Der Schlüssel zur passenden Behandlung
Herr Professor Selbach, Herr Dr. Coscia, das Forschungsprojekt MSTARS, das Sie gemeinsam mit Ihren Berliner Kooperationspartnern vor gut drei Jahren ins Leben gerufen haben, wird nun vom Bundesforschungsministerium für weitere drei Jahre finanziert. Allein ans Max Delbrück Center sollen mehr als 1,3 Millionen Euro fließen. Können Sie das wichtigste Ziel von MSTARS noch einmal kurz erläutern?
Matthias Selbach: Vereinfacht gesagt wollen wir herausfinden, warum manche Therapien bei einigen Patient*innen sehr gut anschlagen, bei anderen hingegen keine Wirkung zeigen – obwohl das erkrankte Gewebe genetisch weitgehend identisch ist. Dazu nutzen wir die Massenspektrometrie. Mit diesem Verfahren können wir ermitteln, wie sich die Zellen der Patient*innen im Detail voneinander unterscheiden. Wir sehen zum Beispiel, welche Gene tatsächlich in Proteine umgewandelt werden.
So hoffen wir, Biomarker zu entdecken, die den Erfolg einer Therapie künftig präzise vorhersagen. Dieses Wissen soll direkt den behandelnden Ärzt*innen zugute kommen, damit sie sich bei ihrer Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Therapie nach den individuellen Merkmalen ihrer Patient*innen richten können.
Krebs und Entzündungen im Fokus
Welche Krankheiten stehen zunächst im Vordergrund?
Fabian Coscia: Momentan untersuchen wir vor allem Gewebeproben verschiedener Krebsarten. Dabei handelt es sich zum Beispiel um Plattenepithelkarzinome im Kopf- und Halsbereich, um Leukämien, Neuroblastome sowie um Brust-, Eierstock- und Prostatakrebs. Auch inflammatorischen Erkrankungen wie der Myokarditis, bei der der Herzmuskel entzündet ist, und chronischen Leberleiden wollen wir vermehrt Aufmerksamkeit schenken.
Aufgrund der Coronapandemie, die nahezu zeitgleich mit dem Start von MSTARS begann, haben wir uns darüber hinaus – völlig ungeplant – viel mit COVID-19 befasst. Wir haben zum Beispiel anhand der Proteine in infizierten Zellen herausgefunden, warum manche Menschen besonders schwer erkranken. Bei ihnen dringt das Virus in bestimmte Immunzellen ein und programmiert diese um. Dadurch können die Zellen ihren gewohnten Aufgaben nicht mehr nachkommen.
Schweizer Taschenmesser der Molekularbiologie
Was ist das Besondere an der von Ihnen verwendeten Technologie?
Matthias Selbach: Die Massenspektrometrie ist eine einzigartige Methode, um Moleküle zu wiegen und über ihr Gewicht zu identifizieren. Mit ihr können wir Proteine und andere Substanzen, die bei der Entstehung oder dem Verlauf von Krankheiten eine Rolle spielen, systematisch erfassen. Wir suchen also nicht gezielt nach ganz bestimmten Molekülen, wie man es zum Beispiel bei einem Coronatest tut, sondern schauen nach Veränderungen auf sehr breiter Ebene.
Ziel ist es, einen Organismus, ein Gewebe oder auch nur einzelne Zellen als Ganzes zu erfassen – und dadurch sowohl Krankheiten als auch Therapieresistenzen besser zu verstehen. Die Massenspektrometrie ist quasi das Schweizer Taschenmesser der Molekularbiologen, weil das Verfahren so vielseitig ist.
Welche Ziele haben Sie in den vergangenen drei Jahren bereits erreicht?
Fabian Coscia: Wir haben in meiner Arbeitsgruppe eine Methode namens Deep Visual Proteomics etabliert, mit der die Proteine im Tumorgewebe kartiert und dabei so detailliert wie nie zuvor erfasst werden. Das Verfahren kombiniert modernste Mikroskopier- und Lasertechniken mit der Massenspektrometrie und greift dabei auch auf künstliche Intelligenz zurück. Mit ihm erhalten wir einen bislang noch nie dagewesenen Einblick in das Krankheitsgeschehen bei Krebs.
In der Coronaforschung konnte eine massenspektrometrische Analyse von rund 7.000 Proteinen zum Beispiel zeigen, dass SARS-CoV-2 die Fresszellen des Immunsystems dazu anregt, Botenstoffe zu produzieren, die das Lungengewebe vernarben lassen.
Matthias Selbach: Generell ging es in der ersten Förderphase von MSTARS allerdings erst einmal darum, die erforderlichen Strukturen aufzubauen, neue Kolleg*innen einzuarbeiten und Netzwerke mit unseren Kooperationspartnern, etwa mit den Ärzt*innen der Charité, zu knüpfen. Auch die Berliner Forschungsteams, die auf dem Feld der Massenspektrometrie arbeiten, sind durch das Projekt sehr viel näher zusammengerückt.
MSTARS bringt Proteomik in die Klinik
Was wird sich in der zweiten Runde von MSTARS verändern?
Fabian Coscia: Jetzt soll es vermehrt darum gehen, konkrete Arbeitsabläufe zu etablieren, die man routinemäßig – und auch außerhalb von Berlin – in der Präzisionsmedizin anwenden kann. Der erste Schritt hierzu ist beispielsweise, dass man die Gewebe- oder Blutproben von Patient*innen nach einheitlichen Standards entnimmt und aufbewahrt.
Wir am Max Delbrück Center sind ja in erster Linie an den Proteinen, den Funktionsträgern der Zelle, interessiert. Andere Arbeitsgruppen schauen zum Beispiel nach Lipiden oder Stoffwechselprodukten. Mit ersten klinischen Studien sollen möglichst bald auch Patient*innen von unseren Erkenntnissen profitieren. In jedem Fall wollen wir uns nun stärker als bisher auf Krebserkrankungen fokussieren, um beispielsweise Resistenzen gegen Chemo- oder Immuntherapien besser verstehen und vorhersagen zu können.
Sie kooperieren für MSTARS mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin, dem Berliner Max-Planck-Institut für molekulare Genetik und der Humboldt Universität zu Berlin. Inwieweit profitiert das Max Delbrück Center von dieser Zusammenarbeit?
Matthias Selbach: MSTARS hat zum einen den Forschungsstandort Berlin weiter gestärkt, da es wissenschaftliche und klinische Arbeitsgruppen sehr gut miteinander vernetzt hat. Um unsere Fragen, die wir am Max Delbrück Center haben, beantworten zu können, brauchen wir Zugang zu klinischen Proben. Gerade die Zusammenarbeit mit der Charité hat sich in diesem Punkt als sehr hilfreich erwiesen. Zum anderen konnten wir durch die Förderung mit Fabian Coscia einen wirklich hervorragenden Nachwuchsgruppenleiter für das Max Delbrück Center rekrutieren.
Mit kleinsten Proben zu verlässlichen Ergebnissen
In welchen Teilbereichen des Projekts bringt sich das Max Delbrück Center besonders ein?
Matthias Selbach: Ein wichtiger Schwerpunkt wird das von Fabian Coscia entwickelte Verfahren Deep Visual Proteomics sein. Unser Ziel ist es, ein mechanistisches Verständnis für Erkrankungen zu bekommen. Es geht uns nicht darum, lediglich lange Listen von Proteinen in Geweben und Körperflüssigkeiten zu erstellen, die sich vielleicht für die Diagnose nutzen lassen. Sondern wir wollen wirklich lernen, wie Krankheiten auf molekularer Ebene entstehen – um dieses Wissen für Therapien nutzen zu können. Gleichzeitig arbeiten wir daran, die Empfindlichkeit der Massenspektrometrie kontinuierlich zu erhöhen, um auch mit kleinsten Probenmengen zu verlässlichen Ergebnissen zu kommen.
Gibt es eine Forschungsfrage, auf deren Antwort Sie persönlich in den kommenden drei Jahren ganz besonders hoffen?
Fabian Coscia: Wir haben inzwischen mehrere Studien begonnen, auf deren Ergebnisse ich sehr gespannt bin. Wir wissen zum Beispiel, dass für den Erfolg einer Immuntherapie die Interaktion verschiedener Immunzellen untereinander und mit den Tumorzellen entscheidend ist. Mit Deep Visual Proteomics können wir herausfinden, an welcher Stelle des Tumors die Zellen besonders dicht zueinander gelangen und inwieweit sich dadurch das Proteom, also die Gesamtheit aller in den Zellen gebildeten Proteine, verändert. So wollen wir verstehen, warum Immuntherapien mal besser, mal schlechter anschlagen. Es ist absehbar, dass wir zu dieser Frage in den kommenden sechs Monaten erste Daten erhalten werden. Auch eine Studie zum Thema Brustkrebs läuft bereits. Ihren Ergebnissen blicke ich ebenfalls mit Spannung entgegen.
Matthias Selbach: Generell hoffe ich darauf, dass unsere Erkenntnisse, die wir zu den molekularen Vorgängen in Krebszellen gewinnen, zu wirklich individuellen Behandlungsansätzen führen werden. Mein Wunsch ist es, dass die Ärzt*innen aufgrund der massenspektrometrischen Untersuchungen des Tumorgewebes künftig exakt einschätzen können, ob zum Beispiel diese oder vielleicht doch eine andere Kombination von Chemotherapeutika ihre Patient*innen heilen wird.
Das Gespräch führte Anke Brodmerkel.
Weitere Informationen
- Pressemitteilung: Proteinlandkarten von Tumoren
- Pressemitteilung: Massenspektrometrie für die Präzisionsmedizin
- MSTARS Website
- Über MSTARS
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Das Berliner Projekt MSTARS (Multimodal Clinical Mass Spectrometry to Target Treatment Resistance, Multimodale klinische Massenspektrometrie zur Erkennung von Therapieresistenz) wird vom BMBF im Rahmen der Fördermaßnahme MSCoreSys (Research Cores for Mass Spectrometry in Systems Medicine, Forschungskerne für Massenspektrometrie in der Systemmedizin) seit dem 1. März 2020 finanziert. MSTARS ist einer von vier Forschungskernen, die das BMBF ausgewählt hat. Weitere befinden sich in Heidelberg, Mainz und München.
Die Mittel wurden zunächst für drei Jahre bewilligt. In diesem Zeitraum erhielt das Max Delbrück Center knapp 2,9 Millionen Euro. Weitere fast 2,8 Millionen Euro stellte das BMBF für den Aufbau der Arbeitsgruppe „Spatial Proteomics“ von Dr. Fabian Coscia bereit. Am 1. März 2023 hat die zweite dreijährige Förderphase begonnen. In diesem Zeitraum werden mehr als 1,3 Millionen Euro ans Max Delbrück Center fließen. Die Charité wird rund 3 Millionen Euro erhalten.
Das Projekt hat vier gleichberechtigte Koordinatoren: Professor Matthias Selbach, Leiter der Arbeitsgruppe „Proteom Dynamik“ am Max Delbrück Center, Professor Ulrich Keilholz, Direktor des Charité Comprehensive Cancer Centers (CCCC), Professor Markus Ralser, Direktor des Instituts für Biochemie der Charité und Professor Frederick Klauschen vom Institut für Pathologie der Charité.