Wie Immunzellen Tumoren das Wasser abgraben

Ein kleines Botenmolekül kappt die Blutversorgung von Tumoren, zeigt eine neue Arbeit im Fachjournal Nature. Die T-Zellen des Immunsystems bekämpfen den Krebs so auch indirekt.

Ein Tumor ist ein Teil des eigenen Körpers, der sich gegen sich selbst wendet und unkontrolliert wuchert. Ein beträchtlicher Anteil einer Krebsgeschwulst besteht daher aus gesunden Zellen, die diese umhegen und umsorgen. Bindegewebszellen etwa stützen das um sich greifende Tumorgewebe, Blutgefäße schaffen Nahrung und Sauerstoff heran und kümmern sich um den Abfall. Ohne diesen Teil aus gesunden Zellen, das Stroma, kann ein Tumor nicht überleben.

Immuntherapie gegen Krebs

Solide Tumoren stellen die Immuntherapie, die am MDC erforscht wird, mitunter vor große Probleme. Bei der Immuntherapie wird einem speziellen Typ von Immunzellen, den T-Zellen, die charakteristische Signatur einer Krebszelle eingeschärft. Die Zellen patrouillieren dann wie ein mobiles Einsatzkommando durch den Körper, erkennen die Krebszellen und töten sie ab.

In ersten klinischen Versuchen ist diese Strategie bereits relativ erfolgreich – jedoch meist nur gegen Krebserkrankungen ohne Geschwulste und Stroma, wie etwa Blutkrebs. Solide Tumoren schütten Signalstoffe aus und lähmen damit die Zellpatrouille. Zudem stellt das Stroma eine physische Barriere für die Angreifer dar.

Zwei wirkmächtige Botenstoffe

Zwei Botenstoffen könnte bei der Bekämpfung des Stromas eine Schlüsselrolle zukommen: dem Tumornekrosefaktor (TNF) und Interferon-gamma (IFN-γ). Beide Moleküle werden von den T-Zellen gebildet. Sie docken an Rezeptor-Moleküle an den Oberflächen von anderen Zellen an und übermitteln so ihre Nachricht. Beide Stoffe sind dafür bekannt, dass sie das Tumorwachstum stark bremsen.

TNF zerstört die Blutgefäße im Stroma und ist wegen seiner starken Nebenwirkungen für die Krebstherapie nur in Einzelfällen geeignet, wie bei der isolierten Extremitätenperfusion – eine Prozedur, bei der das Botenmolekül nicht in den Gesamt-Blutkreislauf gelangt. Bei den Interferonen steht die therapeutische Nutzung noch am Anfang: „Die Wirkung von IFN-γ verstehen wir weniger gut. Dabei ist es eine der wichtigsten Waffen, die den T-Zellen für die Bekämpfung von Viren und Tumoren zur Verfügung stehen“, sagt Dr. Thomas Kammertöns.

Der MDC-Wissenschaftler forscht zusammen mit einem großen Forschungsteam um Prof. Thomas Blankenstein, Prof. Hans Schreiber und Christian Friese am MDC, an der Charité, dem Berlin Institute of Health (BIH) an T-Zellen für die Therapie. Sie wollen auch besser verstehen, wie IFN-γ auf das Tumorstroma wirkt und ob sich seine Wirkung für eine verbesserte Immuntherapie nutzen lässt. Die Ergebnisse erschienen kürzlich im Fachjournal Nature.

Auf der Suche nach dem Empfänger

„Wir wussten, dass IFN-γ maßgeblich über die Mikroumgebung des Tumors gegen den Krebs wirkt“, sagt Kammertöns. „Wir wollten herausfinden, welche Zellen genau das Ziel der Botenmoleküle sind.“

Dieses Rätsel löste das Forschungsteam nun anhand genetisch veränderter Mäuse, die die Krebserkrankung nachbilden. Diesen Mäusen fehlt der Rezeptor für IFN-γ auf der Oberfläche ihrer Zellen. Sämtliche Zellen ignorieren damit die Botschaft des Signalmoleküls. Nur ausgewählte Zelltypen des Tumorstromas erhielten den Rezeptor anschließend zurück: Immunzellen, Bindegewebszellen, Fresszellen oder Blutgefäßzellen. So wollte Kammertöns das Ziel des Interferons eingrenzen.

In den meisten Tieren wuchsen die Tumoren trotz einer Behandlung mit IFN-γ unverändert weiter. Doch in den Mäusen mit Interferon-empfindlichen Blutgefäßzellen drängte der Botenstoff die Adern aus den Tumoren zurück. Die Versorgung mit Sauerstoff und Nahrung brach zusammen und die Geschwulste starben tatsächlich ab.

Tumorgewebe unter dem Mikroskop, unter dem Einfluss von TNF (links) und IFN-γ (rechts). Blutzellen erscheinen in pink. TNF lässt die Blutgefäße zerbersten und setzt eine große Zahl an Blutzellen frei. Bei IFN-γ dagegen ziehen sich die Gefäße zurück. Bild: Christian Friese / MDC

Unerwartete Wirkungen

Ein weiteres Experiment zeigte jedoch, dass das Interferon seine Wirkung nicht nur auf das Tumorstroma entfaltet, sondern das Wachstum neuer Blutgefäße in anderen Zusammenhängen im Körper beeinträchtigt. „Es stört die schnelle Wundheilung“, sagt Kammertöns. Damit hätte dieser zunächst unerwartete Befund Bedeutung sogar über die Tumortherapie hinaus, meint der Wissenschaftler.

So gehen nach Schlaganfällen, Lungenembolien oder Herzinfarkten die feinen Blutgefäße zugrunde und werden zusätzlich geschädigt, wenn das zuvor unterversorgte Gewebe erneut durchblutet wird (Reperfusion). Das Interferon könnte das rasche Wachstum neuer Adern nach solchen Reperfusionsschäden stören – und in diesem Fall eine Heilung verzögern.

Gewebe desselben Tumors unter dem Mikroskop, vor (links) und nach dem Einwirken durch INF-γ. Blutgefäßzellen sind rot dargestellt. Sie ziehen sich unter dem Einfluss von INF-γ zurück. Bild: Christian Friese / MDC

Bedeutung für die Tumortherapie

Nichtsdestotrotz haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun eine bessere Vorstellung davon, wie T-Zellen künftig solide Tumore effektiver bekämpfen könnten: „Die Infrastruktur eines Tumors zu zerstören, ist vermutlich wirkungsvoller als das Abtöten jeder einzelnen Krebszelle“, fasst der Studienleiter Thomas Blankenstein zusammen.

Hier kommt das Botenmolekül TNF wieder ins Spiel, sagt Blankenstein: „Zusammen mit dem Tumor-Nekrose-Faktor bildet IFN-γ ein starkes Team. TNF bringt die Tumorgefäße zum Platzen und öffnet dadurch das Gewebe. IFN-γ schneidet die Blutversorgung ab und hält den Tumor längerfristig in Schach.“

Auch die Krebstherapie muss sich also mitunter gegen gesunde Teile des Körpers wenden. Die Herausforderung ist nun, diese zusätzliche Waffe für die T-Zell-Therapie nutzbar zu machen und so zu schärfen, dass sie den maximalen Effekt auf den Tumor entfaltet.

Text: Martin Ballaschk

 

Mehr Informationen


Thomas Kammertoens1,2, Christian Friese1,2, Ainhoa Arina3, Christian Idel4, Dana Briesemeister1,2, Michael Rothe1,2, Andranik Ivanov5,6, Anna Szymborska2, Giannino Patone2, Severine Kunz2, Daniel Sommermeyer2, Boris Engels2,
 Matthias Leisegang1,2,5, Ana Textor1,2, Hans Joerg Fehling7, Marcus Fruttiger8, Michael Lohoff9, Andreas Herrmann10, Hua Yu10, Ralph Weichselbaum3, Wolfgang Uckert2,5, Norbert Hübner2,6,11, Holger Gerhardt2,5,11, Dieter Beule2,5, Hans Schreiber1,4,5, Thomas Blankenstein1,2,5 (2017): „Tumour ischaemia by interferon-γ resembles physiological blood vessel regression.“ Nature 545, p. 98–102. doi:10.1038/nature22311

1Institute of Immunology, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Germany. 2Max Delbrück Center for Molecular Medicine, Berlin, Germany. 3Department of Radiation and Cellular Oncology, Ludwig Center for Metastasis Research, The University of Chicago, Chicago, USA. 4Department of Pathology, The University of Chicago, Chicago, USA. 5Berlin Institute of Health, Berlin, Germany. 6Charité - Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Germany. 7Institute of Immunology, University Clinics Ulm, Ulm, Germany. 8Institute of Ophthalmology, University College London, London, UK. 9Institute for Medical Microbiology, University of Marburg, Marburg, Germany. 10Beckman Research Institute at the Comprehensive Cancer Center City of Hope, Los Angeles, USA. 11DZHK (German Center for Cardiovascular Research), partner site Berlin, Germany.


Beitragsbild: Kolorierte elektronenmikroskopische Aufnahme einer T-Zelle. Bild: National Institute of Allergy and Infectious Diseases, National Institutes of Health, Lizenz: CC-BY-NC