Wolfgang Uckerts Gruppe bei unserem blauen Bären. Wolfgang Uckert ist der "alte" Wissenschaftler ganz links

Eine wissenschaftliche Karriere in Berlin-Buch: In 40 (nicht immer einfachen) Jahren vom Studenten zum Gentherapeuten

Als der damals 22-jährige Wolfgang Uckert 1974 zum ersten Mal den Wissenschaftscampus in Berlin-Buch betrat, dachte er sicher nicht, dass er für die nächsten 40 Jahre hier bleiben würde.
Ich weiß noch, wie alt mir damals die leitenden Wissenschaftler vorkamen. Jetzt bin ich selber einer der Alten!
Prof. Dr. Wolfgang Uckert
Wolfgang Uckert Group Leader "Molecular Cell Biology and Gene Therapy"

Auch in der Forschungsgruppe, in der er mitarbeitete, war sein Alter ein Thema. Als Mitglied des Teams von Arnold Graffi und später von Dieter Bierwolf war er seit über zehn Jahren der erste Diplomand, der im Labor tätig war. Außerdem war er Chemiker. Die meisten DDR-Chemiker gingen in die Agrarindustrie, und auch Uckert erhielt ein Stellenangebot von einem Agrarinstitut. Er zögerte, da ihm klar war, dass die Zusage eine Zusage fürs Leben sein würde. Ohne Alternative wollte er das Angebot jedoch nicht ablehnen.

Durch Zufall erfuhr er, dass an der Akademie der Wissenschaften in Buch eine Stelle im Bereich Molekularbiologie, Krebsforschung und Kreislaufkrankheiten frei geworden war – alles Themen, die ihn sehr interessierten. Er bewarb sich umgehend und wartete auf Antwort, nur um zwei Wochen später zu erfahren, dass er seine Bewerbung versehentlich an die falsche Abteilung geschickt hatte. Also eilte er zum Campus, um das Missverständnis aufzuklären.

Im Labor von Arnold Graffi begann er, unter der Leitung von Volker Wunderlich über Retroviren zu arbeiten. Diese Virenart hatte das Interesse der Forscher durch die Art und Weise geweckt, wie sie bei ihrer Reproduktion Anweisungen in den genetischen Code der Wirtszelle einschreibt. Robert Gallo stand kurz vor der Entdeckung des ersten menschlichen Retrovirus HTLV-1, die von der wissenschaftlichen Community mit großer Skepsis aufgenommen wurde. In den 1980er Jahren räumte das neu entdeckte HIV-Virus dann sämtliche Zweifel aus, dass Menschen durch Retroviren infiziert werden können.

Die hervorragende Forschungsarbeit von Wunderlichs Labor führte zu zahlreichen Veröffentlichungen in der Fachzeitschrift Virology. 1980 schloss Wolfgang Uckert seine Promotion ab. Zwei Jahre später eröffnete sich ihm eine Möglichkeit, die sich nur wenigen DDR-Wissenschaftlern bot: Er wurde für drei Monate als FEBS Fellow an die Freie Universität Brüssel eingeladen. Dort wurde ihm bewusst, welchen Einschränkungen die Forschung in der DDR unterlag.

„In der Wissenschaft hängt so vieles davon ab, dass man Kontakte aufbaut“, erklärt er. „Im Westen gab es Reisefreiheit: Die Wissenschaftler konnten Konferenzen auf der ganzen Welt besuchen, Kollegen treffen und sich frei austauschen. In der DDR traf man nur selten einen Forscher aus dem Westen.“

Die Forschungseinrichtungen im Westen hatten Zugang zu allen wissenschaftlichen Veröffentlichungen, und wenn man Materialien, Chemikalien oder Reagenzstoffe brauchte, dann musste man sie nur bestellen und sie wurden umgehend geliefert – manchmal innerhalb von ein bis zwei Tagen. In der DDR dauerte so etwas nicht selten ein bis zwei Jahre. „Daher musste man sehr viel sorgfältiger planen“, so Uckert. „Man hatte vielleicht nur ein- bis zweimal die Chance, ein bestimmtes Experiment durchzuführen. Also musste es gleich auf Anhieb klappen.“

Viele Einrichtungen behalfen sich, indem sie eine Art Tauschring bildeten. So gab es zum Beispiel in Jena gute Enzyme, während der Campus Buch hervorragenden Phosphor und andere radioaktive Substanzen zur Verfügung stellen konnte. „Wir haben also oft getauscht, um zu bekommen, was wir brauchten“, so Uckert.

Als er Brüssel verlassen musste, hatte er „Tränen in den Augen“, erinnert er sich. Doch schon wenige Jahre später sollte er wieder die Gelegenheit bekommen, ins Ausland zu gehen. Der US-amerikanische Wissenschaftler George Beaudreau von der Oregon State University kam für ein Jahr an Graffis Labor. Nach seiner Rückkehr in die Staaten begann er, einen Plan auszutüfteln, um Wolfgang Uckert nach Amerika zu holen. 1986 schließlich bot sich eine Möglichkeit, und so reiste der junge Wissenschaftler nach Kalifornien, wo er im Labor von Peter Vogt an der University of Southern California in Los Angeles arbeitete. Seine Frau und seine beiden kleinen Kinder blieben in der DDR.

„Damals betrachteten es die DDR-Behörden als ‚Rückkehrgarantie‘, wenn man Familie und Kinder hatte“, erklärt Uckert. „Wenn man nicht Mitglied der Partei war, war das quasi eine Ausreisebedingung.“

An die Zeit in den USA denkt er gerne zurück: „Es war eine tolle Erfahrung. Ich erhielt wirklich Einblicke darin, wie man in den USA forscht. Einmal im Monat gingen wir mit Peter Vogt essen. Er fragte mich dann oft: ‚Was willst du in der DDR? Möchtest du nicht lieber hier bleiben?‘ Das wollte ich sehr gerne, aber es war überhaupt nicht sicher, dass meine Familie hätte nachkommen können. Sie hätten die Folgen tragen müssen, und auch für mein Labor in Buch hätte es Schwierigkeiten gegeben. Darüber hinaus hätte ich mich schlecht gegenüber den Menschen gefühlt, die beim Verlassen der DDR an der innerdeutschen Grenze ihr Leben riskiert haben.“

„Je häufiger man ‚rauskam‘, desto kritischer sah man die Verhältnisse im Osten“, so Uckert. Doch schon drei Jahre nach seiner Rückkehr aus den USA fiel die Mauer und mit ihr das starre System, in dem Wolfgang Uckert seine wissenschaftliche Ausbildung erhalten hatte. Mit dem Ende der DDR brachen allgemein turbulente Zeiten an, auch für die Forscher am Campus Buch.

Wolfgang Uckerts erster Konferenzbesuch als "Bundesbürger" führte ihn nach Innsbruck. Foto: privat

So steckte Wolfgang Uckert mitten in seiner Habilitation, die er gerade noch rechtzeitig abschloss. Nur ein paar Tage Verzögerung hätten bedeutet, dass der ganze Prozess um etwa anderthalb Jahre in die Länge gezogen worden wäre. So erging es einigen seiner Kollegen, darunter auch Ulrike Stein. Für sie war die lange Wartezeit zwar schwierig, hat sich aber letztlich doch gelohnt, denn heute leitet sie ihre eigene Forschungsgruppe zur „Translationalen Onkologie solider Tumore“.

„Ich war damals 37“, so Wolfgang Uckert. „Ein Alter, in dem man sich noch auf Neues einstellen kann. Für die Älteren war das sehr viel schwerer.“ Doch die Anpassung an das neue System war allgemein nicht einfach. Das gesamte Institut musste sich einer strengen Evaluierung durch eine Gruppe anerkannter nationaler und internationaler Fachleute aus dem Westen unterziehen. Diese Evaluierungsgruppe sollte schließlich die Auflösung der Institute der Akademie der Wissenschaften in Berlin-Buch empfehlen. Die meisten Verwaltungskräfte und viele Wissenschaftler verloren ihre Anstellung. Am Standort Buch entstand das MDC, dessen Gründungsdirektor Detlev Ganten wurde.

Eine kurze Übergangsphase lang setzten Wolfgang Uckert und seine Kollegen ihre Arbeit fort und waren dabei weitgehend auf sich gestellt. Sie erlebten mit, wie das MDC einen neuen Stab an Forschungsgruppenleitern aufbaute. In den ersten beiden Rekrutierungsrunden wurden fast ausschließlich Wissenschaftler aus dem Westen eingestellt. „Sie waren geübt darin, sich selbst vorteilhaft darzustellen“, so Uckert. „Und sie hatten Zugang zu Datenmengen, von denen wir nur träumen konnten.“

In der dritten Runde bekam auch Wolfgang Uckert eine Chance, seine Ergebnisse zu präsentieren und darzulegen, welche Art von Forschungsarbeit er am MDC leisten könnte. „Offenbar hatte ich einen guten Tag“, lächelt er. „Detlev Ganten, der den Vorsitz im Bewerbungsausschuss führte, beschloss, mich anzustellen. Mein besonderer Dank gilt auch Hermann Bujard, der mich 1990 nach Heidelberg einlud und mir in einem ‚Intensivkurs‘ beibrachte, wie man Förderanträge schreibt.“

Als weiterer Neuzugang kam Thomas Blankenstein an den Campus Buch. Sein Labor sollte sich der Untersuchung von Interaktionen zwischen dem Immunsystem und Tumoren widmen. Thomas Blankenstein hatte die Idee, Wolfgang Uckert als eine Art „Senior Post-Doc“ mit beträchtlicher wissenschaftlicher Unabhängigkeit in seine Forschungsgruppe zu integrieren. So konnte Uckert weiter seine eigenen Forschungsanträge stellen und an den Themen arbeiten, die ihn interessierten.

„Thomas und ich sind etwa gleichaltrig, und ich verdanke ihm sehr viel“, so Uckert. „Er hat mir gezeigt, wie man in diesem ‚neuen System‘ Wissenschaft betreibt, wie man Forschungsgelder bekommt und wirklich unabhängig arbeitet. 2001 war ich dann so weit, dass ich mich erfolgreich für einen von der Schering Stiftung geförderten Lehrstuhl für Molekulare Zellbiologie und Gentherapie bewerben konnte.“

Heute leitet Wolfgang Uckert eine 15-köpfige Forschungsgruppe. Mit seinen herausragenden wissenschaftlichen Leistungen setzt er ein Beispiel für Forscher weltweit. Seit seinem ersten Tag in Buch im Jahr 1974 hat er insgesamt 100 ‚peer reviewed‘ Artikel veröffentlicht. Für das MDC hat er seit seiner Einstellung über 10 Millionen Euro an Drittmitteln eingeworben. Im März 2014 ernannte ihn die Deutsche Gesellschaft für Gentherapie in Anerkennung seiner Leistungen zu ihrem Präsidenten.

Wolfgang Uckert ist der Meinung, dass die Arbeit in beiden politischen Systemen wertvolle Erfahrungen für jene bot, die sich auf die Veränderungen einstellen konnten. „Wettbewerb hat Vor- und Nachteile“, erklärt er. „Wir konnten hervorragende junge Wissenschaftler finden, die sehr kompetent und teamfähig sind. Und die Forschungsarbeit, die Thomas und ich geleistet haben, bietet großes Potenzial im Bereich Gentherapie. Wir haben ‚Designer-T-Zellen‘ mit modifizierter Antigen-Spezifizität entwickelt, die jetzt als Grundlage für die ersten klinischen Tests dienen, die im Rahmen des DFG Sonderforschungsbereichs TR36 und des BIH hier auf dem Campus entstehen.“

Organisationseinheit


Beitragsbild: Wolfgang Uckerts Gruppe bei unserem blauen Bären. Wolfgang Uckert ist der "alte" Wissenschaftler ganz links. Foto: Uckert-Gruppe, MDC