Gen für säureempfindlichen Ionenkanal identifiziert

Gen für säureempfindlichen Ionenkanal identifiziert

Im Körper reguliert ein ausgeklügeltes Transportsystem den Salzgehalt der Zellen und deren Umgebung. Spezielle Kanäle in der Zellmembran sorgen dafür, dass Salzionen zielgerichtet in Zellen ein- oder aus Zellen ausströmen. Das Team um Professor Thomas Jentsch von FMP und MDC hat jetzt die molekularen Bausteine für einen bislang unbekannten Ionenkanal identifiziert.

Membranen, die die Zellen oder Zellorganellen umhüllen, sind normalerweise für geladene Teilchen wie Salzionen undurchlässig. Aber es gibt Schlupflöcher: Transmembran-Proteine können Kanäle bilden, die Ionen hindurch lassen. Solche Ionenkanäle öffnen oder schließen sich meist auf ein bestimmtes Signal hin, das zum Beispiel durch einen Botenstoff oder Änderungen der Membranspannung übermittelt wird. Oft sind die Kanäle auf bestimmte Ionen, zum Beispiel Chlorid, Kalium oder Natrium spezialisiert.

Ein Team um Professor Thomas Jentsch vom Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) und vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) hat nun ein neues Transmembran-Protein namens TMEM206 als neuen Chloridionenkanal identifiziert. Es zeichnet sich durch einen bislang einzigartigen Aktivierungsmechanismus aus: Sinkt der pH-Wert in der Zellumgebung, öffnet sich der Kanal und lässt Chlorid je nach Zelltyp aus der Zelle heraus oder in die Zelle hinein fließen.. Diese Art von Ionenkanälen kann möglicherweise eine Rolle bei der Entstehung von Herzinfarkten, Schlaganfällen oder Tumoren spielen, denn bei diesen Erkrankungen kommt es zu einer Ansäuerung im betroffenen Gewebe.

Suche nach der Nadel im Heuhaufen

Ausgangspunkt für die aktuellen Arbeiten war ein Ionenkanal namens ASOR (Acid-Sensitive Outwardly Rectifying anion channel). Vor mehr als zehn Jahren wurden in elektrophysiologischen Studien pH-gesteuerte Chloridströme in Zellen verschiedener Wirbeltiere entdeckt und charakterisiert. „Wie dieser Kanal in der Zellmembran aufgebaut ist, war aber bislang unbekannt. Damals war die Technik noch nicht soweit, dass ein genomweites Screening möglich gewesen wäre. Jetzt haben wir die kodierenden Gensequenzen für das Protein, das den ASOR-Kanal bildet, identifiziert“, erläutert Professor Thomas Jentsch, Leiter der Arbeitsgruppe Physiologie und Pathologie des Ionentransports am MDC und FMP.

Rund vier Jahre haben die Analysen gedauert, denn es mussten viele Methoden angepasst oder neu entwickelt werden. Zum Beispiel hat das Team ein spezielles, optisches Nachweisverfahren für die Funktion des ASOR-Kanals entwickelt, das für Hochdurchsatzverfahren geeignet ist.

Um im kompletten Erbgut nach den für den ASOR-Kanal relevanten DNA-Sequenzen zu suchen, nutzten die Forscherinnen und Forscher ein siRNA-Screening. Dabei wird systematisch Gen für Gen durch kleine RNA-Stücke stillgelegt (small interfering RNA, siRNA), und anschließend werden die funktionellen Konsequenzen analysiert.  Ob das mit diesem Verfahren gefundene Gen wirklich für den Kanal kodiert, prüften sie mithilfe der CRISPR/Cas-Technologie und mit Mutationen, die die Kanaleigenschaften veränderten. „Für uns war es äußerst hilfreich, dass die Screening-Unit am FMP mit ihren Technologie-Plattformen für diese Hochdurchsatzverfahren unsere direkten Nachbarn sind“, erläutert Jentsch. „Dort stehen zahlreiche Roboter, die die Proben pipettieren, und es gibt automatische Anlagen für die Zellkulturen.“ Die siRNA-Bank der Screening Unit beinhaltet siRNAs für alle 20.000 menschliche Gene, die alle durchgecheckt werden müssen. Zur Sicherheit erfolgen drei Durchläufe, so dass letztlich insgesamt 60.000 Einzelergebnisse gescannt und bioinformatisch ausgewertet werden mussten.

Die Identifizierung von TMEM206 ist erst der Anfang

Die Identifizierung von TMEM206 als grundlegender Baustein des ASOR-Kanals ist ein wichtiger Durchbruch für uns. Jetzt können wir versuchen, die bislang unbekannte physiologische Bedeutung des Kanals endlich aufzuklären.
Prof. Dr. Thomas Jentsch
Professor Thomas Jentsch Physiologie und Pathologie des Ionentransportes

„Die Identifizierung von TMEM206 als grundlegender Baustein des ASOR-Kanals ist ein wichtiger Durchbruch für uns. Dies ermöglicht endlich die Aufklärung der physiologischen Rollen des Kanals“, resümiert Jentsch. Chlorid-Ionen gehören zu den wichtigsten und häufigsten Elektrolyten im Körper. Ihre Konzentration kann sich zwischen Zelläußerem und dem Zytoplasma im Zellinneren sowie in den verschiedenen Organellen stark unterscheiden. Die Zellmembran bildet eine Barriere für das negativ geladene Chlorid, die sie aber mittels spezieller Membranproteine überwinden können. Die Chlorid-Ionen folgen dabei entweder einem Konzentrationsgradienten durch Kanäle oder sie können von Transportproteinen aktiv auf die andere Seite einer Membran gepumpt werden. Chlorid-Kanäle erfüllen äußerst vielfältige biologische Funktionen. Dementsprechend gibt eine große Vielzahl strukturell unterschiedlicher Chloridkanäle, die auf unterschiedliche Art und Weise reguliert werden und die Chlorid je nach Bedarf der Zelle und des Organismus transportieren.

Vieles spricht dafür, dass der ASOR-Kanal eine Rolle beim säureinduzierten Zelltod spielt. Denn der Kanal öffnet sich nur für die Chlorid-Ionen, wenn das extrazelluläre Milieu sehr sauer wird. Obwohl der Kanal in jeder Zelle vorkommt, sind nur sehr wenige Zelltypen normalerweise einem derart sauren pH ausgesetzt. Wenn der Körper krank ist, wie zum Beispiel bei einem Schlaganfall oder Herzinfarkt oder bei Tumoren, kann der pH aber zu diesen sauren Werten abfallen. Diese schädliche Rolle bei Krankheiten kann aber nicht erklären, warum ASOR in allen Säugetierzellen zu finden ist.

Es sind noch viele Fragen offen, sagt Jentsch. Welche Bedeutung hat ein säureinduzierter Ionenkanal, der Chlorid aus der Zelle herausströmen lässt? Warum besitzen offensichtlich alle Zellen diesen ASOR-Kanal? Und wo genau befindet sich der Kanal innerhalb der Zellen? Ist er beispielsweise auch in den Membranen der Zellorganellen mit potenziell saurem Inhalt, wie es bei den Lysosomen oder Endosomen der Fall ist, vorhanden? Um die Struktur und die physiologischen Funktionen von ASOR weiter aufzuklären, hat die Arbeitsgruppe einen Antikörper gegen TMEM206 entwickelt. Als nächstes wollen sie damit nachweisen, in welchen Zellen das Kanalprotein exprimiert wird und wo genau es innerhalb der Zellen lokalisiert ist. Die physiologische Funktion soll in Zukunft mithilfe von Mäusen, in denen das Gen für den Kanal ausgeschaltet wird, aufgeklärt werden.

Text: Lisa Kempe

 

Weiterführende Informationen

Literatur

Florian Ullrich et al. (2019): „Identification of TMEM206 proteins as pore of PAORAC/ASOR acid-sensitive chloride channels.“ eLIFE, doi: 10.7554/eLife.49187