Uwe Ohler

Was lesen Sie gerade, Herr Ohler?

Uwe Ohler erforscht, wie Genregulation die Entwicklung komplexer Organismen ermöglicht. In seiner Freizeit singt er in einem Chor und liest gern. Als Empfehlung hat er einen Roman über zwei schwarze Jungen in Florida ausgewählt – eine Geschichte über Ungerechtigkeit und Rassismus, die auf einem authentischen Fall beruht.

Zu den Büchern, die ich zuletzt gelesen habe, gehört Colson Whiteheads „The Nickel Boys". Er ist wahrscheinlich vor allem bekannt für „The Underground Railroad", den Vorgänger von „The Nickel Boys", der kürzlich als Fernsehserie verfilmt wurde von dem für „Moonlight“ bekannten Barry Jenkins. (Das hier ist zwar eine Buchbesprechung, aber ich kann mir nicht verkneifen, nebenbei einen absolut fantastischen Film zu loben, wenn er zufällig zu den besten des vergangenen Jahrzehnts gehört.)

Mit diesen beiden Werken ist es Whitehead gelungen, zweimal hintereinander den Pulitzer-Preis zu gewinnen. Das mag nach „schwieriger“ Literatur und literarischem Establishment klingen, ist es aber keineswegs – die Auszeichnungen sind überaus verdient. Seine Prosa ist schlicht und einfach, was zur Unmittelbarkeit der Geschichten beiträgt. Beide Bücher packen einen und lassen einen nicht mehr los. Sie sorgen dafür, dass man mit den Figuren fühlt und erlebt, was sie erleben. Beide Bücher werden zu einem Leseerlebnis, das einen in den Bann zieht und wütend macht auf all das, was passiert – und es ist eine gute Wut, eine gerechte Wut. Sie hat dazu geführt, dass „The Underground Railroad" inzwischen mit voller Berechtigung Pflichtlektüre an amerikanischen Schulen und Colleges ist.

Doch selbst wenn „The Underground Railroad" eine größere Tragweite und einen phantastischeren Schauplatz hat, möchte ich ein bisschen mehr über „The Nickel Boys" erzählen, denn es hat mich noch stärker beeindruckt – wenn das überhaupt möglich ist.

Der Roman erzählt die Geschichte von afroamerikanischen Teenagern, die wegen eines kleinen Zusammenstoßes mit dem Gesetz in eine Art Umerziehungsinternat geschickt werden. Für eine der Hauptfiguren reichte es aus, vom falschen Auto mitgenommen worden zu sein, als sie eine Mitfahrgelegenheit nutzte. Wie der Teenager es schafft, sich dem grausamen, die Jungen oft gegeneinander ausspielenden System anzupassen, ohne die Hoffnung zu verlieren und trotzdem seine Würde zu bewahren, ist herzzerreißend.

Wie in „The Underground Railroad" ist auch der Hintergrund von „The Nickel Boys" leider real. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger bleibt der Roman jedoch in der Realität und nah an seiner Inspirationsquelle: Vor einigen Jahren fanden Lokalhistoriker*innen in einer sogenannten Reformschule in Florida einen ziemlich großen Friedhof mit Gräbern vieler Kinder, die nach langem Missbrauch gestorben waren. Das Buch ist mit 220 Seiten nicht sehr lang. Man tut sich einen Gefallen, es zu lesen, bevor der Film herauskommt, der bereits in Arbeit ist. Die Wendungen der Handlung ziehen einem den Boden unter den Füßen weg –  mehr möchte ich nicht verraten. Es verfolgt einen, aber man ist dankbar dafür, es gelesen zu haben.

Die Nickel Boys", erschienen bei Hanser.

 

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Forschungsgruppe von Uwe Ohler