Maike Sander

„Vernetzung ist das Modell der Zukunft“

Prof. Maike Sander ist seit Ende 2022 Wissenschaftliche Vorständin des Max Delbrück Center. Ein Gespräch mit der international renommierten Stammzell- und Diabetesforscherin über Netzwerke in der Wissenschaft, die Forschungsmetropole Berlin und unser Zentrum als Innovationsmotor.

Frau Prof. Sander, was hat Sie aus San Diego zurück nach Deutschland gelockt? 

Mich reizt die Aufgabe, dass wir hier etwas gemeinsam mit Partnern gestalten können. Ich sehe eine große Chance für die Forschung in Deutschland und in Europa. Aus US-Perspektive habe ich in den vergangenen Jahren beobachtet, dass die Forschung hier sehr vernetzt ist. Man versucht stärker, im Verbund zu arbeiten und große Themen durch gemeinsame Strukturen anzugehen. Genau das ist das Modell der Zukunft! Es ist heute unmöglich, dass ein einzelnes Labor, ein einzelner Professor oder eine Professorin das komplette Fachwissen entweder akquiriert oder selbst mitbringt, um wirkliche Fortschritte in der Biomedizin zu erzielen. In Kooperationen bringt jede*r eine andere Expertise mit, kommt aus unterschiedlichen Disziplinen. In den USA ist diese Arbeitsweise teilweise schwieriger, weil sich die Förderung primär an einzelnen Forschungsgruppen orientiert und zeitlich zum Teil eng begrenzt ist. Dort sind die Institutionen per se nicht staatlich gefördert; Professor*innen finanzieren ihre Labore individuell über Drittmittel. Hier hingegen können Forschungszentren, wie zum Beispiel wir am Max Delbrück Center, gemeinsam mit anderen etwa aus der Helmholtz-Gemeinschaft oder von anderswo, die wirklich großen Fragen der Gesundheitsforschung angehen. Da sehe ich gerade in Berlin eine große Chance. Hier gibt es innovative Vorstöße in diese Richtung – auch dank der Zusammenarbeit von Charité – Universitätsmedizin Berlin, dem Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) und dem Max Delbrück Center. Wir drei können gemeinsam die Medizin der Zukunft gestalten. All das hat mich dazu bewogen, hierherzukommen. 

Wie leistungsfähig ist die deutsche Forschungswelt, wenn Sie das vergleichen mit den großen Zentren in den USA? 

In Boston, in der Bay Area oder in San Diego gibt es einen wirklich dynamischen Markt, da sind die USA klar im Vorteil. Es gibt diese lebendige Mixtur von privaten Investoren, von Venture Capital und oft riesigen privaten Spenden, die bestimmte Forschungsfelder und frische Ideen vorwärtstreiben. So entstehen immer wieder neue Modelle, die Innovation ermöglichen. Da ist manches in Deutschland einen Tick langsamer. Es fließt hier nicht mal schnell und unbürokratisch Geld zur Anschubfinanzierung in einen neuen Bereich. Aber in Deutschland hat man dafür auch mehr Stabilität und Kontinuität, was für innovative Forschung sehr wichtig ist. 

Was wäre notwendig, um die Dynamik zu beschleunigen? 

Wünschenswert wäre, hier stärker über die Möglichkeiten von Mischpaketen von staatlicher und privater Finanzierung nachzudenken. Es sind klare Anreize nötig, damit man in Richtung Kommerzialisierung geht, damit Ergebnisse schnell in der Diagnostik und Therapie ankommen. Wir haben in Deutschland eine wirklich gute staatliche Förderung, hier arbeiten exzellente Wissenschaftler*innen, sie haben tolle Ideen. Aber damit wir diese Innovationen zur Anwendung bringen, dafür fehlt noch dieses Modul: Start-ups brauchen dynamische private Finanzierungsmöglichkeiten, einen großen Kapitalmarkt. 

Wie ist das zu erreichen? 

Auch hier geht es um Netzwerke. Wir hatten beispielsweise in San Diego mehrmals im Jahr Veranstaltungen, bei denen Investoren praktisch gescoutet haben. Man ist in ständigem Austausch, es gibt in den USA enge Verbindungen zwischen Professor*innen und Kapitalgeber*innen. Und wenn Ideen entstehen, dann ist der Weg ganz kurz. Die große Frage ist, wie wir hier eine solche Kultur fördern und Investoren anlocken können. Wie wir ihnen zeigen können, dass hier Ideen entstehen, mit denen man irgendwann viel Geld verdienen kann. Das sehe ich als eine Aufgabe für uns als Verbund: Gemeinsam können wir zeigen, was Berlin zu bieten hat, und das Interesse für den Standort fördern, sodass mehr Begegnungen und Netzwerke auch mit Investoren entstehen. 

Wie sollen sich aus Ihrer Sicht das Max Delbrück Center und die Lebenswissenschaften in der Hauptstadtregion entwickeln? 

Berlin hat enormes Potenzial. Wir haben drei große Universitäten, die schon als Berlin University Alliance kooperieren. Hinzu kommen die außeruniversitären Forschungseinrichtungen mit enormer Strahlkraft, die sich ebenfalls zusammengeschlossen haben in Berlin Research 50. Wir haben eine große Stärke und Dichte, die es international nicht so oft gibt. Es sind viele wichtige Bausteine vorhanden. Nicht nur, weil es hier großartige Forschung gibt. In Berlin leben zehntausende Studentinnen und Studenten. Dieses Potenzial des Talents brauchen wir! Ideen, Vielfalt, Kreativität und Innovation müssen ja gelebt werden. Und Berlin ist international eine attraktive Stadt. Wir können also Talente und Fachleute aus der ganzen Welt anziehen. Im Dreieck Charité, BIH und Max Delbrück Center wiederum sehe ich uns als Innovationsmotor. Wir adaptieren neue Technologien und entwickeln sie weiter für Fragestellungen, die für menschliche Krankheiten relevant sind. In engster Zusammenarbeit mit den Kliniker*innen können wir Neues anschieben. Nun gilt es zu überlegen, welche Stärken und Schwerpunkte es schon gibt, wie wir sie ausbauen und damit weltweit führend sein können. 

An was denken Sie konkret? 

 „From bench to bedside and back“ (vom Labor in die Klinik und zurück) wird hier auf dem Biotech-Campus Buch schon gelebt – im Experimental and Clinical Research Center (ECRC), das wir 2007 mit der Charité gegründet haben. In die gleiche Richtung weist unsere Idee des Berlin Cell Hospitals. Gemeinsam wollen wir neue Technologien wie die Einzelzellanalyse oder auch die CRISPR-Methoden in die Klinik bringen. Die Technologien erlauben uns, ein viel detaillierteres, ein deutlich höher aufgelöstes Bild von Krankheitsprozessen zu erlangen. Das macht molekulare Prävention möglich: Krankheiten nicht erst zu diagnostizieren und zu behandeln, wenn der Patient oder die Patientin bereits Symptome hat und der Schaden im Körper angerichtet ist – sondern viel früher. Das geht nur in enger Vernetzung von Kliniker*innen und Forscher*innen, die große Datensätze interpretieren können. 

Gibt es andere Beispiele? 

Ich denke an Organoide. Diese Miniorgane, die wir aus Stammzellen herstellen und mit denen wir menschliche Krankheitsprozesse im Modell nachbilden können, werden für Forschung und Industrie immer wichtiger. Aber um sie wirklich in die Praxis zu bringen, muss das Anzüchten automatisiert passieren – der Prozess muss skalierbar sein. Denn wenn wir mit Hochdurchsatz-Screening-Methoden herausfinden wollen, wo die Schaltstellen für Krankheit und Gesundheit sind, welche Wirkstoffe dort eingreifen können, dann brauchen wir jeweils Tausende gleichermaßen hochwertige Organoide. Für diese Skalierbarkeit müssen viele Disziplinen zusammenkommen, auch Bioengineering und Data Science. Da sehe ich nicht nur für uns am Max Delbrück Center eine Chance. Diese Möglichkeiten sollten wir in Berlin ausbauen, weiterentwickeln und noch enger kooperieren. 

Das Gespräch führten Jutta Kramm und Jana Schlütter

Dieses Interview erschien auch in „Gesundhyte.de“ (Ausgabe 15).

Prof. Maike Sander

Biographie

Prof. Maike Sander ist eine international tätige Stammzell- und Diabetesforscherin. Seit November 2022 leitet sie das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (Max Delbrück Center) in Berlin als Wissenschaftliche Vorständin.

Maike Sander

Sander hat an der Universität Heidelberg Medizin studiert und danach mehr als 25 Jahre in Kalifornien geforscht. Zuletzt leitete sie als Direktorin das Pediatric Diabetes Research Center an der University of California in San Diego.

Bekannt wurde Sander mit ihrer wegweisenden Diabetes-Forschung insbesondere zu den insulin-produzierenden Beta-Zellen, deren Entwicklung und Funktion sie mit ihrem Team analysiert. Die Forscher*innen produzieren aus menschlichen pluripotenten Stammzellen Bauchspeicheldrüsen-Inseln. Diese Organoide bilden die natürliche Mikroumgebung der Beta-Zellen in der Petrischale nach und erlauben detaillierte Analysen. Betazellen zu regenerieren oder mithilfe von menschlichen pluripotenten Stammzellen zu ersetzen, könnte für beide Formen von Diabetes ein Therapieansatz werden. „Noch ist nicht geklärt, wie man Menschen aus Stammzellen gewonnene Betazellen transplantieren und im Körper vor der Abstoßung schützen kann“, betont Sander. „Um Antworten auf diese Fragen zu finden, müssen Wissenschaft und Industrie intensiv zusammenarbeiten.“

Sie ist Preisträgerin des Grodsky-Preises der Juvenile Diabetes Research Foundation und des Forschungspreises der Alexander von Humboldt-Stiftung. Im Jahr 2022 erhielt sie von der European Society for the Study of Diabetes (EASD) den Albert-Renold-Preis.