Nährstoffe für Frühchen statt Antibiotika
Eine Blutvergiftung kann tödlich sein. Vor allem Frühgeborene, die eine Sepsis erleiden, sterben mitunter innerhalb weniger Stunden daran. Überleben die Kinder, sind sie oft viele Jahre lang besonders anfällig für Krankheiten. Da sich derzeit nur schwer abschätzen lässt, welches Baby eine Sepsis entwickelt, erhalten die meisten Frühgeborenen – bis zu 85 Prozent – vorsorglich Antibiotika. Die Medikamente sind zwar für viele der Kinder lebensrettend, sie haben aber auch Nachteile. Unter anderem können sie Antibiotika-Resistenzen begünstigen und die Darmflora der Babys nachhaltig stören. Dies wiederum kann langfristig zu chronisch entzündlichen Erkrankungen, Allergien, Fettleibigkeit und Diabetes führen.
Für das kindliche Immunsystem sind Alarmine sehr wichtig
Ein Team um Professorin Dorothee Viemann von der Klinik für Pädiatrische Pneumologie, Allergologie und Neonatologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) will jetzt in einem Forschungsprojekt namens PROSPER (Prevention of Sepsis by Personalized Nutritional S100A8/A9 Supplementation to Vulnerable Neonates) untersuchen, ob auch ein Nahrungsergänzungsmittel – ein Alarmin – Frühgeborene vor einer Blutvergiftung schützen kann. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt das Projekt mit rund 1,9 Millionen Euro.
Alarmine sind bei Erwachsenen vor allem ein Marker für Entzündungen. Gemeinsam mit Dr. Sabine Pirr, Oberärztin der MHH-Intensivstation für Früh- und Neugeborene hatte Viemann aber herausgefunden, dass die Alarmine bei Neugeborenen die Entwicklung der Darmflora und des Immunsystems positiv beeinflussen. In großen Mengen finden sich diese Proteine zum Beispiel in der Muttermilch.
„Zudem scheint eine vaginale Entbindung anders als ein Kaiserschnitt die körpereigene Alarmin-Produktion der Neugeborenen anzuregen“, sagt Dr. Sofia Forslund, die Leiterin der Arbeitsgruppe „Wirt-Mikrobiom-Faktoren in Herz-Kreislauf-Erkrankungen“ am Experimental and Clinical Research Center (ECRC), einer gemeinsamen Einrichtung des Berliner Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) und der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Forslund ist als Bioinformatikerin mit einem besonderen Schwerpunkt auf der statistischen Analyse des Mikrobioms an dem Projekt PROSPER beteiligt.
Ein Calprotectin-Mangel erhöht das Sepsisrisiko von Frühgeborenen
Wir wollen mit den Methoden der Bioinformatik genauer erforschen, wie der schützende Effekt von Calprotectin zustande kommt.
In einem früheren Projekt namens PRIMAL (Priming Immunity at the Beginning of Life) hatten die drei Forscherinnen gemeinsam mit weiteren Kolleginnen und Kollegen bereits zeigen können, dass sich ein hoher Spiegel des Alarmins Calprotectin positiv auf das Mikrobiom und das Immunsystem von Neugeborenen auswirkt, die per Kaiserschnitt zur Welt gekommen sind und nicht gestillt werden können. „Inzwischen wissen wir auch, dass das Sepsisrisiko deutlich erhöht ist, wenn es Frühgeborenen an Calprotectin mangelt“, sagt Forslund.
Das Projekt PROSPER soll daher nun ermitteln, ob die Gabe des Proteins Frühgeborene, die niedrige Calprotectin-Spiegel aufweisen, vor einer Blutvergiftung schützt. An dem Projekt sind neben den Expertinnen und Experten der MHH und des ECRC auch Forschende der Kinderklinik des Universitätsklinikums Würzburg und des Instituts für Immunologie der Universität Münster beteiligt. „Am ECRC werden wir die Entwicklung des Mikrobioms der Frühgeborenen im Detail verfolgen und dazu unsere statistische und datenanalytische Expertise zur Verfügung stellen“, sagt Forslund. „Zudem wollen wir hier mit den Methoden der Bioinformatik genauer erforschen, wie der schützende Effekt von Calprotectin zustande kommt.“
Das gemeinsame Ziel aller an PROSPER Beteiligten ist es, die Voraussetzungen für eine größere klinische Studie zu schaffen – um auf diese Weise die breite Anwendung von Antibiotika bei Frühgeborenen möglichst bald überflüssig zu machen.
Text: MHH / Anke Brodmerkel