Zirkuläre RNA wird in Proteine übersetzt

Zirkuläre RNA können nicht für Proteine kodieren, sagte man bisher. Das stimmt nicht, hat nun ein deutsch-israelisches Team herausgefunden.

Pressemitteilung der Hebräischen Universität Jerusalem und des MDC

Eine israelisch-deutsche Forschungsgruppe unter der Leitung von Prof. Sebastian Kadener von der Hebräischen Universität Jerusalem hat entdeckt, dass zirkuläre RNAs für Proteine kodieren können. Diese Molekül-Art ist in Gehirnzellen besonders aktiv und könnte eine wichtige Rolle bei neuro-degenerativen Erkrankungen spielen.

Bereits vor einigen Jahren haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen neuen Typ RNA-Molekül entdeckt. Dieses Molekül bildet anders als alle bislang bekannten RNAs einen geschlossenen Ring und wurde daher „zirkuläre RNA“ (circRNA) getauft. Diese circRNA-Moleküle sind im Körper allgegenwärtig – insbesondere im Gehirn, wo sie sich im Laufe des Alters ansammeln. Über ihre Funktion ist jedoch wenig bekannt. Bislang wurde angenommen, dass circRNAs andere Aufgaben in den Zellen erfüllen, als die Boten-RNA (mRNA). mRNAs bringen Genkopien zu den Ribosomen, welche diese in einem „Translation“ genannten Vorgang zu Eiweißmolekülen „übersetzen“.

Zirkuläre RNAs (circRNA) werden im Zellkern hergestellt und zum geschlossen, nachdem sie von der DNA abgelesen wurden. Neue Forschung zeigt, manche von ihnen werden in Proteine übersetzt, wenn sie den Zellkern verlassen haben. Bild: Sebastian Kadener, HUJI

Aber auch circRNAs können für Proteine kodieren, wie Forscherinnen und Forscher um Prof. Sebastian Kadener der Hebräischen Universität Jerusalem in Zusammenarbeit mit dem Berlin Institute for Medical Systems Biology (BIMSB) im Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) nun zeigten. Ihre Ergebnisse veröffentlichen sie in dem angesehenen Fachjournal Molecular Cell.

Diese Entdeckung offenbart eine bislang unbekannte Ebene der Genaktivität in einem Molekültyp, vom dem man bisher nicht wusste, dass er überhaupt Proteine erzeugt. Die neuen Ergebnisse öffnen zugleich ein Fenster zu einer unerforschten Welt nicht charakterisierter Proteine.

Für die Studie haben die Forscherinnen und Forscher Taufliegen (Drosophila) untersucht und dafür verschiedene Methoden der Molekularbiologie, computergestützten Biochemie und Neurobiologie neu entwickelt oder angepasst. Sie haben gezeigt, dass spezifische circRNA-Moleküle an Ribosomen gebunden sind, also an jene Maschinerie, die Proteine herstellt. Zudem identifizierten sie die Proteine, die anhand dieser circRNA-Moleküle hergestellt wurden.

Jene translatierten circRNAs befanden sich an bestimmten Orten der Zelle, insbesondere an den Synapsen, an denen elektrische Impulse von einer Nervenzelle zu anderen Nerven- oder Muskelzellen weitergeleitet werden. Tatsächlich waren in den Synapsen die von circRNAs erzeugten Proteine nachweisbar. Sie wurden als Reaktion auf bestimmte Reize hergestellt, etwa, wenn die Fliegen zwölf Stunden lang keinen Zugang zu Futter hatten. Dies lässt den Schluss zu, dass Nervenzellen auf bislang unbekannte und nicht charakterisierte Art kommunizieren. Außerdem sind Hunger und Regulationsmechanismen, die zu einer Translation der circRNAs führen, an Alterungsprozessen beteiligt. Die Translation von circRNAs und das Altern sind also vermutlich miteinander verbunden, auch eine Rolle dieser Moleküle bei neuro-degenerativen Erkrankungen ist möglich.

Die circRNAs sind extrem langlebig. Daher werden sie möglicherweise für lange Zeit in Zellregionen gespeichert, die weit entfernt vom eigentlichen Zellkörper liegen, wie die Axone von Nervenzellen. Ein solches Reservoir von RNA-Molekülen könnte Proteine liefern, sobald diese zu einem bestimmten Zeitpunkt benötigt werden.

Prof. Sebastian Kadener vom Biological Chemistry Department des  Alexander Silberman Institute of Life Sciences an der Hebräischen Universität sagt: „Indem wir den Zweck von circRNAs identifizieren, entwickeln wir unser Bild der Molekularbiologie weiter. Diese Forschung kann hilfreich sein, um das Altern oder auch neuro-degenerative Erkrankungen zu verstehen.“

Prof. Nikolaus Rajewsky vom BIMSB / Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin fügt hinzu: „Wir denken, dass die Translation von circRNAs sehr interessant ist und dass ihre Verbreitung und Bedeutung weiter untersucht werden sollten.“

Prof. Gil Ast von der Abteilung für humane molekulare Genetik und Biochemie der Sackler Medical School an der Universität Tel Aviv, der nicht an der Studie beteiligt war, sagt: „Diese Studie deckt auf, dass einige circRNAs in Proteine übersetzt werden. Und zwar hauptsächlich im Gehirn, wahrscheinlich an Synapsen. Das ist eine sehr wichtige, vielversprechende und zeitgemäße Entdeckung, die uns einen wichtigen Hinweis auf die Funktion dieser zahlreich vorhandenen, aber bislang nicht charakterisierten RNAs gibt. Diese Erkenntnisse sind sehr wichtig, allein wegen der möglichen Beteiligung von circRNAs an Erkrankungen des Gehirns.“

Die circRNA „circMbl“ wird laut des Teams um Prof. Sebastian Kadener zu Proteinen übersetzt und stammt vom „muscleblind“-Gen. Defekte in muscleblind und dessen Funktion verursachen die Myotone Dystrophie, eine der häufigsten Formen der muskulären Dystrophie. Sie beginnt im Erwachsenenalter und  schwächt und zerstört fortschreitend die Muskeln. Berücksichtigt man die Rolle von muscleblind bei der Steuerung von circRNAs und die Allgegenwärtigkeit dieser Moleküle auch im Gehirn, könnte man eine Beteiligung an der Myotonen Dystrophie vermuten.

Als nächstes möchten die Forscherinnen und Forscher herausfinden, wie wichtig die Translation von circRNAs für die normale Gehirnfunktion ist und ob circRNAs am Alterungsprozess und altersbezogenen Krankheiten beteiligt sind. Sie wollen analysieren, durch welchen Mechanismus die circRNAs in Proteine übersetzt werden. Dies könnte uns allgemein mehr über die zentrale Bedeutung der Translation in der Zelle verraten.

Die Studie wurde im Fachjournal Molecular Cell unter dem Titel „Translation of circRNAs“ veröffentlicht. Die Gruppe um Prof. Sebastian Kadener wurde mit einem Consolidator Grant des Europäischen Forschungsrates (European Research Council, ERC) unterstützt. Für die Studie arbeiteten die Gruppe von Kadener und mehrere Gruppen des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin zusammen, darunter den Gruppen von Nikolaus Rajewsky, Marina Chekulaeva, Markus Landthaler und Gunnar Dittmar.


Nagarjuna Reddy Pamudurti1, Osnat Bartok1, Marvin Jens2, Reut Ashwal-Fluss1, Christin Stottmeister2, Larissa Ruhe3, Mor Hanan1, Emanuel Wyler4, Daniel Perez-Hernandez5, Evelyn Ramberger5, Shlomo Shenzis1, Moshe Samson1, Gunnar Dittmar5, Markus Landthaler4, Marina Chekulaeva3, Nikolaus Rajewsky2 and Sebastian Kadener1 (2017): „Translation of circRNAs.“ Molecular Cell. doi:10.1016/j.molcel.2017.02.021

1Biological Chemistry Department, Silberman Institute of Life Sciences, The Hebrew University of Jerusalem, Jerusalem, Israel;
2Systems Biology of Gene Regulatory Elements, Max Delbrück Center for Molecular Medicine, Berlin, Germany; 3 Non Coding RNAs and Mechanisms of Cytoplasmic Gene Regulation, Max Delbrück Center for Molecular Medicine, Berlin, Germany;
4RNA Biology and Posttranscriptional Regulation, Max Delbrück Center for Molecular Medicine, Berlin, Germany; 5Mass Spectrometry Core Unit, Max-Delbrück-Center for Molecular Medicine, Berlin, Germany.

Nagarjuna Reddy Pamudurti, Osnat Bartok, Marvin Jens und Reut Ashwal-Fluss haben gleichermaßen zu dieser Publikation beigetragen.