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Was lesen Sie gerade, Herr Lewin?

Der Neurobiologe Gary Lewin leitet die Arbeitsgruppe Molekulare Physiologie der somatosensorischen Wahrnehmung. Sein Buchtipp führt uns in die Welt des Tudor-Staatsmannes Thomas Cromwell.

Gary Lewin

Ich lese nicht bei weitem nicht genug. Je älter ich werde und seit dem Siegeszug des Internets hat sich meine früher unersättliche Lesegewohnheit verändert. Aber diesen Sommer habe ich kürzlich "Spiegel und Licht" von Hillary Mantel gelesen. Es ist das letzte Buch der Trilogie, die mit dem großartigen "Wolf Hall" beginnt. Sowohl die Autorin als auch die Hauptfigur der Romane, Thomas Cromwell, sind faszinierende Persönlichkeiten. Thomas Cromwell war ein Fleischersohn, der durch seinen eigenen Intellekt und harte Arbeit zum mächtigsten Mann im England der Tudorzeit aufstieg. Er war der wichtigste Minister des psychopathischen Königs Heinrich VIII., der bekanntlich sechs Ehefrauen hatte, von denen er eine tötete. Die Romane untersuchen das Wesen monarchischer Macht und die Art und Weise, wie die Religion benutzt wurde, um alles zu rechtfertigen, einschließlich Plünderung und Mord, alles möglich gemacht durch Thomas Cromwell. Die Romane sind eine wunderbare psychologische Studie dieses komplexen Mannes, der sowohl gute als auch schlechte Motive hatte.

Hillary Mantel ist leider im September dieses Jahres im Alter von 70 Jahren verstorben. Hillary Mantel hat, wie ich, in Sheffield studiert. Was mich an ihr besonders erstaunt, ist die Tatsache, dass sie es schaffte, erstaunliche Prosa zu schreiben, obwohl sie fast ihr ganzes Leben lang an unbehandelbaren chronischen Gebärmutterschmerzen litt (Endometriose, ein sehr häufiges und nicht gut behandeltes Syndrom). Mein Interesse an der Biologie des Schmerzes und meine persönlichen Erfahrungen mit Schmerzen lassen mich rätseln, wie diese Frau mit ihrer Krankheit so viel erreichen konnte. Ich bin mir sicher, dass Hillary Mantel noch mehr wunderbare Romane geschrieben hätte, wenn sie Zugang zu besseren Schmerzmitteln gehabt hätte, als sie derzeit verfügbar sind. Die Entwicklung neuer und besserer Schmerzmittel ist meines Erachtens in greifbarer Nähe. Die Verringerung des Leidens setzt auch Talente frei, um außergewöhnliche Dinge zu tun.    

Hilary Mantel, Spiegel und Licht (Tudor-Trilogie, Band 3)