Talente für die zellbasierte Medizin
Manch einer kennt Knickbilder noch aus der Kindheit: etwa eine Fledermaus in Stiefeln oder ein Fisch mit Krallenfüßen, die nicht zum untersten Teil seines Körpers passen wollen. Während eines Workshops der „e:med Summer School für einzelzellbasierte Systemmedizin“ sind Fledermaus, Fisch und andere Fantasiewesen mit Bleistift auf Papier entstanden. Sie stammen aus der Feder der 20 Doktorand*innen aus aller Welt, die Anfang Juni nach Berlin gekommen waren. Die Zeichnungen sollen zeigen, wie wichtig fächerübergreifender Austausch ist: Ohne Kommunikation untereinander entsteht versehentlich auch mal eine geflügelte Maus mit sechs Extremitäten.
Um eine wirklich interdisziplinäre Summer School auszurichten, haben die beiden Hauptorganisator*innen, Dr. Chiara Baccin vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) und Dr. Simon Haas vom Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIH), der Charité – Universitätsmedizin und des MDC, eng zusammengearbeitet. Unterstützt wurden sie durch Professor Nikolaus Rajewsky und Professorin Angelika Eggert. Ort des Geschehens war das Berliner Institut für Medizinische Systembiologie (BIMSB) des MDC in Berlin-Mitte. Die fünftägige Veranstaltung wurde gefördert durch das e:med Programm des Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Als eine der ersten überhaupt hat diese Summer School die Einzelzelltechnologien mit der Systemmedizin verbunden. Einzelzelltechnologien ermöglichen Forschenden inzwischen nicht nur einen Schnappschuss der einzelnen Zellen. Sie erlauben, die molekularen Veränderungen einzelner Zellen sowohl in zeitlicher als auch räumlicher Hinsicht zu untersuchen. Einige dieser Veränderungen können zu Krankheiten führen. Trotzdem sind Einzelzellansätze größtenteils noch nicht in klinischen Arbeitsabläufen angekommen, denn neben Ressourcen fehlt beispielsweise oft technisches Know-how, etwa bei der Datenanalyse. Die Summer School will die nächste Generation von Forschenden motivieren, sich fächerübergreifend auszutauschen, um die Anwendung in der Klinik voranzubringen.
Austausch mit renommierten Expert*innen
Neben vielen Expertinnen und Experten, konnten wir 20 inspirierende junge Talente nach Berlin einladen, die sich austauschen und voneinander lernen konnten.
Mehr als 150 Anwärter*innen hatten sich für die Summer School beworben, zwanzig Doktorand*innen aus Kanada, Indien und vielen weiteren Ländern wurden schließlich zugelassen. Zu je einem Drittel kommen sie aus der Biologie, den Datenwissenschaften oder der Medizin. Brücken zwischen diesen Disziplinen zu bauen, um die jungen Talente umfassend für die zellbasierte Medizin auszubilden und Kräfte zu bündeln, war das Ziel der Veranstaltung. Professor Nikolaus Rajewsky, Direktor des BIMSB ist überzeugt: „Nur so kann sich das Potenzial von Einzelzelltechnologien voll entfalten – die Ansätze können uns helfen, Krankheiten deutlich früher zu diagnostizieren, neue Wirkstoffziele zu entdecken und personalisierte Behandlungsentscheidungen zu ermöglichen.“
Eggert fügt hinzu: „Wir bieten den jungen Forschenden in dieser Woche eine Kombination aus Vorträgen, interaktiven Kursen, praktischen Übungen und Podiumsdiskussionen. Alles wird sich um die Frage drehen, wie Einzelzelltechnologien eingesetzt werden können, um die klinische Forschung voranzutreiben.“
Die praktischen Workshops zu Beginn der Woche holten die Studierenden auf ihrem jeweiligen Erfahrungslevel ab. Während „Single cell transcriptome analysis 101“ Grundlagen vermittelte, lernten erfahrenere Teilnehmer*innen fortgeschrittene Multi-Omics-Techniken kennen. Bei den Workshops waren die PhD-Studierenden eingeladen, sich aus ihrer Komfortzone heraus zu begeben. Datenwissenschaftlerin Mireille Ngokingha Tschouto etwa hielt zum ersten Mal in ihrem Leben eine Pipette in der Hand.
Renommierte Wissenschaftler*innen gaben außerdem Einblicke in die Forschungsthemen der Einzelzell-Systemmedizin. Professor Bart De Strooper vom VIB-KU Leuven Center for Brain & Disease Research, leitender Experte in der Erforschung neurodegenerativer Erkrankungen, hielt auf dem Symposium am Donnerstag den Hauptvortrag. Weitere Berliner und internationale Forschende waren an diesem Tag ebenfalls eingeladen. Räumliche Transkription sei DER Weg, um ein Organ zu verstehen, sagte er – und sieht in der Technologie eine große Chance für die Erforschung der molekularen Mechanismen, die zum Ausbruch von Alzheimer bei einem Patienten oder einer Patientin führen.
Wer im Sommer das MDC in Mitte / BIMSB besucht, findet sich fast unweigerlich mindestens einmal auf der Dachterrasse des Forschungsgebäudes wieder. Netzwerken fällt dort oben vielleicht besonders leicht, und so stand das auch für die Doktorand*innen bei Getränken und Barbecue über den Dächern Berlins an. Für Adria Dalmau Gasull war der Austausch mit einer anderen Teilnehmerin, Alina Bollhagen, während der fünf Tage ganz besonders wichtig: Für seine Doktorarbeit im Bereich der Neuropathologie nutzt er ein Data Science Model, das in ihrer Arbeitsgruppe an der Uni Zürich entwickelt wurde.
Für die Organisator*innen war die e:med Summer School ein großer Erfolg. „Neben vielen Expertinnen und Experten, konnten wir 20 inspirierende junge Talente nach Berlin einladen, die sich austauschen und voneinander lernen konnten“, sagt Haas. Baccin ergänzt: „Wir hoffen, dass die fünf Tage für alle Teilnehmer*innen genauso spannend waren wie für uns.“ Eine weitere Summer School soll im nächsten Jahr, ebenfalls am MDC in Mitte / BIMSB stattfinden.
Text: Christina Anders
Weitere Informationen