generisches Bild

„Unser Bedarf an IT-Experten wächst stetig“

Die Digitalisierung prägt die Medizin zusehends. So profitiert die Entwicklung neuer Impfstoffe und Medikamente immer stärker von Datenwissenschaften und KI. Pfizer-Manager Peter Albiez erläutert, wie Graduiertenschulen wie die HEIBRiDS dabei helfen, den enormen Bedarf an Data-Science-Fachkräften zu decken.

Die HEIBRiDS-Graduiertenschule bildet junge Talente an der Schnittstelle zwischen einer naturwissenschaftlichen Fachdisziplin und den Datenwissenschaften aus. Welchen Stellenwert besitzen Data Science und Künstliche Intelligenz mittlerweile für Ihr Gebiet, die Pharmabranche?

Eine besondere Bedeutung. Die Digitalisierung wird die Medizin der Zukunft maßgeblich prägen. Im Grunde hat diese Zukunft ja schon begonnen und entwickelt sich mit enormer Dynamik. So ist es für Forschung und Entwicklung heute möglich, riesige Datenmengen zu erfassen und mit modernen Analysemethoden auszuwerten, basierend auf Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen. Dadurch können wir in den Daten verborgene Muster erkennen und auf dieser Basis dann eine Präzisionsmedizin entwickeln, mit maßgeschneiderten Diagnostiken und Therapien. Also ein großes neues Feld, das die Medizin revolutioniert: Data Science zählt zu den Schlüsselkompetenzen der Zukunft. Ohne sie wird es nicht möglich sein, die Zukunft der Medizin zu gestalten.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen?

Die Entwicklung unseres Corona-Impfstoffs, die wir gemeinsam mit BioNTech in einer Rekordzeit von zehn Monaten vorangetrieben haben, hätte ohne diese neuen digitalen Werkzeuge viel länger gedauert. In die klinischen Studien waren weltweit 44 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer eingebunden. Dabei war es wichtig, die Daten so zu erfassen, dass sie schnell analysiert werden, möglichst in Echtzeit. Normalerweise hätte es 30 Tage gedauert hat, bis wir sämtliche Daten überprüft und für die wissenschaftliche Auswertung verfügbar gemacht hätten. Doch dank eines neuen maschinellen Lernwerkzeugs namens Smart Data Query war es möglich, die klinischen Studiendaten in nur 22 Stunden zu überprüfen – eine enorme Beschleunigung. Doch auch für die Produktion und die Verteilung des Impfstoffs war Data Science wichtig: So hat es eine Echtzeit-Datenerfassung erlaubt, mögliche Lieferengpässe früh zu erkennen und dann rechtzeitig gegenzusteuern.

Welche Fachkräfte braucht es für diese Aufgaben? Und welche Rolle können dabei Programme wie die HEIBRiDS spielen, also Graduiertenschulen, die auf die interdisziplinäre Ausbildung junger Talente im Bereich Data Science spezialisiert sind?

Wir wollen bei HEIBRiDS in Zukunft verstärkt auch internationale Informatik-Firmen an Bord holen.
Prof. Dr. Uwe Ohler
Uwe Ohler Sprecher der HEIBRiDS & Leiter der AG "Bioinformatik der Genregulation"

Solche Expertisen werden immer bedeutsamer. Das gilt vor allem für die Forschung, aber auch für Produktion und Logistik, also die gesamte Wertschöpfungskette – letztlich können ja alle Bereiche eines Unternehmens von der Digitalisierung profitieren. Deswegen wächst unser Bedarf an Expertinnen und Experten aus dem IT-Bereich stetig, und wir haben großes Interesse, Talente zu gewinnen, die sich diese Expertisen bereits in ihrer akademischen Laufbahn angeeignet haben. Bislang akquirieren wir viele dieser Nachwuchskräfte aus den USA oder aus Asien. Doch ich denke, wir sollten auch in Deutschland und in Europa ein stärkeres Augenmerk auf solche Fähigkeiten lenken. Und deshalb halte ich eine Initiative wie die HEIBRiDS für zukunftsweisend, um einen Pool an Talenten zu entwickeln. Außerdem liegt mir als MDC-Aufsichtsratsmitglied und Sprecher des Clusters Gesundheitswirtschaft Berlin-Brandenburg besonders daran, das Zusammenspiel zwischen Wissenschaft und Wirtschaft in dieser Region zu stärken. Wir haben hier viele exzellente Unternehmen, sowohl Startups als auch große Konzerne. Ich habe ein großes Interesse daran, solche Kollaborationen weiter voranzubringen. Und das gilt natürlich auch für das Gewinnen künftiger Talente, die nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Wirtschaft mit ihrem Know-how bereichern können. Unter diesem Aspekt leistet die HEIBRiDS-Graduiertenschule einen wichtigen Beitrag für die Gesundheitswirtschaft in unserer Region.

Für welche Bereiche der Medizin könnte Data Science in Zukunft besonders relevant werden?

Einer unserer Schwerpunkte liegt bei den seltenen Erkrankungen. Zwar ist jeweils immer nur eine relativ kleine Zahl von Menschen betroffen. Aber da es schätzungsweise 7000 dieser Erkrankungen gibt, betrifft es letztlich dann doch sehr viele Menschen. Oft gehen diese Krankheiten auf genetische Veränderungen zurück, sie bringen viel Leid mit sich und führen zu starken gesundheitlichen Einschränkungen. Indem wir große Datenmengen erfassen und mit den Methoden wie dem maschinellen Lernen analysieren, werden wir mehr und mehr in die Lage kommen, diese Krankheiten identifizieren und gezielt behandeln zu können, etwa durch Gentherapien. Dadurch werden wir Krankheiten, die bisher weder diagnostizierbar noch therapierbar sind, Schritt für Schritt überwinden können.

Die Grundlage für solche Anwendungen sind umfassende Datensätze von guter Qualität. Wie lässt sich diese hohe Datenqualität gewährleisten?

Der Einsatz von Data Science beschleunigt die Entwicklung neuer Arzneimittel.

Wichtig ist, dass wir die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, um Daten auf systematische Weise zu erfassen. Diese Aufgabe können zum Beispiel Data Trust Center übernehmen, die die Anforderungen an die Daten definieren, aber auch dafür Sorge tragen, dass die Datensicherheit gewährleistet ist. Datenschutz muss hochgehalten werden, das wollen wir alle. Dennoch sollten wir ihn so ausgestalten, dass wir wissenschaftlichen Institutionen und forschenden Unternehmen einen ausreichenden Zugang auf medizinisch relevante Daten ermöglichen. Nur dann sind sie in der Lage, Medikamente entwickeln zu können, mit denen sich bislang unheilbare Krankheiten therapieren lassen. In dieser Hinsicht braucht es hierzulande mehr Mut und Willen, um die Zukunft der digitalen Medizin zu gestalten. Hier ist das MDC mit Ausbildungsinitiativen wie der HEIBRiDS auf einem sehr guten Weg. Denn den Promovierenden werden nicht nur datenwissenschaftliche Skills vermittelt, sondern auch die Sensibilisierung im Umgang mit Forschungsdaten.

Interview: Frank Grotelüschen

 

Weiterführende Informationen