BBAW Gebäude bei Nacht

Am Kreis des Lebens drehen

Eingriffe in den menschlichen Körper können unser Leben verlängern. Aber wo ziehen wir Grenzen? Um Fragen wie diese ging es beim Salon Sophie Charlotte „Still, Life is Life“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Das MDC war dabei.

Sänger*innen des Chors cantamus.berlin

Die Rotunde in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) am Gendarmenmarkt füllt sich mit Klang. Sänger*innen des Chors cantamus.berlin haben sich im dritten Stock um das kreisrunde Geländer im Treppenhaus versammelt, ein Werk der Komponistin Andrea Tarrodi erklingt. In den Etagen darüber und darunter lauschen Besucher*innen des Salons Sophie Charlotte den Tönen. Als der Chor sich singend entfernt, löst sich der Kreis aus Klang langsam auf. Darbietungen wie diese zeichnen den jährlich stattfindenden Salon Sophie Charlotte der BBAW aus, der jeweils einen Schwerpunkt vielfältig reflektiert: vor allem aus wissenschaftlicher, aber eben auch aus künstlerischer Perspektive. Ein Kreis aus Klang, für einige Minuten zusammengefügt und wieder zerfallen, zeigt die Schönheit, Einzigartigkeit und zeitliche Begrenztheit des Lebens.

„Für immer jung – für immer gesund?“ lautete die Frage, die die Besucher*innen an diesem Abend in jenem Raum des Salons umkreisten, dessen Gastgeber das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) war. Zwei Frauen stellten dort ihre Arbeiten vor, die eine Künstlerin, die andere Wissenschaftlerin und Ärztin. Das Team von Professorin Simone Spuler am Experimental and Clinical Research Center von Charité und MDC bringt die Genschere CRISPR als Boten-RNA in defekte Muskelzellen ein, die sie zuvor Patient*innen entnommen haben. Nachdem die Genschere die Zellen repariert hat, will das Team diese in einer ersten klinischen Studie den Patient*innen zurückinjizieren. Etwa 50 schwere Muskeldystrophien gibt es, sie sind bislang nicht heilbar. „Die CRISPR/Cas9-Technologie bietet Hoffnung für viele Patient*innen, die an diesen furchtbaren Krankheiten leiden“, sagte Simone Spuler.

In der Diskussion ging es vor allem um Ethik

Die Arbeit mit der Genschere, das machte die Wissenschaftlerin und Ärztin klar, ist zwar ein Eingriff ins Erbgut. Dabei werde jedoch sorgfältig geprüft, dass er keine unerwünschten Nebeneffekte mit sich bringt. Die Technologie birgt große Chancen: Etwa 7.000 Krankheiten, berichtete die Forscherin, sind monogenetisch, gehen also auf einen einzigen Fehler in der Erbinformation zurück. Bislang sind nur 500 von ihnen behandelbar. Die CRISPR/Cas9-Technologie aber macht es grundsätzlich möglich, die zugrundeliegenden Defekte zu reparieren.

Bei der anschließenden Diskussion erfragten die Gäste nicht nur die genauere Funktionsweise der CRISPR/Cas-Technologie. Vor allem ging es um Ethik. Ob man genetisch bedingte Krankheiten wie Muskeldystrophien nicht schon während der Schwangerschaft feststellen könne, wollte eine Zuhörerin wissen. Ja, das könne man – sie sei aber strikt gegen Eingriffe vor der Geburt, betonte Simone Spuler: „Das ist ein Bereich, den wir nicht antasten sollten.“ Bislang sind die Möglichkeiten solcher Gentherapien ohnehin begrenzt. So ist es weder möglich, alle betroffenen Zellen im Körper anzusteuern und zu heilen, noch lassen sich Erkrankungen behandeln, denen eine Kombination mehrerer Gendefekte zugrunde liegen. „Solche Krankheiten werden uns noch lange ein Rätsel bleiben“, sagte Simone Spuler.

Das Spannungsfeld zwischen dem, was die Forschung möglich macht und was wünschenswert ist, nimmt Emilia Tikka in den Blick. Die finnische Künstlerin war 2018 als Artist in Residence zu Gast am MDC und setzte sich dort kritisch mit den Möglichkeiten des Human Enhancements auseinander – also der Verbesserung des gesunden menschlichen Körpers. „Ich wollte das Poetische, das Unbekannte in der Wissenschaft herausarbeiten“, berichtete sie beim Salon. Konkret beschäftigte sie die Frage, was eigentlich passieren könnte, wenn Menschen mithilfe der Biomedizin am Alterungsprozess drehen können.

Die Geschichte eines Paares

ÆON. Ein Foto aus dem Kunstwerk

Was wäre, wenn eine lebensverlängernde Technologie zum Konsumprodukt würde? Emilia Tikka erdachte einen Inhalator, mit dem man jung haltende Substanzen einatmet. So schuf sie die Geschichte eines Paares, dessen einer Teil sich fürs körperliche Altern, der andere dagegen entschieden hat. Eine Fotoserie mit Bildern des juvenilen Mannes und der gealterten Frau lief hinter dem ausgestellten Inhalator in Endlosschleife über eine Wand im MDC-Salon. Eines der Bilder zeigt, wie der Mann die Frau zärtlich im Gesicht berührt, dabei Handschuhe aus Kunststoff und Maske trägt. Er ist jung geblieben, aber sein Körper ist dennoch gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt und nicht unsterblich. „Die Idee einer pandemischen Bedrohung schien 2018 weit hergeholt zu sein, und viele fanden diese Vision damals überzogen. Inzwischen hat die Realität meine Spekulationen leider eingeholt“, sagte Emilia Tikka. Ob sie selbst den Inhalator nutzen würde, gäbe es ihn? Sie wisse es nicht, sagte die Künstlerin.

Am späten Abend leert sich der Raum. Simone Spuler begleitet eine Gruppe von vier Männern hinaus, es sind drei junge Studenten und ein älterer Herr. „Er war früher Botschafter und schreibt an einem Buch, das sich mit Gentherapien auseinandersetzt. Die drei Erstsemester studieren Medizin. Alle vier wollen mich in meinem Labor besuchen, der Autor möchte eine Zeitlang mitarbeiten. Ich finde das großartig“, sagt die MDC-Forscherin. Offene Fragen, das hat dieser Abend gezeigt, gibt es genug.

Text: Wiebke Peters

 

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