MDC-Alumna Henriette Uhlenhaut: „In der Gesundheitsforschung etwas bewegen“

Nina Henriette Uhlenhaut ist viel herumgekommen. Braunschweig, Atlanta (USA), Heidelberg, La Jolla (USA), Berlin und jetzt München – das sind die Stationen der weitgereisten Biotechnologin. Auch Uhlenhauts Forschung ist in der Zeit weit vorangekommen: Von der Molekularbiologie der Pflanzen über die Regulation von Genen für die Geschlechtsausprägung bei Säugetieren bis hin zu Hormonrezeptoren beim Menschen.

Die Erkenntnisse der Wissenschaftlerin könnten in Zukunft helfen, die schweren Nebenwirkungen von entzündungshemmenden Medikamenten wie Cortison zu vermeiden. Dafür wurde Uhlenhaut jetzt mit dem Friedmund-Neumann-Preis 2015 der Schering Stiftung ausgezeichnet, der am 28. September in Berlin verliehen wird.

Viele wichtige Ergebnisse hat Uhlenhaut, die mittlerweile ihre eigene unabhängige Emmy-Noether-Gruppe „Molekulare Endokrinologie“ am Institut für Diabetes und Adipositas am Helmholtz-Zentrum in München leitet, während ihres dreijährigen Aufenthaltes als Postdoc am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin gewonnen. Nach Berlin ans MDC war die Biologin im Jahr 2010 gewechselt. Ein Fellowship der European Molecular Biology Organization (EMBO) ermöglichte ihr damals den Sprung zurück vom US-amerikanischen Salk Institute in La Jolla nach Europa. Die Gründe dafür waren sowohl persönlicher Natur – ihr Mann hatte eine Arbeitsstelle in Berlin – als auch beruflich: Das Genomzentrum des MDC bot der ambitionierten Molekularbiologin mit seinen neuesten Technologien alles, was sie für ihre Forschung brauchte.

Dr. Nina Henriette Uhlenhaut. Foto: Melanie Wehnert, Fotostudio Lux Berlin

Mit der von Norbert Hübner am MDC geleiteten Arbeitsgruppe „Experimentelle Genetik der Herz-Kreislauferkrankungen“ fand Uhlenhaut zudem genau die richtige Umgebung. „Ich wollte meine genomweite Forschung mit krankheitsrelevanten Vorgängen verknüpfen“, sagt die Biotechnologin. Aus diesem Grund hatte sie schon am Salk Institute begonnen, sich der Molekularbiologie von Hormonrezeptoren zuzuwenden, insbesondere der Wirkungsweise von Entzündungshemmern wie Cortison. Diese Steroidhormone binden an die Rezeptoren in unserem Körper, bevor sie ihre Wirkung entfalten können. Sie werden bei einer Vielzahl von Erkrankungen verabreicht, von Allergien, Asthma und Rheuma über Multiple Sklerose bis hin zu einigen Krebsarten. „Etwa ein Prozent der westlichen Bevölkerung nimmt ein Steroidhormon aus der Gruppe der sogenannten Glucocorticoide“, erläutert Uhlenhaut die Bedeutung der Medikamentengruppe, zu der Cortison gehört.

Doch die Steroidhormone haben zum Teil drastische Nebenwirkungen, wie Gewichtszunahme, Knochen- und Muskelschwund sowie manchmal sogar Diabetes. Uhlenhaut hofft, dass die Aufdeckung der zugrundeliegenden molekularen Mechanismen zukünftig dazu beitragen könnte, diese Nebenwirkungen zu reduzieren oder zu vermeiden. Einen entscheidenden Schritt in diese Richtung hat die Biotechnologin schon mit ihren Erkenntnissen zu den sogenannten Glukokortikoid-Rezeptoren getan. Diese befinden sich in nahezu allen menschlichen Körperzellen und spielen eine wichtige Rolle bei der Regulierung vieler Stoffwechselvorgänge. Unter anderem binden sie auch das Cortison – ein Derivat des körpereigenen Homons Cortisol – und hemmen so Gene, die an entzündlichen Vorgängen beteiligt sind.

Uhlenhaut konnte erstmals zeigen, dass der Glukokortikoid-Rezeptor nach Bindung des Cortisons direkt an die DNA andockt; und zwar immer an derselben Sequenz. Offenbar befindet sich diese DNA-Sequenz sowohl vor den Entzündungsgenen als auch vor einer Reihe anderer Stoffwechselgene, die, derart angeschaltet, zu den Nebenwirkungen des Cortisons führen. Ein Paradoxon: Der Glukokortikoid-Rezeptor agiert demnach gleichzeitig inaktivierend und aktivierend, er schaltet Entzündungsgene auf dieselbe Weise aus wie er Krankheitsgene anschaltet.

„Das ist zunächst einmal natürlich schlecht für die Medikamentenentwicklung“, sagt Uhlenhaut. Aber die Biotechnologin ist keine Person, die schnell aufgibt. Sie und ihre Kollegen nehmen an, dass weitere, bislang unbekannte regulatorische Proteine oder DNA-Sequenzen eine Rolle bei der Genregulation durch die Hormonrezeptoren spielen. Mit den sogenannten Next-Generation-Sequenzierungstechnologien will Uhlenhaut nun das gesamte Genom des Modellorganismus Maus sowie das menschlicher Zellen danach durchforsten.

Zu diesen Themen arbeitet Uhlenhaut weiterhin mit der Gruppe von Norbert Hübner am MDC zusammen. Die Molekularbiologin, die für ihre Forschung gerade 1,5 Millionen Euro Förderung vom Europäischen Forschungsrat erhalten hat, hofft, dass ihre Erkenntnisse zum Glukokortikoid-Rezeptor zukünftig helfen könnten, neue Therapieansätze für Diabetes oder andere Erkrankungen zu finden. Letztlich ist der Hormonrezeptor nämlich nicht nur an der Entzündungshemmung beteiligt, sondern er reguliert auch wichtige Vorgänge im Zucker- und Fettstoffwechsel.

Die Faszination für die Genetik zieht sich wie ein roter Faden durch die Karriere der heute 38-jährigen Forscherin. In den 90er Jahren begann Uhlenhaut das Studium der Biotechnologie an der TU ihrer Heimatstadt Braunschweig. Schon damals zog es die junge Studentin in die weite Welt, doch der Studiengang war sehr neu und wurde nur in wenigen Städten angeboten. Allerdings gab es einen Austausch mit der Georgia Tech im US-amerikanischen Atlanta, an dem Uhlenhaut teilnehmen konnte. Die angehende Biotechnologin war ehrgeizig und machte ihren Master of Science während ihres Auslandsjahres in Atlanta „nebenher“ – nur, um kurz darauf für ihre Diplomarbeit an das Salk Insitute im kalifornischen La Jolla zu gehen. Das war nicht nur geographisch ein großer Sprung, sondern auch akademisch: Von einer eher durchschnittlichen Universität wechselte Uhlenhaut an ein weltweit führendes Forschungsinstitut.

Das war zu einer Zeit, als die Sequenzierung der gesamten DNA eines Lebewesens noch in den Kinderschuhen steckte. Das Erbgut des Modellorganismus Maus war noch nicht entziffert, weshalb sich Uhlenhaut, die von der Analyse ganzer Genome fasziniert war, in Kalifornien zunächst der Molekularbiologie der Pflanzen zuwandte, wo dies schon möglich war.

Nach der Diplomarbeit zog es Uhlenhaut erneut zurück zu der Forschung an Säugetieren und nach Deutschland. In ihrer Doktorarbeit am European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg wandte sie sich einem Gen zu, das den Grundstein für ihre spätere Forschung legen sollte: Foxl2. Dieses Gen muss bei Mäuseweibchen ständig männliche Gene unterdrücken, damit sich keine männlichen Merkmale ausbilden, entdeckte Uhlenhaut unter der Leitung ihres Doktorvaters Mathias Treier, der seitdem vom EMBL an das MDC gewechselt ist. Diese Hemmung, die auch beim Menschen eine wichtige Rolle spielt, erfolgt durch die Bindung des genregulierenden Foxl2-Proteins an einen Hormonrezeptor, und zwar an den Östrogenrezeptor. Uhlenhaut faszinierte dabei vor allem die Frage, wie genau die Hormonrezeptoren Gene ausschalten.

 

Sie sind ganz offensichtlich in Bayern angekommen:  Henriette Uhlenhaut und ihre Familie. Foto: Theresa Meyer

Eine weltweite Koryphäe für Hormonrezeptoren ist Ronald Evans am Salk Institute in Kalifornien, an das Uhlenhaut daher 2008 als Postdoc noch einmal zurückkehrte, bevor sie dann nach Berlin ging. „In den USA wird einfach Spitzenforschung betrieben“, sagt sie. Das viele Umziehen, vor allem auch ins US-amerikanische Ausland, kennen wohl viele Wissenschaftler. „Das wird einfach erwartet, bietet aber auch immer wieder neue Möglichkeiten“, sagt Uhlenhaut. Die Institute der Helmholtz-Gemeinschaft, zu denen sowohl Uhlenhauts Berliner als auch ihr Münchener Arbeitsplatz gehören, stünden allerdings den US-amerikanischen in nichts nach. Auch hier werde exzellente und international wettbewerbsfähige Forschung betrieben, betont Uhlenhaut.

Es gibt noch etwas, was der Molekularbiologin am Herzen liegt: Sie möchte nicht nur Entscheidendes zur Gesundheitsforschung beitragen, sondern auch ein Vorbild für Frauen sein, die in die Wissenschaft gehen wollen. Sie möchte vorleben, dass eine Karriere als Wissenschaftlerin nicht einen Verzicht auf Familie bedeuten muss: 2012 wurden ihre Zwillinge geboren, kurz danach, 2013, wurde sie Leiterin der eigenen Forschungsgruppe. Ihre Freizeit verbringt Uhlenhaut am liebsten mit ihren Kindern auf dem Spielplatz oder in der Natur. Wegen der Familie möchte Uhlenhaut zumindest örtlich langsam ein wenig zur Ruhe kommen und in Deutschland bleiben. In der Wissenschaft dagegen will sie noch viel bewegen.

 

Pressemitteilung des MDC anlässlich der Verleihung des Friedmund Neumann Preises 2015.

 


Beitragsbild: Nina Henriette Uhlenhaut hat einen Karriereweg mit vielen Stationen hinter sich. Hier ist sie in ihrer Berliner Zeit - ihr Umzug von Berlin nach München hatte nichts damit zu tun, dass München schönere Seen in der Umgebung hat. Foto: privat