr. Altmüller, welche Rolle hat das Max Delbrück Center in dem Verbundprojekt EASI-Genomics gespielt? 

Wir waren für den transnationalen Zugang verantwortlich. Es gab fünf Runden mit Ausschreibungen zu jeweils etwas anderen Schwerpunkten, für die insgesamt fast 400 Bewerbungen eingingen. In einem zweistufigen Review-Prozess, in den externe Gutachterinnen und Gutachter eingebunden waren, haben wir die 177 bewilligten Projekte auf zwölf große Zentren in Europa verteilt. Jedes hat seine eigene Expertise, ist also auf bestimmte genomische Analysen spezialisiert. Am Max Delbrück Center, wo neben mir vor allem Dr. Sonja Hansen und Dr. Thomas Conrad an EASI-Genomics beteiligt waren, sind wir zum Beispiel besonders gut für Einzelzellanalysen und Spatial Technologies gerüstet. Wir haben also geprüft, in welchem Zentrum sich ein geplantes Projekt am besten verwirklichen lässt und haben den Forschenden den Zugang zu der entsprechenden Infrastruktur verschafft. 

Janine Altmüller, Leiterin der Technologieplattform Genomik

Welche Ziele haben Sie dank EASI-Genomics erreicht? 

Ganz besonders wichtig war der Austausch mit den anderen Genomik-Plattformen, die teilweise sehr groß und extrem gut ausgestattet sind – zum Beispiel das Centro Nacional de Análisis Genómico, kurz CNAG, in Barcelona oder das SciLifeLab in Stockholm. Gemeinsam haben wir neue Methoden entwickelt und optimiert. Das war sehr inspirierend.  

Welche Projekte waren für das Max Delbrück Center und den Forschungsstandort Berlin besonders wertvoll? 

Das ist wirklich schwer zu sagen, es sind so viele! Ein Beispiel ist eine Einzelzellanalyse: Die Forschenden haben untersucht, wie sich die Plazenta verändert, wenn die werdende Mutter raucht. Das Projekt hat sehr gute Ergebnisse und viele neue Kooperationen innerhalb Berlins hervorgebracht, unter anderem mit der Charité und anderen Technologie-Plattformen hier am Max Delbrück Center. Es gibt spannende Folgeprojekte. 

Und welches Vorhaben von europäischen Partnern hat Sie besonders beeindruckt? 

Keine leichte Frage. Das Spektrum ging weit über das hinaus, was wir normalerweise erforschen. Es gab botanische, zoologische, ökologische und evolutionsbiologische Vorhaben. Besonders beeindruckend fand ich, was Forschende an der Universität Tartu in Estland gemacht haben: Sie konnten aus uralten Knochen das kaum vorhandene und stark fragmentierte Erbmaterial analysieren und daraus Schlüsse zur Lebensweise unserer Vorfahren ziehen. So haben sich beispielsweise zwei Völkerstämme der Urzeit trotz ihres sehr unterschiedlichen Körperbaus und einer völlig anderen Ernährung – die einen waren Jäger, die anderen Sammler – irgendwann genetisch miteinander vermischt. 

Inwieweit wurde EASI-Genomics von der Corona-Pandemie beeinflusst? 

Wir konnten uns nicht gut treffen, die Kommunikation war stark eingeschränkt – wie überall. Eigentlich waren Laboraustausche geplant, um sich gegenseitig zu trainieren. Das fiel leider fast völlig weg. Positiv war, dass das Konsortium eine ungeheure Kraft für die Corona-Forschung mobilisiert hat. Es gab im Mai 2020 eine Ausschreibung für Corona-Projekte und viele Ergebnisse fanden sehr schnell ihren Weg in hochrangige Journale. Aus sieben Projekten sind bislang 18 Publikationen hervorgegangen. Solch ein Konsortium kann wirklich etwas bewegen. 

Können Sie ein Beispiel nennen? 

Für eine „Science“-Studie haben die Forschenden untersucht, inwieweit die genetische Ausstattung eines einzelnen Menschen den COVID-19-Verlauf beeinflusst. Die Autoren waren auf Autoantikörper gestoßen, die sich gegen bestimmte Entzündungsbotenstoffe richten. Patient*innen mit einem schweren Krankheitsverlauf hatten sie vermehrt gebildet. Mit diesen Erkenntnissen kann man also Menschen mit dem höchsten Risiko für einen lebensbedrohlichen COVID-19-Verlauf identifizieren. Diese Studie ist aber wirklich nur ein Puzzlestein. Es gab viele spannende Arbeiten und es werden noch etliche Publikationen folgen. 

Am 4. Mai findet im Berliner Kaiserin-Friedrich-Haus die offizielle Abschlussveranstaltung von EASI-Genomics statt. Auf was freuen Sie sich besonders? 

Als Technologin bin ich natürlich vor allem auf das bevorstehende Technologie-Spektakel gespannt. Wir werden so hervorragende Sprecher wie Professor Mats Nilsson vom SciLifeLab in Stockholm oder Professor Nikolaus Rajewsky vom Max Delbrück Center hören, die beide höchst innovative Methoden entwickelt haben und visionär sind. Alle Forschenden, die genomische Techniken benutzen, werden bei dieser Veranstaltung Inspirationen für ihre Arbeit erhalten. 

Wie geht es weiter? Wird das Projekt über seine Laufzeit hinaus die Genomforschung verändern? 

Das hoffen wir sehr. In jedem Fall wollen die Partner von EASI-Genomics weiterhin zusammenarbeiten. Daher treffen wir uns am 5. Mai intern, um Kooperationen und Fördermöglichkeiten für die Zukunft auszuloten. Darauf bin ich sehr gespannt. 

Das Gespräch führte Anke Brodmerkel. 

 

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