Daberkow-Nitsche

„Wir orientieren uns immer an den 3R-Prinzipien“

Insgesamt sechs Tierschutzbeauftragte sorgen dafür, dass am MDC bei Tierversuchen für die medizinische Forschung alle Regeln eingehalten werden. Nadja Daberkow-Nitsche, Leiterin des Tierhauses am MDC, und ihre Kolleginnen helfen den Forschenden auch, Anträge für Experimente mit Tieren bei der Behörde zu stellen.

Frau Daberkow, was müssen Sie für Ihren Job als Tierschutzbeauftragte mitbringen?

Wir haben insgesamt sechs Tierschutzbeauftragte, die für das MDC tätig sind – die Frauen sind gleichzeitig auch Tierärztinnen und haben über viele Jahre viel praktische Erfahrungen an unterschiedlichen Arbeitsorten gesammelt. Regelmäßig bilden wir uns intensiv in Sachen Antragstellung und Tierschutzrecht in Schulungen und Fortbildungsmodulen weiter. Bei aktuell mehr als 350 laufenden Projekten haben wir uns die Arbeit so aufgeteilt, dass jede Tierschutzbeauftragte fest zugeordnete Forschungsgruppen betreut. So stehen wir fest im Stoff, und unsere Arbeit gibt den Forschenden Sicherheit und Verlässlichkeit. Wir kommen alle selbst aus der Forschung und waren irgendwann einmal Projektleiterinnen oder Mitarbeiterinnen, die an Studien beteiligt waren. Das ist eine absolute Voraussetzung, um hier sowohl intern am MDC als auch bei externen Kolleg*innen und Anprechpartner*innen anerkannt zu sein und souverän arbeiten zu können. Denn erst dann weiß man, welchen Umfang die wissenschaftliche Arbeit haben kann und mit welchen Problemen man sich in der Antragstellung befassen muss.

Die Forschenden sind eigentlich in ständigem Austausch mit den Tierschutzbeauftragten, aber auch mit den Tierpflegerinnen und Tierpflegern.
Daberkow um 1989
Nadja Daberkow-Nitsche Tierschutzbeauftragte am MDC

Mit welchen Fragen wenden sich Forscher*innen an Sie?

Die Forschenden sind eigentlich in ständigem Austausch mit den Tierschutzbeauftragten, aber auch mit den Tierpflegerinnen und Tierpflegern. Wenn zum Beispiel ein Tier im Versuch krank wird – und das kann passieren – dann ist es wichtig, dass wir das begleiten. Wir überlegen gemeinsam mit dem Tierpflegepersonal und den Forschenden: Kann das Tier im Versuch bleiben? Behandeln wir es, oder muss es vorzeitig ausscheiden? Auch Fragen, die das Tierhaus, die Unterbringung, Zucht oder die Beantragung von Tierversuchen beim Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) betreffen, beantworten wir. Als Tierschutzbeauftragte möchten wir unsere Hauptfunktion wahrnehmen: als Mittelnde zwischen Behörde und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern fungieren, das Wohl der Tiere überwachen und sicherstellen, dass es am MDC keine Verstöße gegen das Tierschutzgesetz gibt.

Wie wichtig ist es für diese Aufgabe, die wissenschaftlichen Fragestellungen der Arbeitsgruppen zu verstehen?

Für uns ist es wichtig, die Idee zu verstehen, allerdings nicht bis ins kleinste Detail. Wir müssen wissen, was das Forschungsteam praktisch mit dem Tier tut. Mit den Methoden kennen wir uns aus, das ist absolut unsere Aufgabe! Wir geben mit dem Antrag eine Stellungnahme bei der Behörde ab, wie wir die Entwicklung des Projektes und die Belastung für die Tiere einschätzen, und ob die Forschenden die Methoden bestmöglich gewählt haben. Deshalb ist es absolut essenziell, dass wir den Fokus der Forschungsgruppe verstehen.

Inwieweit sind Sie in die Antragstellung für Tierversuche involviert?

Wir beraten. Die Anträge stellen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Vor der Antragstellung ist es wichtig, dass die Forschenden schon früh mit ihrem Projekt an uns herantreten und es zusammen mit uns durchgehen. So wird die Idee nochmal konkretisiert, und wir achten darauf, dass der Tierschutz dabei immer beachtet wird und den gleichen hohen Stellenwert hat. Im Verlauf des Tierversuchs stellen wir sicher, dass genau das eingehalten wird, was genehmigt wurde. Die Experimente dürfen beispielsweise nicht länger dauern als im Antrag steht oder mit einem einzelnen Tier mehr als genehmigt stattfinden.

Worauf achten Sie bei der Erstellung eines Antrages besonders?

Wir Tierschutzbeauftragte gehen intensiv auf die Anzahl der Tiere ein. Wir sprechen auch darüber, ob die Methoden geeignet und im Konsens mit dem Tierschutzgesetz stehen und ob sie die schonendsten sind. Wir orientieren uns immer an den 3R-Prinzipien. 3R bedeutet : Replace, Reduce, Refine oder, auf Deutsch, Ersetzen, Verringern, Verbessern. Wir fragen: Gibt es Alternativmethoden? Kann man sie zwischen- oder vorschalten? Wie viele Tiere sind nötig, und wie lange belasten wir das Tier? Mit welcher Methode? Ist sie invasiv? Wir streben die kürzeste und geringstmögliche Belastung an, um dem Tier Leiden und Schäden zu ersparen. Dazu gehört, jeweils die schonendste Versuchsmethode zu wählen und Schmerzen konsequent zu behandeln. Trotzdem muss der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn gewährleistet sein. Eines möchte ich im Sinne von 3R besonders betonen, das am MDC gut etabliert ist: Die Forschenden machen sehr intensive Vorarbeiten, die in vitro oder in silico stattfinden, also in Zellkulturen oder im Computermodell, bevor sie den Weg in den Tierversuch gehen.

Wir orientieren uns immer an den 3R-Prinzipien , das Prinzip steht für Replace, Reduce, Refine.
Daberkow um 1989
Nadja Daberkow-Nitsche Tierschutzbeauftragte am MDC

Wie lange dauert es, bis ein Antrag genehmigt wird?

Nach der Erstberatung und dem ersten Antragsentwurf, den ein Forscher oder eine Forscherin bei uns eingereicht hat, gibt es ein oder zwei Rückläufe. In der Regel dauert das schon mal zwei bis vier Wochen, bis alle Nachfragen beantwortet und Ergänzungen eingearbeitet sind. Dann schauen wir final drüber und reichen den Antrag bei der Berliner Behörde ein. Das LAGeSo hat in der Regel 40 bis 55 Arbeitstage Zeit, um den Genehmigungsantrag zu bearbeiten. In dieser Zeit stellt die Behörde Fragen an die Forschenden. Wir setzen uns dann nochmals mit den Verantwortlichen zusammen und beantworten Nachfragen. Die Antworten reichen wir an die Behörde weiter, damit der Antrag hoffentlich nach nur einmaliger Runde genehmigt wird. Was sehr selten ist. Mit drei bis vier Monaten muss man im günstigsten Fall insgesamt schon rechnen.

Was muss ein Forschungsteam beachten, wenn es seinen Antrag stellt?

Meine Empfehlung an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist immer: Schreibt es so, dass ein biologisch interessierter Abiturient den Antrag verstehen würde. Das ist das, was die Anträge fit für die Genehmigung macht. Manchen Forschenden fällt es schwer, die Ideen von den molekularen Vorgängen, die ganz tief in der Zelle stattfinden, allgemeinverständlich zu erklären. Sie müssen auf ein allgemeinverständliches Sprachlevel herunterbrechen. Denn hinter der Behörde steht immer die Tierversuchskommission, die den Antrag mitbeurteilt – ein Gremium mit vielen verschiedenen Mitgliedern. Dort sitzen Vertreter*innen aus Tierschutzorganisationen und Tierethiker*innen und Tierrechtler*innen, also meist gebildete Laien. Diese Kommission tagt alle 14 Tage, die Treffen sind sehr arbeitsintensiv mit etwa zehn Anträgen pro Sitzung, die oft 60 Seiten lang und hochspeziell sind und aus unterschiedlichen Fachbereichen stammen. Ein ganz schöner Batzen an Arbeit. Wenn viele Nachfragen kommen, weil das Gremium den Antrag nicht versteht, kann das die Arbeit der Forschenden sehr verzögern. Daher ist es gut, Anträge möglichst verständlich zu formulieren.

Die Fragen stellte Christina Anders.

 

Weiterführende Informationen

Die 3R-Regel

 

Die "3R-Regel“ steht für “reduce, refine, replace” – zu Deutsch: reduzieren, verbessern, ersetzen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind stets bemüht, aus möglichst wenigen Experimenten das Maximum an Erkenntnis zu gewinnen (reduce & refine), das Leiden von Tieren auf ein Minimum zu beschränken (refine) oder die gesuchten Erkenntnisse ohne Tierexperimente zu gewinnen (replace).

Weitere Informationen

 

Kontakte

Nadja Daberkow-Nitsche
Abteilungsleiterin, Tierhausleiterin und Tierschutzbeauftragte am MDC

Nadja.Daberkow-Nitsche@mdc-berlin.de