Karsten Häcker

IT-Chef mit Fernweh

Wer schon einmal den Wintereinbruch in der Arktis überlebt hat, den kann ein Hackerangriff hoffentlich nicht aus der Ruhe bringen. Karsten Häcker, Leiter der Corporate IT am MDC, erzählt, wie Extremurlaube ihm zu mehr Gelassenheit im Job verhelfen. Und er verrät, was ein Schweizer Käse mit IT zu tun hat.

3.300 Computer, 1.000 Server, 16 Petabyte Speicherkapazität – aus diesen Bausteinen setzt sich die IT-Infrastruktur des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) zusammen. Etwa 50 Mitarbeiter*innen kümmern sich in der IT-Abteilung darum, dass die rund 2.100 Nutzer*innen damit arbeiten können.

Seit 2017 leitet Karsten Häcker die Corporate IT des MDC. Davor war er in gleicher Position für den Forschungsverbund Berlin (FVB) tätig. Von 2012 bis 2015 baute er als Leiter IT das Potsdamer Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung mit auf, bis 2011 war er ebenfalls in leitender Position bei der euroscript International und der euroscript Deutschland tätig. Er gehört außerdem dem Präsidium von VOICE an, dem Bundesverband der IT-Anwender.

So kennt man ihn am MDC: Karsten Häcker, Leiter der Corporate IT.

Gelassenheit lernen

Doch die IT ist nicht die einzige Leidenschaft des gebürtigen Berliners. Karsten Häcker sehnt sich nach Abenteuer. Auf seinen Extremreisen hat er vor allem eins gelernt: Gelassenheit. Denn wer in schwierigen Situationen einen ruhigen Kopf behält, kann sich besser aus ihnen befreien. Das gilt für einen Schneesturm in der Arktis genauso wie für einen Hackerangriff.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag in der IT-Abteilung aus?

Ein Teil der Kolleg*innen arbeitet am Helpdesk Tickets, also Arbeitsaufträge, ab. Klingt ein bisschen eintönig, aber die Anfragen sind sehr unterschiedlich. Außerdem arbeiten die Kolleg*innen projektbezogen in Teams, etwa wenn eine neue Arbeitsgruppe oder Technologie-Plattform eingerichtet wird und eine IT-Infrastruktur benötigt.

Wieviele Tickets kommen in der IT-Abteilung an?

Im vergangenen Jahr waren es genau 10.952 Supportanfragen; in diesem Jahr haben wir bislang jeden Monat durchschnittlich 551 Tickets bearbeitet. Wir führen darüber sehr genau Buch, weil wir wissen möchten, ob unsere Schulungen etwas bewirken oder wir Fehlerquellen beseitigen konnten.

Technik ist nicht alles

Gibt es ein Leitbild für Ihre Arbeit?

Die Frage lautet nicht: Was für einen Computer brauchst du? Sondern: Was willst du mit deinem Computer machen?
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Karsten Häcker Leiter der Corporate IT

Die Frage lautet nicht: Was für einen Computer brauchst du? Sondern: Was willst du mit deinem Computer machen? Was ich damit sagen will: Wir gehen in der IT-Abteilung nicht von den technischen Möglichkeiten aus, sondern von den Bedürfnissen der Nutzer*innen. Nehmen wir die elektronische Personalakte. Das ist nicht einfach nur eine Akte. Sie durchläuft viele Abteilungen, die jede für sich genommen ihre eigenen Anforderungen an die Personalakte stellen. Diese Anforderungen und die damit verbundenen Prozesse müssen wir verstehen und in ein System umsetzen. Das Auseinandersetzen mit den Abläufen der einzelnen Bereiche, in der Wissenschaft wie in der Verwaltung, gehört genauso zu unserer Arbeit wie das Einrichten von Rechnern und das Beheben technischer Probleme.

War das MDC schon einmal Ziel von Hackerangriffen?

Wir waren schon mehrere Male, insbesondere zu Beginn der Corona-Krise, Hackerangriffen ausgesetzt. Es handelte sich bislang um Denial-of-Service-Angriffe (DdoS), bei denen der Zielserver mit einer Flut von Internet-Traffic überschüttet wird, um ihn zu überlasten. Bislang war noch keiner dieser Angriffe erfolgreich, und wir haben eine ganze Reihe von Maßnahmen installiert, damit das auch so bleibt.

Schweizer-Käse-Taktik gegen Hackerangriffe

Was für Maßnahmen sind das?

Dazu gehört neben zahlreichen technischen Vorkehrungen nach der Schweizer-Käse-Technik – wenn eine versagt, kommt die nächste zum Zug – die Schaffung einer Awareness unter den Mitarbeiter*innen. Dass man keine fremden USB-Sticks in die Unternehmensrechner steckt, woran man Phishing-Mails erkennt, welche Dinge man am Telefon lieber nicht sagt – solche Dinge. Für die Zukunft planen wir verpflichtende IT-Sicherheitsschulungen für neue Mitarbeiter*innen. Bei aktuellen Anlässen, etwa nach dem großangelegten Hackerangriff auf die Technische Universität, laden wir die Nutzer*innen ebenfalls zu Schulungen ein. Das Angebot wird sehr gut angenommen.

Geschafft! Nach 161 Kilometern erreicht Karsten Häcker das Ziel: „Die 100 Meilen waren anspruchsvoller als gedacht. Aber irgendwie doch cool.“

Vor kurzem sind Sie den Berliner Mauerweg gelaufen. 161 Kilometer am Stück in 29 Stunden und 38 Minuten. Warum tun Sie sich so etwas an?

Ich bin früher Marathon gelaufen. Das war irgendwann langweilig. Wenn man fröhlich einen Marathon in einer annehmbaren Zeit beendet, kann man auch weiterlaufen. Viele probieren das nicht aus. Aber je länger man läuft, um so unwichtiger wird der Körper und umso wichtiger wird der Kopf. Und siehe da: 161 Kilometer – das geht besser, als sich mancher vielleicht vorstellt.

Man würde sich vorstellen, dass Sie nach einer solchen Strapaze – für die Sie ja sicher eine Weile trainiert haben – hager und sehnig sind. Sind Sie aber gar nicht.

(lacht) Ich brauche Reserven. Die kann ich einplanen.

Sie meinen: Für Ihre extremen Urlaube?

Ja. Durch das viele Laufen weiß ich, dass meine Fettverbrennung gut funktioniert.

Sehnsucht nach Grenzenlosigkeit

Über Ihre Reisen müssen Sie noch ein wenig mehr erzählen.

Als ehemaliger DDR-Bürger bin ich schon immer gern gereist. Zu DDR-Zeiten war ich mehrere Male in Rumänien, nach der Wende in Island, in den Kordilleren… Mitte der 90-er Jahre bin ich zwei Monate mit dem Fahrrad durch die Wüste Gobi gefahren. Das ging durchaus an die Substanz. Und vor mittlerweile sechs Jahren bin ich in der arktischen Tundra gewandert – dort, wo ewiges Eis und Land aufeinandertreffen, hatte ich einen meiner schönsten Urlaube. Ausgangspunkt war eine Siedlung im äußersten Nordosten Kanadas, Grise Fiord, ein 120-Seelen-Dorf, die meisten Einwohner*innen Inuit. Dort habe ich mich zweieinhalb Monate herumgetrieben. Leider kam der Wintereinbruch mehrere Wochen zu früh, über Nacht und mit einem Temperatursturz um zehn bis 15 Grad. Ich wachte morgens auf und war eingeschneit. Da musste ich meine geplanten Routen gravierend ändern.

Sehnen Sie sich nach Abenteuern?

Ich habe wohl eine Schwäche für Landschaften. Für grenzenlose Weite.

Was hatten Sie in der Arktis dabei?

Nicht viel. Einen Rucksack mit Zelt, Isomatte und Schlafsack, einen Campingkocher und Pemmican – das ist eine Trockennahrung aus Dörrfleisch; Gemüse und Fett, die die nordamerikanischen Ureinwohner erfunden haben.

Wie haben Sie sich auf diesen Trip vorbereitet – abgesehen von ihren Extremläufen?

Man kann sehr gut im rumänischen Hochgebirge üben und die Ausrüstung testen. Dort gibt es sehr raue Gegenden mit viel Schnee. Wunderschön! Rumänien – das ist mein Land für den kleinen Urlaub zwischendurch. Über Facebook hatte ich außerdem Kontakt zu einem Einwohner von Grise Fiord aufgenommen. Ein Inuit, der nicht schlecht gestaunt hat, als der „crazy German“ tatsächlich vor ihm stand.

Rückkehr ungewiss

Was sagt Ihre Familie dazu?

Meine Frau weiß, dass ich das brauche. Wir haben das besprochen. Unser Freundeskreis hat sehr zwiegespalten reagiert. Denn die Möglichkeit, dass man von einer solchen Reise nicht zurückkehrt – die gibt es.

Macht Ihnen diese mögliche Konsequenz keine Angst?

Nein, sonst könnte ich es nicht machen. Aber manchmal habe ich mir einen roten Buzzer gewünscht, auf den ich draufhaue und aufwache und wieder zu Hause bin. Ich habe wirklich gelitten. Dauerhaft minus 20 Grad, ohne Isomatte, da hatte ich schon den ein oder anderen Schreikrampf.

Was ist denn mit Ihrer Isomatte passiert?

Ein schlimmer Anfängerfehler, man sollte in der Arktis keine aufblasbare Isomatte benutzen: Die Atemluft im Inneren gefriert, und die Eiskristalle bohren sich durch das Gewebe. Irgendwann war mein Flickzeug alle, und vom gefrorenen Boden haben mich nur die Zeltplane und der Schlafsack getrennt.

Gab es lebensbedrohliche Situationen? Eine Begegnung mit einem Eisbären?

Ich habe viele Tiere getroffen: Moschusochsen, Schneehasen, Schneewölfe, Möwen… Eisbären leider nicht, dabei hätte ich so gern einen gesehen. Die kanadischen Mounties – so heißen dort die Polizisten – haben sich gegenseitig angefunkt, ob nicht einer einen Eisbären gesehen hat, damit ich ihn fotografieren könne. Die Eisbären waren zu dem Zeitpunkt aber alle im Süden. Nur einmal haben wir Pfotenabdrücke im Schnee gefunden. Die waren so riesig, dass ich es nicht mehr schlimm fand, keinem Eisbären begegnet zu sein…. Davon abgesehen war es nicht so ohne, im Neuschnee allein zum Dorf zurückzukehren. Ich wusste ja nicht, was unter dem Schnee ist. Ich bin auch mal abgerutscht, in die Tiefe – solche Situationen gab es.

In der Ruhe liegt die Kraft

Haben diese Momente Sie geprägt?

Ja. Sie haben mir Gelassenheit geschenkt. In heiklen Situationen werde ich nicht panisch, sondern überlege mir in Ruhe, was als nächstes getan werden muss. Was das Schlimmste ist, das passieren kann. Und wie ich damit umgehe. Eine solche Reise ist übrigens nicht als Selbstfindungstrip geeignet. Man sollte schon gefestigt und mit sich im Reinen sein. Vor allem, wenn man wochenlang allein unterwegs ist und mit niemandem sprechen kann. Wenn dann innere Dämonen wach werden, kann das durchaus gefährlich werden.

Können Sie das auch auf Ihren Arbeitsalltag übertragen?

Eine solche Reise ist nicht als Selbstfindungstrip geeignet. Man sollte schon gefestigt und mit sich im Reinen sein.
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Karsten Häcker Leiter der Corporate IT

Auf jeden Fall. Ob ich eine Reise oder ein Projekt plane: Die Dinge wollen gut durchdacht und vorbereitet sein. Dafür muss ich Informationen sammeln, mögliche Zwischenfälle und Ausstiegsszenarios durchdenken. Ich muss offenen Geistes sein, flexibel auf sich ändernde Umstände reagieren können. Ich habe auch gelernt zu akzeptieren, dass ein Abbruch keine Niederlage ist, sondern manchmal eine notwendige Entscheidung. Gelassenheit und Vertrauen prägen auch meinen Führungsstil: Ich kontrolliere meine Mitarbeiter*innen nicht, sondern lasse sie machen.

Sie haben an der Berliner Hochschule der Künste studiert. Das ist ungewöhnlich für einen IT-Leiter.

Ja und nein. Davor habe ich an der Technischen Universität in Dresden Informatik studiert. Ich wollte dann eine ganz andere Richtung einschlagen und habe an der HdK und in Valencia Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation studiert. Das hat mir dann aber doch nicht so zugesagt und ich habe das Studium abgebrochen. Ich bin aber froh, diesen Umweg gegangen zu sein. Das Kommunikationsstudium hilft mir dabei, IT-Leiter zu sein und die Übersetzungsarbeit zu leisten, von der ich eben gesprochen habe – also zwischen den Anforderungen der Nutzer*innen und den IT-Mitarbeiter*innen zu moderieren. Um zu programmieren, bin ich nicht gut genug. Ich kann nichts richtig – deshalb bin ich IT-Leiter (lacht).

Offensichtlich sind Sie richtig gut im Überleben. Planen Sie bereits ein neues Abenteuer?

Ja, 2023 ist es wieder so weit. Vielleicht fahre ich noch einmal in die Arktis und mache da weiter, wo ich das letzte Mal aufhören musste. Oder ich wandere den Pacific Crest Trail von Mexiko nach Kanada. Oder mir fällt noch etwas völlig anderes ein. Ein bisschen Zeit zum Überlegen habe ich ja noch.

Das Gespräch führte Jana Ehrhardt-Joswig.