Markus Landthaler

Der RNA-Profiler

Damit menschliche Zellen ihren genetischen Bauplan umsetzen können, brauchen sie RNA-bindende Proteine. Markus Landthaler beobachtet diese Eiweiße, während sie mit der RNA interagieren – um ihre Wirkweise zu verstehen und nutzbar zu machen.

Wenn genetische Prozesse doch bloß nicht so unscheinbar wären. Dann würden mehr Menschen ihre Bedeutung für das Lebens verstehen. Professor Markus Landthaler hält ein Reaktionsgefäß zwischen Daumen und Zeigefinger. Es ist mit einer durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt. „Vieles, was wir tun, spielt sich in solchen Plastikröhrchen ab“, sagt er und stellt es zurück in seine Halterung. In der Lösung befinden sich RNA-bindende Proteine, die innerhalb der Zelle mit der Ribonukleinsäure (RNA) in Wechselwirkung treten. Die unscheinbaren Eiweiße sind essenziell für die Neubildung lebenswichtiger Proteine nach genetischen Vorgaben – die Genexpression.

In einem Nebenraum des Labors kümmert sich eine Mitarbeiterin um menschliche Leberzellen, die in einer Petrischale heranwachsen. Permanent vermehrt Landthaler mit seinem Team unterschiedliche Typen menschlicher Zellen, überführt sie in Reaktionsgefäße, isoliert die RNA-bindenden Proteine darin und analysiert und beeinflusst sie mit biochemischen Methoden. „Wir beobachten, was RNA-bindende Proteine in Zellen genau tun, mit wem sie im Austausch stehen und welche Rolle für die Funktion von Zellen sie spielen, auch bei Krankheiten.“ Ob ein einzelner dieser begabten Proteintypen während der Genexpression seine Aufgaben einwandfrei ausführt oder nicht, kann darüber entscheiden, ob sich Viren wie Dengue oder SARS-CoV-2 in unserem Körper vervielfältigen können.

Forschungsreisender, Puzzler und Handwerker

Markus Landthaler

Markus Landthaler, der am Berliner Institut für Medizinische Systembiologie des Max-Delbrück-Centrums (MDC) die Arbeitsgruppe „RNA-Biologie und Posttranskriptionale Regulation“ leitet, ist Grundlagenforscher aus tiefster Überzeugung. Er ist ein Forschungsreisender in der Welt der Genexpression, die bisher niemand in ihrer ganzen Komplexität verstanden hat. Er ist ein Puzzler, will die kleinsten Steinchen genetischer Regulation zusammensetzen. Und er ist ein Handwerker, der Methoden entwickelt, um diese Steinchen aufzuspüren und zu verstehen.

Die Prozesse der Genexpression kann man sich als fein aufeinander abgestimmte Rädchen einer Maschine vorstellen. Eine Maschine, die fortwährend Proteine herstellt – und damit Leben. Die Produktion beginnt, wenn aus dem Erbgut einzelne Abschnitte von Genen abgelesen und in Ribonukleinsäure (RNA) umgeschrieben werden. Dieser Vorgang nennt sich Transkription. Landthaler betrachtet vor allem die Vorgänge danach. „Die RNA entwickelt dann quasi ein Eigenleben und interagiert mit RNA-bindenden Proteinen“, sagt er. Bei der Translation außerhalb des Zellkerns, im umgebenden Zytoplasma, dient die RNA – jetzt in Form von Boten-RNA (mRNA) – den Ribosomen als Bauplan für den Aufbau von Proteinen aus Aminosäuren. Landthalers Schützlinge, die RNA-bindenden Proteine, sorgen dafür, dass die mRNA aus dem Zellkern transportiert wird, zum Ribosom gelotst, sich stabilisiert und wieder abgebaut werden kann, wenn sie nicht mehr vonnöten ist. „Der ganze Lebenszyklus der mRNA ist davon bestimmt, mit welchen dieser Proteine sie sich umgibt“, sagt Landthaler.

Bakteriophagen-RNA als Initialzünder

Es war sein erstes großes Experiment, das Landthaler vom Fleck weg für RNA und die sie umgebenden Prozesse begeisterte. Während des Biologiestudiums an der Universität Würzburg hatte er sich erst noch für die Verhaltensbiologie interessiert. „Aber mir war nie geheuer, dass man Ameisen nicht so manipulieren kann wie Nukleinsäure“, sagt er. Also stieg er in die Molekularbiologie ein, deren Mechanismen wie Puzzlesteine ineinandergreifen. Während eines Auslandsstudiums an der State University New York isolierte er RNA von Bakterien, die mit speziellen Viren – den Phagen – infiziert wurden. Und er suchte dort nach RNA Abschnitten (Introns), die sich selbst entfernen können. „Das war der Initialzünder für mich, danach konnte ich mich von den RNAs nie mehr wirklich losreißen.“

2003 ging er an die Rockefeller University in New York, wo der Molekularbiologe Professor Thomas Tuschl gerade dabei war, RNA-Interferenzen zu beschreiben. Sie tragen dazu bei, dass mRNAs zerschnitten und ausgeschaltet werden können. Als Postdoc entwickelten Landthaler und sein Kollege Markus Hafner eine Methode, mit der man aufs Nukleotid genau bestimmen kann, wo RNA-bindende Proteine auf der RNA andocken: PAR-CLIP. „Damit konnten wir erstmals das Wechselspiel aller RNA-bindenden Proteine mit den RNAs in einer Zelle hochauflösend kartieren“, sagt Landthaler. „Es gelang uns auch, die Proteine gezielt abzuschalten und zu schauen, was mit der RNA passiert – wird sie stabilisiert, vermehrt hergestellt oder beschleunigt abgebaut?“

Als Landthaler 2009 nach Berlin ans MDC kommt, sind an die 700 Proteine bekannt, die mit der RNA kommunizieren. Bis 2012 entdeckt sein Team weitere 250. „Heute kennen wir ungefähr 1800 RNA-bindende Proteine, die im menschlichen Genom kodiert sind. Sie steuern eine Vielzahl von regulatorischen Mechanismen“, sagt Landthaler. „Von einem Drittel wissen wir bereits, wo sie an die RNA binden und was ihre Aufgaben sind.“

Markus Landthaler

Neben der Molekularbiologie treten nun biologische und angewandte Fragestellungen stärker in sein Blickfeld. Landthaler will herauszufinden, welche RNA-bindenden Proteine etwa bei der Reparatur von DNA-Schäden nach einer Bestrahlung eine Rolle spielen oder bei der Fortpflanzung von Herpes-simplex-Viren in menschlichen Zellen.

Wie reagieren einzelne Zellen auf eine Infektion?

Gemeinsam mit Professor Nikolaus Rajewsky gelingt es ihm 2016 mittels Einzellzell-Sequenzierung, mehr als 12.000 menschliche Zellen während einer Herpes-Infektion zu beobachten. „Wir entdeckten eine Gruppe von Zellen, in denen das Virus sich nicht vervielfältigen kann“, sagt Landthaler. Sie erkannten, dass ein Transkriptionsfaktor namens NRF2, welches bei Zellstress aktiviert wird, die Vermehrung der Viren in diesen Zellen unterbindet. „Die Einzelzell-Sequenzierung bringt uns große Schritte voran“, sagt Landthaler. „Wir können erstmals sehen, wie unterschiedlich Tausende von einzelnen Zellen auf eine Virusinfektion reagieren und wie sich das Virus in ihnen entwickelt.“   

Das gilt auch für SARS-CoV-2, das Ende 2019 die Pandemie auslöst. Als Leiter einer Taskforce koordiniert er die Forschung zum neuen Coronavirus am MDC und erhält von Christian Drosten SARS-CoV-2 infizierte Zellen aus der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Mit Hilfe der Einzelzellsequenzierung finden sie etwa ein Protein, HSP90, das den Viren hilft. „Wir haben daraufhin HSP90-Inhibitoren in die Zellkultur gegeben und gesehen, dass sich SARS-CoV-2 deutlich weniger vermehren konnte“, sagt Landthaler. Sie fanden auch heraus, dass diese Hemmstoffe die angeborene Immunabwehr blockieren und zugleich entzündungshemmend wirken. „Wenn wir solche Inhibitoren im Tierversuch genau zur rechten Zeit geben, können wir damit die Entzündung der Lunge abmildern.“ Im Helmholtz-Konsortium CoViPa treibt Landthalers Team diese Forschung nun weiter voran. Vielleicht könnte es ein Therapiebaustein gegen COVID-19 werden.

So schlau sein wie die Biologie selbst

Doch nach wie vor ist es das große Puzzle der Grundlagenforschung, das Landthaler am meisten reizt. Neue Methoden erlauben ihm, noch kleinere Steinchen anzuschauen als bisher, etwa Proteine, die in einzelnen Zellkompartimenten wie dem endoplasmatischen Retikulum aktiv sind, in dem ein Teil der mRNA in Proteine übersetzt wird. Dort untersucht Landthaler etwa das Wechselspiel des Proteins HDLBP mit mRNA. „Wir haben entdeckt, dass HDLBP die Proteinproduktion steigern kann“, sagt Landthaler. „Der Mechanismus dahinter ist uns noch nicht ganz klar, aber ich werde nicht aufgeben, bevor ich ihn verstanden habe.“ Schon jetzt zeichnet sich aber auch ein Nutzen von HDLBP für eine effizientere Produktion therapeutischer Proteine ab.

Darin liegt für mich der ganze Reiz meiner Forschung, mich immer komplexeren Fragen zu widmen, Hypothesen aufzustellen und zu versuchen so schlau zu sein, wie die Biologie selbst.
Markus Landthaler
Markus Landthaler

Landthaler erwartet noch viele Erkenntnisse auf dem Feld der RNA und der an sie bindenden Proteine. Erst nach und nach nimmt die Forschung etwa die Vielfalt der anderen RNA-Klassen wie tRNA oder snoRNA gründlicher in den Blick und realisiert, dass nicht alle Zellen immer das gleiche RNA-Profil haben, schon gar nicht in allen Phasen ihres Lebens. Er will auch mathematische Modelle nutzen, um vorherzusagen, wie viele Proteine unter dem Einfluss bestimmter RNA-bindender Proteine in Zellen produziert werden. Krankhafte Veränderungen der Genexpression könnten so besser verstanden und vielleicht sogar rückgängig gemacht werden. „Darin liegt für mich der ganze Reiz meiner Forschung, mich immer komplexeren Fragen zu widmen, Hypothesen aufzustellen und zu versuchen so schlau zu sein, wie die Biologie selbst“, sagt er. „Und dabei manchmal Recht zu behalten.“

Text: Mirco Lomoth

 

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