Rote Bläschen

Chloridionenkanal ASOR lässt Vesikel schrumpfen

Fast alle menschlichen Zellen verfügen über den Chloridionenkanal ASOR. Doch wozu? Er ist essenziell für das Schrumpfen besonders großer Vesikel – und beeinflusst damit bestimmte Immun- und Krebszellen, schreibt das FMP- und MDC-Team um Thomas Jentsch jetzt in „Nature Cell Biology“.

Unsere Zellen nehmen ständig Wasser, Salze und Nährstoffe auf. Dies geschieht neben einem spezifischen, proteinvermitteltem Transport über die äußere Zellmembran auch über kleine Bläschen (Vesikel), die von der Plasma-Membran abgeschnürt werden. Der Inhalt dieser Vesikel wird weiterverarbeitet oder nach Abschnüren kleinerer Vesikel in das äußere Medium zurücktransportiert. Makropinosomen sind besonders große Vesikel, die durch eine spezielle Form der Endozytose, die Makropinozytose, gebildet werden. Dieser Prozess kommt praktisch in allen Zellen vor. Besonders ausgeprägt ist er aber in spezialisierten Immunzellen (Makrophagen) und Tumorzellen.

Prof. Dr. Thomas Jentsch

Damit die Zelle die Vesikel und seine Inhaltsstoffe verarbeiten kann,  müssen die Bläschen schrumpfen. Das wiederum kann nicht allein durch das Abschnüren kleiner Vesikel erfolgen. Vielmehr muss Wasser, osmotisch getrieben von passivem Salztransport über spezifische Ionenkanäle, die Vesikel verlassen. Fehlt diese osmotische Schrumpfung, können sich auch keine kleineren Vesikel mehr abschnüren. Vor wenigen Jahren konnte eine kanadische Gruppe zeigen, dass zwei spezifische endosomale Natriumkanäle für die Schrumpfung von Makropinosomen notwendig sind. Die Identität der für den Natriumchlorid-Transport zwingend erforderlichen parallelen Chloridkanäle blieb aber ungeklärt. Kandidaten für die Chloridtransporter waren CLC Chlorid-Protonenaustauscher, der schwellaktivierte Anionenkanal VRAC sowie ASOR – alles Proteine, die der Berliner Ionenkanalforscher Professor Thomas Jentsch entdeckt hat.

Doch weder die CLCs noch VRAC sind für die Schrumpfung der Vesikel von Bedeutung, wie Jentschs Team am Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) und am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) nun in „Nature Cell Biology“ zeigen konnte. Die Hauptrolle spielt der Chloridkanal ASOR. Diesen säureempfindlichen Ionenkanal hatte Jentschs Gruppe erst 2019 entdeckt. Bis dato war unklar, warum praktisch alle menschlichen Zellen den Kanal besitzen.

Wie die Schrumpfung geregelt ist

„Wir konnten jetzt zeigen, dass ASOR absolut notwendig für das Schrumpfen von Makropinosomen ist“, sagt Thomas Jentsch. „Alle anderen Kandidaten, die wir untersucht haben, zeigten keinen Effekt.“ Damit konnten Jentsch und sein Team dem „Acid-Sensitive Outwardly Rectifying Anion Channel“ eine wichtige biologische Funktion zuweisen.

Um den Prozess zu untersuchten, isolierten die Forschenden Makrophagen aus verschiedenen Knock-out-Mauslinien, denen jeweils ein bestimmter Chloridtransporter fehlte. Da sich Makropinosomen aufgrund ihrer Größe von 1 bis 3 Mikrometern gut durch das Lichtmikroskop betrachten lassen, konnten die Forscherinnen und Forscher zusehen, wie die Vesikel in den Zellen schrumpften. Dabei zeigte sich: Vesikel der ASOR-Knock-out-Mäuse schrumpften wesentlich langsamer als die Wildtyp-Vesikel. Und die Schrumpfung ist pH-abhängig. Wurde nämlich die Ansäuerung der Vesikel verhindert, verloren sie auch weniger Volumen.

„Das ergibt Sinn, denn ASOR wird durch Säure aktiviert “, sagt die Erstautorin der Studie Mariia Zeziulia. „Inzwischen wissen wir, dass ASOR eben nicht nur in der Plasmamembran vorkommt, wo der gut regulierte pH-Wert fast nie die für die Kanalaktivierung notwendigen sauren Werte annimmt, sondern auch in verschiedenen intrazellulären Organellen, Endosomen, die ja bekanntlich angesäuert werden. Die luminale Azidifizierung spielt also – neben den beiden Natriumkanälen und ASOR – eine ganz wesentliche Rolle bei der Schrumpfung dieser Vesikel“, fasst die MDC-Wissenschaftlerin die wesentlichen Ergebnisse zusammen.

Modell mit hoher Vorhersagekraft entwickelt

Die Forscher*innen integrierten ASOR, die Natriumkanäle und die Vesikel ansäuernde Transportprozesse in ein einfaches mathematisches Modell. Dies erlaubte es ihnen nicht nur, die Plausibilität des vorgeschlagenen Mechanismus zu überprüfen. Möglich waren auch semiquantitative Vorhersagen von nur schwer messbaren Parametern wie der sich langsam einstellenden elektrischen Spannung über die Vesikelmembran. „Die mathematischen Modelle sagen unsere Resultate sehr schön voraus, so dass wir zum ersten Mal ein konsistentes Modell für das Schrumpfen dieser Vesikel haben“, erklärt Thomas Jentsch.

Modell der Schrumpfung von makropinozytären Vesikeln. Der Ausstrom von Na+ durch TPC-Kanäle und Cl- durch ASOR führt zu osmotisch bedingtem Wasserausstrom und Schrumpfung. Die Kanäle und Transporter werden durch den luminalen pH-Wert (H+-Konzentration) und die Spannung gesteuert, die durch die Aktivität verschiedener Transportprozesse beeinflusst werden.

Doch wozu ist das Schrumpfen der Vesikel eigentlich gut? Es ist notwendig für die Abschnürung von Transportvesikeln, die unter anderem den Rücktransport aufgenommener Substanzen nach außen ermöglichen und dadurch dem Abbau durch Enzyme aus Lysosomen, mit denen Makropinosomen später fusionieren, entgehen. Auch wichtige Oberflächenproteine wie Signal-Rezeptoren müssen „recycelt“ werden. Andererseits dient der Abbau aufgenommener Proteine zur Ernährung von Tumorzellen und zur Herstellung von Proteinbruchstücken, die Immunzellen für die Erkennung von Antigenen brauchen. Degradation und Recycling müssen also der Aufgabe entsprechend balanciert werden.

Ohne ASOR wachsen Tumorzellen besser

Was passieren kann, wenn dieser ausgeklügelte Mechanismus nicht richtig funktioniert, konnten die Wissenschaftler*innen in Experimenten mit Tumorzellen zeigen: Zellen, bei denen ASOR eliminiert war, wuchsen schneller in der Abwesenheit extrazellulärer Aminosäuren, aber in Anwesenheit extrazellulärer Proteine. Warum? Verringertes Schrumpfen bedeutet weniger Recycling, so dass sich die Tumorzellen mehr Proteine aus der ansonsten nährstoffarmen Umgebung holen konnten, vor allem das physiologisch in hohen Konzentrationen vorliegende Eiweiß Albumin. „Die Makropinozytose ist zum Beispiel bei Tumoren mit Mutationen in dem Onkogen K-RAS überaktiv“, berichtet Thomas Jentsch. „Das führt dazu, dass die Tumorzellen vermehrt extrazelluläre Proteine aufnehmen, die sie dann lysosomal degradieren und für ihre Ernährung und Wachstum verwenden. Öffentliche Tumordatenbanken unterstützen diese Schlussfolgerung: Pankreaskarzinompatienten überlebten schlechter, wenn ihr Tumor weniger ASOR enthielt.

Im nächsten Schritt wollen die Berliner Forscherinnen und Forscher weitere Transporter und auch Wasserkanäle untersuchen, die möglicherweise ebenfalls an der Schrumpfung von Makropinosomen beteiligt sind. Neue Daten werden das Vesikelmodell vervollständigen.

Text: FMP

 

Weiterführende Informationen

     

    Literatur

    Mariia Zeziulia et al (2022): „Proton-gated anion transport governs macropinosome shrinkage“. Nature Cell Biology, DOI: 10.1038/s41556-022-00912-0

     

    Kontakte

    Prof. Dr. Thomas Jentsch
    Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) und Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC)

    030 9406-2961
    jentsch@mdc-berlin.de

    Silke Oßwald
    Öffentlichkeitsarbeit

    Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP)
    030 94793-104
    osswald@fmp-berlin.de