Petra Nibbe

Was lesen Sie gerade, Frau Nibbe?

Diese Frau weiß, was ein gutes Buch ist. Petra Nibbe war einmal Buchhändlerin, bevor es sie in die Welt der Wirtschaftsjurist*innen und ins Personalmanagement zog. Nibbe, inzwischen Leiterin der Abteilung Personal und Unternehmenskultur am Max Delbrück Center, entführt uns nach Georgien, in die Ära nach dem Zerfall der Sowjetunion.

Petra Nibbe

DAS MANGELNDE LICHT – sprichwörtlich titelgebend nicht nur für den Tifliser Hinterhof als Hauptkulisse des 800-Seiten-Werks, sondern auch für das Land Georgien, in den späten 1980-ger und 1990-ger Jahren. Hier finden vier junge Mädchen zu tiefer, lebenslanger Freundschaft, während sich um sie herum politisches Chaos ausbreitet und die Profiteure desselben sich breitmachen in ihrem Leben und der Gesellschaft. Gemeinsam streifen wir mit Keto, Nene, Dina und Ira durch die Tifliser Straßen, die Hinterhöfe, die Parks, die Berge, die georgische Landschaft. Wir fühlen uns ein in das Leben der Studentin Keto, aus ihrer Perspektive ist die Geschichte erzählt. Sie verschreibt sich später der Restauration alter Kirchen, solange es angesichts ihrer familiären Verwicklungen möglich ist. 

Dreißig Jahre später treffen die Frauen in Brüssel anlässlich einer Foto- Ausstellung erneut aufeinander. Nur eine fehlt – die Fotografin, Dina. Sie hat sich anders entschieden, das wird schon auf den ersten Seiten klar. Sie ist gescheitert an ihren Widersprüchen. In einer berauschenden Nacht wagen die Freundinnen also im Jahr 2019 einen Blick in die Vergangenheit und erfahren sich und die Welt neu. Mit Abstand ist der Blick erweitert .... Die Leichtigkeit der Jugend-Freundschaft wird torpediert durch die damaligen Ereignisse zwischen Zwang, Not, Vorankommen-Wollen, dem Sog in ein unabhängiges Leben. Und doch überdauert die Zuneigung. 

Wie schon im Erfolgsroman „Das achte Leben“ erzählt Nino Haratischwili vom Umbruch in Georgien nach dem Ende der Sowjetherrschaft. Vom Leben zwischen Zerfall, Gewalt, Kriminalität, Frauenfeindlichkeit, Rohheit, und geprägt von Mangel – nicht nur an Licht. Einerseits. Denn alles schmeckt auch nach Aufbruch, Zuneigung, Mitgefühl, ist bunt und leuchtet. 

Trotz aller Widrigkeiten sind es die Mädchen Keto, Ira, Nene, die leben und sich weiterentwickeln, Freude haben, ausreisen, neue Wege gehen, Berufe ergreifen und erfolgreich im Leben ankommen. Ihre Brüder, ihre männlichen Freunde sind überwiegend selbst den Anforderungen der patriarchalen, frauenfeindlichen Gesellschaft erlegen. Auch das Ausdruck der damaligen Gesellschaftsstrukturen. In „Das mangelnde Licht“ ist die Hauptfigur in Deutschland gelandet und angekommen, ganz wie in Haratischwilis Roman „Das achte Leben“ – dessen Protagonistin lebt in Berlin. Die Autorin in Hamburg. 

Warum „Das mangelnde Licht“ lesen? Hoch aktuell und lebendig erzählt der Roman empathisch die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse im Georgien der vergangenen 30 Jahre: Beim Versuch des Übergangs zu einer Demokratie und einer freien Gesellschaft zwischen Korruption und gemeinschaftlicher Gesellschaftsentwicklung anhand der 

Lebensverläufe von vier Frauen, deren unterschiedlicher Persönlichkeiten wir beim Lesen sehr nahekommen, versinken wir. Daher: Lesetipp! 

Ich war sofort dabei, als ich gefragt wurde, ob ich mir vorstellen könnte, hier in dieser Rubrik ein Buch vorzustellen, verstehe ich mich doch, zumindest zeitweise, als „Leseratte“. Schwieriger gestaltete sich dann schon die Auswahl. Wollte ich Euch doch (trotz Krimifan) keine gewalttätigen „Krimis“ präsentieren „(„Schnee“ vonYrsa Sigurdadottir) – bei dessen Lesen Ihr womöglich nicht mehr schlafen könntet? Auch nicht die großartigen, aber wenig erbaulichen Romane von Michel Houllebecq – von „Vernichtung“ bis „Unterwerfung“ mochte ich Euch nicht präsentieren, zu verdreht oder krass, wenn auch ziemlich kurzweilig. Also das „Mangelnde Licht“, der wunderbare Blick auf die Freundschaft. 

„Das Mangelnde Licht“ von Nino Haratischwili, erschienen in der Frankfurter Verlagsanstalt