Zebrafisch

Zierfisch mit Superkräften

In der biomedizinischen Grundlagenforschung spielt der Zebrafisch seit über 50 Jahren eine wichtige Rolle – etwa wenn es um die Ursachen angeborener Herzfehler und Folgen von Herzinfarkten geht. Die Forschenden prüfen dabei immer wieder, wie sie das Tierwohl beachten und besser schützen können.

Wohlige Wärme und monotones Wassergluckern empfangen Besucher*innen beim Betreten des Kellerraums. Hunderte kleine Aquarien stehen hier in Reih und Glied fein säuberlich übereinandergestapelt. Hinter blauen Plastikscheiben gleiten streichholzlange Fische aneinander vorbei. „Das sind unsere Zebrafische, Ausgangspunkt aller Versuche“, sagt Dr. Daniela Panáková, während ihr Blick auf den Süßwasserfischen ruht. Daniela Panáková leitet am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) die Arbeitsgruppe „Elektrochemische Signalübertragung in der Entwicklung und bei Krankheiten“. Sie, ihr Team und die Tierpfleger*innen verbringen viel Zeit in diesem Raum. „Bereits während der ersten morgendlichen Fütterung werden die Tiere aller Aquarien einer Sichtkontrolle unterzogen, um Veränderungen der Schuppenstruktur oder des Schwimmverhaltens zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu entdecken. Beides wären Zeichen dafür, dass es den Fischen nicht gut geht“, erläutert die Forscherin.

Daniela Panáková nutzt das große Potenzial des Zebrafischs als Versuchstier. Das Tierwohl hat sie dabei immer im Blick.

Dass sie einmal mit Zebrafischen arbeiten wollte, wusste die MDC-Wissenschaftlerin bereits während ihrer Promotion. Auf die Frage, warum sie sich auf die Erforschung von angeborenen Herzfehlern und Herzkreislauferkrankungen spezialisiert hat, sagt Panáková lachend: „Das Herz ist das A und O des Lebens“. Dann erzählt die Entwicklungsbiologin begeistert von der wissenschaftlichen Tradition und erklärt, warum Zebrafische als Versuchstiere in der Herzkreislaufforschung besonders wertvoll sind.

Ein Zierfisch auf dem Vormarsch

Bereits 1934 beschrieb Charles Creaser die technischen Voraussetzungen, wie die Eier der Fische mit dem lateinischen Namen Danio rerio jahreszeitenunabhängig für entwicklungsbiologische Experimente eingesetzt werden können. 40 Jahre später sorgte der Biologe George Streisinger für das Revival des Zebrafischs in der biomedizinischen Grundlagenforschung. Ein Besitzer einer Zoohandlung soll auf Streisingers Frage, welches ein gut zu untersuchendes Wirbeltier sei, lediglich mit einem Fingerzeig auf das Aquarium mit Zebrafischen geantwortet haben. Eine nachhaltige Begegnung.

Heute arbeiten weltweit mehr als tausend Forschungslabore mit dem Schwarmfisch. In die Zoohandlung muss dafür heute kein*e Wissenschaftler*in mehr gehen. Das Europäische Zebrafisch-Ressourcenzentrum (EZRC) am Karlsruher Institut für Technologie beherbergt als zentrales Archiv sowohl tausende Zebrafischstämme als auch mehr als 80.000 Spermaproben in Gefriertruhen. Die ursprünglich im Ganges in Pakistan, Nordindien und Bangladesch beheimateten gestreiften winzigen Bärblinge werden am EZRC gezüchtet, charakterisiert und verschickt.

Nicht nur in den Genen liegt der Erfolg

Im direkten Vergleich teilen Menschen und Zebrafische über 70 Prozent ihres Genoms. Deswegen lassen sich aus Erkenntnissen über Zebrafische auch Schlüsse zu genetischen Ursachen von Krankheiten beim Menschen ziehen. Ferner schätzen Wissenschaftler*innen seit jeher die günstige und platzsparende Haltung der Tiere. Und sie vermehren sich auch noch sehr schnell. Wöchentlich legen die Weibchen bis zu 500 durchsichtige Eier, die sich vollständig außerhalb des Körpers entwickeln. In der Petrischale kann so von der ersten Zellteilung an die Entwicklung der Organe beobachtet werden.

Blick in den Herzmuskel eines Zebrafisches

Wie beim Menschen ist das Herz das erste funktionale Organ eines Zebrafischembryos. Während der Herzschlag eines menschlichen Babys nach 29 Tagen auf dem Ultraschall erscheint, beginnt das Herz des Zebrafischembryos nach nur 22 Stunden zu kontrahieren. Bis zu ihrem fünften Entwicklungstag können Zebrafischembryonen wegen ihrer geringen Größe den Sauerstoff des Wassers mittels Diffusion über ihre Körperoberfläche aufnehmen. Dies ermöglicht es Forschenden, die Funktion von lebenswichtigen Genen der frühen Herzentwicklung zu untersuchen. Würden diese Gene zum Beispiel im Tierversuch mit Mäusen ausgeschaltet, wäre das Leben der Tiere zu stark beeinträchtigt. Wegen dieser Eigenschaften nutzen Wissenschaftler*innen der biomedizinischen Grundlagenforschung den Zebrafisch, um etwa den Ursachen angeborener Herzfehler auf den Grund zu gehen.

Ein Herz mit Selbstheilungskräften

Die beeindruckenden Selbstheilungskräfte von erwachsenen Zebrafischen sind ein weiterer Grund, warum Biomediziner*innen weltweit auf dieses Versuchstier setzen. Zebrafischen gelingt etwas, was die Menschheit seit Jahrtausenden fasziniert und worauf Patient*innen mit einem Herzinfarkt nur zu hoffen wagen: Selbst wenn ihnen bis zu 20 Prozent des Herzmuskels entfernt werden, regeneriert der Zebrafisch sein Herz innerhalb von 60 Tagen vollständig.

Die Idee, die jahrelangen Erkenntnisse ihres Teams vom embryonalen Herzen auf das Herz des erwachsenen Zebrafisch zu übertragen, hatte Panáková im Jahr 2015. Sie wollte sich auf die Umstrukturierungsprozesse des Herzens nach einem Infarkt fokussieren. Wissenschaftler*innen können diesen im Zebrafisch mit der Kryoablation methodisch nachempfinden. Bei der Kryoablation, einer in den Zebrafisch-Laboren der Welt verbreiteten Methode, wird ein Teil des Fischherzens mit einer eiskalten Kupfersonde gezielt verletzt. Der maximal fünfminütige Eingriff führt dazu, dass Zellen des Fischherzens absterben – wie bei einem Herzinfarkt. Während das menschliche Herz von diesem Infarkt Narben trägt und in seiner Funktion beeinträchtigt ist, heilt das Zebrafischherz vollständig. Daniela Panáková selbst erhoffte sich durch die Kryoablation entscheidende Hinweise darauf, warum der verletzte Herzmuskel der Zebrafische sich erholen kann, um so neue Behandlungsideen für menschliche Herzinfarktpatient*innen entwickeln zu können.

Gemeinsam für das Tierwohl

Wir wollten herausfinden, ob der Einsatz von Schmerzmitteln die Belastung der Tiere nach dem Eingriff verringert und so das Wohlergehen der Tiere verbessert.
Dr. Daniela Panakova
Dr. Daniela Panáková Leiterin der AG "Elektrochemische Signalübertragung in der Entwicklung und bei Krankheiten"

Da sie als erste Berliner Wissenschaftlerin die Methode beim Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin (LAGeSo) beantragte, wandte sie sich an die Tierschutzbeauftragten und Veterinär*innen des MDC. Gemeinsam beschlossen sie, die neusten Einschätzungen zur Belastung des Zebrafisch bei diesem Eingriff zu berücksichtigen. „Wir wollten herausfinden, ob der Einsatz von Schmerzmitteln die Belastung der Tiere nach dem Eingriff verringert und so das Wohlergehen der Tiere verbessert“, erzählt Panáková.

Rückblickend ist sie sich bewusst, dass sie und ihr Team eine besondere wissenschaftliche wie auch kommunikative Herausforderung annahmen. Unter der Berücksichtigung aller Expertisen sollte eine verbesserte Versuchsanleitung entstehen, die zukünftig allen Wissenschaftler*innen als Arbeitsgrundlage dient. Überzeugt, dass das Wohl des Tieres dabei an erster Stelle steht, hat das Team die technischen Möglichkeiten, die wissenschaftliche Datenlage zum Schmerzmitteleinsatz bei Zebrafischen, aber auch potenzielle Auswirkungen auf das Experiment berücksichtigt.

Die Frage nach Schmerz

Mäuse legen als Reaktion auf Schmerz ihre Schnurrhaare an, sie wölben Nase und Backen. Tierpfleger*innen lernen dies in einer gezielten Fortbildung zur Unterscheidung von Schmerz- und Normalzuständen. Ihnen fallen solche Verhaltensveränderungen auf – die Anzeichen von Schmerz und Stress, wie das Schmerzgesicht bei Mäusen, sind definiert. Dass Zebrafische Schmerz und Stress empfinden, ist dagegen erst seit Kurzem zweifelsfrei geklärt. Lange basierte die Datenlage dazu lediglich auf den Erkenntnissen der Speisefischindustrie. Intensive Bemühungen der vergangenen fünf Jahre führten zur Definition von Merkmalen, wie sich Stress und Schmerz bei Zebrafischen ausdrücken. Dennoch bleibt es eine anspruchsvolle Aufgabe für Wissenschaftler*innen, sie zu erkennen und zu bewerten. Denn nur wenige Labore haben die methodischen Voraussetzungen und Expertise, detaillierte verhaltensbiologische Experimente durchführen zu können.

Für die Protagonist*innen des MDC hat sich die intensive Arbeit gelohnt: Die Daten sind als Preprint seit Oktober 2020 auf bioRxiv publiziert. Die Erstautorin Sara Lelek empfiehlt Morphium, um postoperativem Schmerz bei Zebrafischen zu lindern. Die vergleichenden Versuche zeigen zudem, dass Morphium die Regeneration des Herzens nicht beeinflusst. Dem Team ist es gelungen, Fragen nach dem Tierwohl im Kontext biomedizinischer Fragestellungen zu beantworten – eine Vereinigung mit Seltenheitswert.

Internationale Konferenzeinladungen folgten. Andere Wissenschaftler*innen zeigen Interesse an den Daten, sie wollen die Belastung der Zebrafische bei weiteren Methoden durch die Gabe von Schmerzmitteln reduzieren. Auf Grundlage der optimierten Versuchsanleitung konnten Panáková und ihre Kolleg*innen auch belegen, welche Zelltypen im verletzten Zebrafischherz wann eine Rolle spielen, um das vernarbte Infarktgewebe durch neu gebildete Herzmuskelzellen zu ersetzen. Für Daniela Panáková ist all das die beste Motivation weiterzumachen und zur nachhaltigen Gesundheit von Mensch und Tier beizutragen, eine Mission für die ihr Forscherinnenherz schlägt.

Text: Anne Merks

 

Weiterführende Informationen

 

Literatur

Sara Lelek et al. (2020): „Morphine alleviates pain after heart cryoinjury in zebrafish without impeding regeneration“. Biorxiv, DOI: 10.1101/2020.10.01.322560.

Bo Hu et al. (2021): „Cellular drivers of injury response and regeneration in the adult zebrafish heart“. Biorxiv,  DOI: 10.1101/2021.01.07.425670.